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"China hat die Schraube noch mal erheblich angezogen"

China verstößt nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch weiterhin gegen Bestimmungen der Olympischen Charta. Das Jahr bis zum Beginn der Spiele in Peking müsse genutzt werden, um darauf hinzuweisen, sagte die Direktorin des Deutschland-Büros der Organisation, Marianne Heuwagen. Die Zufriedenheit des Internationalen Olympischen Komitees mit dem Stand der Vorbereitungen sei befremdlich.

08.08.2007
    Stefan Heinlein: Die Funktionäre sind zufrieden, das IOC ist begeistert. Genau ein Jahr vor dem Beginn der Olympischen Sommerspiele in Peking liegt China voll im Zeitplan. Neue Infrastruktur, neue Sportstätten - die Bühne ist bereitet für das weltweit größte Sportspektakel. Im nächsten Sommer rückt das Reich der Mitte für drei Wochen in den Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit. Friedlich, perfekt, harmonisch - China will sich im neuen Licht präsentieren. Doch politisch hat sich in der Volksrepublik nicht viel verändert, trotz der Versprechungