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China
Geschundene Arbeiter kämpfen für ihre Rechte

Es gibt in China zwar Gesetze, die Entschädigungen bei Arbeitsunfällen vorschreiben. Aber offizielle Unterstützung gibt es nicht; kleine Organisation setzen sich für die Rechte der Geschädigten ein. Die Regierung ist dagegen.

Von Mathias Bölinger | 27.07.2014
    Chinesische Wanderarbeiter auf einer Baustelle in Jiujiang, China.
    Wanderarbeiter werden in China von der Gesellschaft benachteiligt. (picture alliance / dpa / Zhang Haiyan)
    Pan Ming sitzt am Bett seiner Frau Li Hong im Vierbettzimmer des Volkskrankenhauses von Huizhou im Süden Chinas. Huizhou, unweit der Grenze zu Hongkong, ist einer jener Orte, die in den vergangenen 30 Jahren von beschaulichen Landkreisen zu Millionenstädten und Zentren der weltweit agierenden Industrie gewachsen sind. Pan Ming ist zum Arbeiten nach Huizhou gekommen. Er und seine Frau waren bei einem Autozulieferer beschäftigt - bis vor einem Jahr.
    "Wir haben nach der Arbeit sauber gemacht und, wie immer, beim Wischen in der Werkhalle Lösungsmittel benutzt. Jemand hat dann zu viel davon verwendet. Die Maschinen in der Halle waren noch heiß, da hat sich das Lösungsmittel entzündet."
    Pan Mings Frau Li Hong erlitt bei der Explosion schwere Verbrennungen. Sie sitzt im Bett, die Arme und Beine sind großflächig verbunden. Das Liegen bereitet ihr zu große Schmerzen.
    "Ich kann den Arm weder strecken noch beugen. Und die Wunden tun immer noch weh. Hier, diese Stelle schmerzt besonders."
    Seit fast einem Jahr wird Li Hong im Volkskrankenhaus von Huizhou behandelt. Den Tag, als das Unglück geschah, kann sie nicht vergessen. Auch ihr Mann und 16 weitere Arbeiter wurden verletzt. Die meisten von ihnen sind immer noch nicht arbeitsfähig, einige werden es nie mehr sein.
    Die Fabrik, in der die beiden arbeiteten, produziert Metallteile für die Autoindustrie. Das chinesische Recht sieht bei Arbeitsunfällen vor, dass das Unternehmen die Behandlungskosten übernehmen und eine Entschädigung zahlen muss. Doch Li und ihre Mitstreiter sind unzufrieden, weil Überstunden und Zulagen abgezogen wurden. Der Lohn, den sie fortbezahlt bekommen, sei viel niedriger als ihr Verdienst vor dem Unfall, klagt Li Hong.
    "Wir waren vor drei Wochen noch einmal in der Firma, konnten dort aber keine Einigung erzielen. Wir waren auch bei der Regierung, aber auch die konnte uns nicht weiterhelfen. Die Funktionäre haben versprochen, uns eine Antwort zu geben, aber bis heute haben wir nichts von ihnen gehört."
    Vor allem aber haben sie Angst, dass die Firma am Ende versuchen könnte, die Entschädigungen zu drücken. Mit ihren schweren Verbrennungen werden Li und Pan nie wieder körperlich schwer arbeiten können.
    "Für uns bedeutet das, wir werden unser ganzes Leben Schwierigkeiten haben. Die Firma, die Regierung, die können weitermachen wie bisher, aber wir müssen mit den Folgen leben. Ich habe den Eindruck, dass sie uns gar kein Mitgefühl entgegenbringen."
    Gesetze in China regeln Entschädigungen bei Arbeitsunfällen
    Zwar regeln Gesetze in China inzwischen recht genau, welchen Anspruch ein Arbeiter auf Entschädigung hat und welche arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden müssen. Aber: Kaum ein Arbeiter kennt diese Gesetze im Detail. Dabei müssen Unfallopfer entweder selbst mit ihrem Arbeitgeber verhandeln oder sich an die Regierung wenden. Es gibt keine unabhängige Stelle, die ihnen helfen könnte. Genau deshalb kommt Li Sudan gelegentlich zu Li Hong ins Krankenhaus.
    "Es ist unsere tägliche Arbeit, in den Krankenhäusern die Opfer aufzusuchen. So habe ich hier Li Hong und Pan Ming getroffen. Ihr Fall ist ungewöhnlich. Normalerweise verletzen sich bei Unfällen ein oder zwei Arbeiter. Aber hier waren es gleich 18. Es ist ein besonders großer Fall, aber die Gründe sind vergleichbar mit anderen Unfällen. Die Arbeiter wurden nicht richtig eingewiesen. Und die Regierung hat die Sicherheitsbestimmungen nicht kontrolliert."
    Li Sudan arbeitet für die kleine Nichtregierungsorganisation Pugongying, die betroffenen Arbeitern Hilfe anbietet:
    "Wir haben im Jahr mit Arbeitsunfällen von ungefähr 800 Menschen zu tun. Das könnte ungefähr ein Drittel derjenigen sein, die sich in Huizhou tatsächlich verletzen. Es könnten aber auch noch mehr sein. Offizielle Statistiken gibt es nicht."
    Arbeitergruppen wie die von Li Sudan entstehen vor allem in den Industriegebieten in Südchina an der Grenze zu Hongkong immer häufiger. Sie finanzieren sich durch Privatspenden und werden von Stiftungen unterstützt, häufig aus dem Ausland. Samuel Li, der für die Hongkonger Organisation "Asia Monitor Resource Center" die Situation von Arbeitern in China beobachtet, schätzt die Zahl solcher Gruppen auf etwa 100 im ganzen Land.
    "Die meisten beschäftigen sich mit individuellen Fällen. Es geht um Arbeitsverträge, Fragen zur Sozialversicherung, Arbeitsunfälle oder berufsbedingte Krankheiten. Das ist schon schwierig genug. Sobald die Gruppen anfangen, die Arbeiter zu organisieren, und zu gemeinsamen Aktionen aufzurufen, übt die Regierung Druck aus und droht damit, die Gruppe aufzulösen."
    Immer wieder spontane Streiks
    Und dennoch kommt es immer häufiger zu Massenprotesten oder Arbeitsniederlegungen – obwohl Streiken in China verboten ist. In Dongguan, einer Nachbarstadt von Huizhou, legen im April 2014 die Arbeiter einer Turnschuhfabrik die Arbeit nieder. Die Firma Yue Yuen produziert 300 Millionen Paar Schuhe im Jahr. Zu ihren Abnehmern zählen die großen Weltmarken Adidas, Nike, Puma. Videos der Proteste tauchen bereits wenig später im Internet auf.
    "Einige Arbeiter hatten ihre Konten bei der Sozialversicherung eingesehen. Sie haben herausgefunden, dass sie nur Anspruch auf sehr wenig Geld aus der Rentenkasse haben. Daraufhin haben immer mehr Arbeiter ihre Konten geprüft und herausgefunden, dass es ein Problem gibt. Dann hat jemand vorgeschlagen, zu streiken. Und dann ging alles ganz schnell."
    Innerhalb eines Tages treten 50.000 Arbeiter in den Ausstand. Die Polizei riegelt die Umgebung der Fabrik ab, verhaftet diejenigen, die sie für die Organisatoren der Proteste hält. Doch der Streik geht weiter - zwei Wochen lang. Die Firma kommt mit der Produktion in Verzug – ihre Auftraggeber beginnen damit, Aufträge an andere Firmen umzuleiten. Am Ende bricht der Streik unter dem Druck der Polizei zusammen. Als Zugeständnis verspricht Yue Yuen zukünftig, für alle Arbeiter Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Eine Lösung für die Jahre, in denen den Arbeitern die Beiträge entgangen sind, gibt es allerdings nicht.
    "Dieser Streik konnte nur stattfinden, weil die Arbeiter keine Möglichkeit haben, ihre Interessen gleichberechtigt zu vertreten. Das führt dann dazu, dass die Arbeiter unkoordiniert und plötzlich die Arbeit niederlegen. Wir hätten alle diese wilden Streiks nicht, wenn es ein System geben würde, in dem Vertreter der Arbeiter mit Vertretern des Kapitals verhandeln."
    Chen Huihai sitzt in einem Teehaus in der Provinzhauptstadt Guangdong. In einem abgetrennten Raum will er über heikle Themen reden. Chen greift sich in den Hemdausschnitt und fingert einen Jadebuddha hervor.
    "Den habe ich selbst hergestellt. Bis 2003 habe ich in Schmuckmanufakturen gearbeitet. Ich bin dann in Konflikt mit meinem Arbeitgeber geraten. Ich war ein einfacher Arbeiter und hatte keine Ahnung davon, wie man seine Rechte verteidigen kann. Dann bin ich an eine Organisation geraten, die die Interessen der Arbeiter verteidigt. Damals habe ich gemerkt, wie wenig Achtung manche Regierungsstellen uns Arbeitern entgegenbringen und wie ungleich die Macht zwischen Arbeitern und Arbeitgebern verteilt ist."
    Chen hat damals beschlossen, selbst für die Rechte von Arbeitern zu kämpfen und unterstützte ehrenamtlich kleine Organisationen, die Arbeiter beraten. Inzwischen ist er in einer Anwaltskanzlei beschäftigt, die sich auf Arbeitsrecht spezialisiert hat. Die Kanzlei finanziert sich durch Spendengelder ausländischer Stiftungen und vertritt Arbeiter kostenlos. Chens Aufgabe ist es, die Anwälte zu beraten, denn als ehemaliger Arbeiter kennt er die Verhältnisse in den Betrieben gut. Immer wieder übernimmt er auch Aufträge für sogenannte Kollektivverhandlungen. Er wird von einer Gruppe von Arbeitern beauftragt, in ihrem Namen zu verhandeln. Eine Aufgabe, die in anderen Länder Gewerkschaften übernehmen – mit ihrer Organisation und dem Streikrecht im Rücken. In China sind die Gewerkschaften Teil des Staats- und Parteiapparats. Sie sollen die Interessen der Arbeiter vertreten, gleichzeitig aber die Ziele der Regierung unterstützen. Und die lauten: Stabilität und Wachstum. Ein Dilemma, das typisch ist für das politische System in China und das seine Wurzeln in der Vergangenheit hat.
    "Die Kraft, die unsere Sache führt, ist die Kommunistische Partei. Die theoretische Grundlage, von der sich unser Denken leiten lässt, ist der Marxismus-Leninismus."
    System der "eisernen Reisschüssel" war unproduktiv
    Als Mao Tse-tung und die Kommunistische Partei 1949 die Macht in China übernommen haben und die Herrschaft der Arbeiterklasse ausriefen, gab es in China kaum Arbeiter. 90 Prozent der Chinesen waren Bauern. Also setzten die Kommunisten auf Industrialisierung. Mit sowjetischer Hilfe entstanden in den Städten große Schwerindustriebetriebe. Arbeiter erhielten Jobs auf Lebenszeit. Der Betrieb war für sämtliche Belange der Arbeiter verantwortlich, er bezahlte die Krankenversorgung, stellte eine Wohnung zur Verfügung und verteilte Lebensmittelmarken. "Eiserne Reisschüssel" nannten die Chinesen das System. Und im Allgemeinen galt: Je größer ein Betrieb, desto besser war die Schüssel gefüllt. Das System versprach Sicherheit, allerdings war es nicht besonders produktiv. In den 1980er-Jahren, nach den Wirren der Kulturrevolution, beschloss die chinesische Führung unter Deng Xiaoping deshalb, neue Wege auszuprobieren.
    "Unsere Modernisierung muss von der chinesischen Wirklichkeit ausgehen. Wir müssen die universelle Wahrheit des Marxismus mit unseren konkreten Erfahrungen zusammenbringen. Wir müssen unseren eigenen Weg gehen, um einen Sozialismus chinesischer Prägung zu errichten."
    Deng erlaubte die Gründung privater Unternehmen und begann zunächst in einigen ausgewiesenen Küstenregionen, ausländische Investitionen zuzulassen. Die ersten Versuche machte er in der Küstenprovinz Guangdong an der Grenze zu Hongkong – bis heute das wichtigste Industriezentrum Chinas.
    "Damals kam ein Mann in unser Dorf. Er wurde von der Firma Zhili geschickt, um Arbeiter anzuheuern. Er hat uns damals versprochen, dass wir 300 bis 400 Yuan verdienen können."
    Yan Xiaojian sitzt in ihrem Haus in der zentralchinesischen Provinz Henan. Yan hat Besuch von Fang Xiaohui, die ein paar Dörfer weiter lebt. Kennengelernt haben sie sich 1993 in einem Bus nach Südchina. Beide hatten damals das Angebot des Arbeitsvermittlers angenommen. 300 Yuan, das klang für die 16 und 17 Jahre alten Bauernmädchen nach sehr viel Geld. Nach einem Weg, um der Armut auf dem Land zu entkommen.
    "Ich habe im ersten Monat statt der versprochenen 300 bis 400 Yuan nur 120 verdient. Dafür mussten wir jeden Tag 13 Stunden arbeiten."
    Wanderarbeiter arbeiten in der Billiglohnindustrie
    In der Küstenprovinz war eine Billiglohnindustrie entstanden. Und die neuen Fabriken hatten einen neuen Typus von Arbeitern hervorgebracht – Wanderarbeiter: Arme Bauern, die von der sozialen Absicherung in den Städten weitgehend ausgeschlossen waren. Sie hatten keinen Zutritt zu den städtischen Gesundheitsleistungen, konnten ihre Kinder nicht in die städtischen Schulen schicken und mussten oftmals fürchten, willkürlich wieder zurückgeschickt zu werden. Denn für die Städte brauchten Bauern eine Aufenthaltsgenehmigung.
    Zhili, die Fabrik, in der die Mädchen arbeiteten, gehörte einem Hongkonger Unternehmer. Sie stellte Plüschtiere für eine italienische Spielzeugmarke her. Die beiden Mädchen arbeiteten nur wenige Wochen dort. Dann gab es eine gewaltige Explosion.
    "Ich hatte gerade in der Verwaltung zu tun, da habe ich einen großen Knall gehört. Ich bin rausgerannt ins Treppenhaus. Immer mehr Menschen strömten auf die Treppen und drückten die Menge nach vorne. Da erst habe ich den Rauch gesehen. Dann weiß ich nichts mehr. Die nächste Erinnerung ist, wie ich im Krankenhaus aufgewacht bin."
    Hongkong. Ein schlichter Büroturm in Kowloon. Hier hat der asiatische Gewerkschaftsverband seine Zentrale. Im Besprechungsraum sitzt Apo Leong.
    "Die Explosion damals tötete 80 Arbeiterinnen. Dutzende weitere wurden verletzt. Die Menschen in Hongkong waren wütend. Es gab damals einen Massenabzug von Kapital von Hongkong nach China. Und immer diese Nachrichten über Feuer, Unfälle und Ausbeutung. Da haben wir angefangen, an die internationale Gemeinschaft zu appellieren, um die Arbeiter besser zu schützen, bessere Entschädigungen auszuhandeln und vor allem Unfällen vorzubeugen."
    Wanderarbeiter in China werden benachteiligt.
    Wanderarbeiter in China werden benachteiligt. (picture alliance / dpa / Chinafotopress/Liu Tao)
    Immer wieder sind Leong und seine Mitstreiter damals über die Grenze nach China gefahren und haben den Kontakt zu Arbeitern und Unfallopfern gesucht. Es waren die Jahre nach dem Tian'anmen-Massaker, als der Staat jede zivilgesellschaftliche Regung besonders scharf verfolgte. Aktivisten wie Leong aus dem damals noch britisch verwalteten Hongkong, waren die Einzigen, die das Anliegen der Arbeiter an die Öffentlichkeit bringen konnten. Leong sorgte dafür, dass der Fall Zhili bekannt wurde und Geschichte machte.
    "Das erste Arbeitsgesetz in China wurde 1994 verabschiedet. Man sagt, das Feuer sei der Anlass gewesen. Davor hatte es lange Diskussionen über Arbeitsgesetze in der Partei und in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gegeben – aber jahrelang ging nichts voran. Dann kam das Feuer. Und plötzlich hat das ständige Komitee des Nationalen Volkskongresses das Gesetz ganz schnell beschlossen."
    Yan Xiaojian und Fang Xiaohui stehen jetzt in Xiaojians Gemüsebeet, um Gurken und Spinat fürs Abendessen zu ernten. Nach dem Unfall waren sie noch bis zur Entscheidung über ihre Entschädigung ein Jahr im Süden geblieben. In ihre Heimat kehrten sie zurück als gezeichnete Menschen: Xiao Jians Gesicht, ihre Arme und Beine sind von Brandnarben überzogen, Xiao Hui läuft auf einer Prothese, weil ihr Fuß amputiert werden musste.
    Beide Frauen heirateten schließlich Männer aus den ärmsten Familien im Dorf. Mit der Entschädigung, die Apo Leong und seine Mitstreiter für sie ausgehandelt haben, konnten sie sich ein Haus bauen. Auf dem Feld arbeiten können beide nicht – weil die verbrannte Haut keinen Schweiß ausstößt, halten sie schwere Arbeit in der Hitze nicht aus. Ihre Ehemänner müssen die Familie versorgen. Xiaohuis Mann bewirtschaftet ihren Hof, Xiaojians Ehemann ist als Wanderarbeiter in den Süden gezogen.
    Arbeiterbewegung wandelt sich
    Apo Leong hat nach dem Fall Zhili noch mit vielen Arbeitern in China zu tun gehabt. Seit mehr als 20 Jahren pendelt er zwischen Hongkong und den südchinesischen Industriegebieten.
    "Wenn wir zurückschauen auf die vergangenen 20 Jahre, dann sehen wir eine lange Zeit des Schweigens, in der Arbeiter zu Opfern gemacht wurden, die man höchstens bemitleidete. Mittlerweile trauen sich viele Arbeiter, für ihre Rechte zu kämpfen. Das ist eine neue Phase in der Geschichte der chinesischen Arbeiterbewegung. Die junge Generation der Arbeiter ist bereit, ihre Rechte einzufordern, gemeinsam zu kämpfen."
    Li Sudan hat seinen Krankenbesuch beendet. Es ist Abend geworden in Huizhou, Li und zwei Kollegen haben an einer Straßenkreuzung zwei Wände aufgestellt, die eng mit Informationen über das Arbeitsrecht bedruckt sind. Auf einem Tisch liegen Broschüren, aus einer Box tönt die Musik einer Pekinger Gruppe, die das Leben der Wanderarbeiter besingt.
    Am nächsten Tag im Büro der Organisation. Li und seine Kollegen haben sich zu einer Besprechung eingefunden. Mit dem Verlauf des gestrigen Abends sind sie nicht zufrieden. Nur wenige Arbeiter sind stehengeblieben und haben Material mitgenommen oder Fragen gestellt.
    Das Büro der Organisation liegt in einer kleinen Gasse, unweit des Zentrums der Großstadt Huizhou. An der Tür ist nur ein kleines Schild. Das Wort Arbeiter taucht darauf gar nicht auf. "Pugongying Behindertenhilfe" nennt sie sich stattdessen.
    "Wir konnten bis heute noch keine offizielle Registrierung bekommen. Die Regierung mag uns nicht. Manchmal lassen sie uns auch in die Krankenhäuser nicht hinein. Und manchmal bekommen wir Anrufe von Arbeitgebern - Drohanrufe. Sie alle wollen verhindern, dass wir unsere Arbeit machen."
    Hu Guoqing, Lis Kollege, hat die typische Biografie eines Arbeiteraktivisten: in einer ländlichen Provinz im Landesinnern geboren, früh die Schule abgebrochen, dann in den Industriebetrieben an der Küste Arbeit gefunden. Nach einem Unfall in einer Werkzeugfabrik, bei dem er mehrere Finger verloren hat, beschloss auch er, sich für einen besseren Arbeitsschutz zu engagieren:
    "NGOs sollten gegenüber der Regierung eine Kontrollfunktion ausüben. Ich denke, das wird auch in China irgendwann der Fall sein. Vielleicht braucht das Land noch etwas Zeit für diese Entwicklung. Im Moment reagiert der Staat noch sehr alarmiert auf unabhängige Organisationen. Aber ich glaube, dass das, was wir tun, sehr sinnvoll ist, dass es für die Gesellschaft und vor allem für die Arbeiter sehr wichtig ist."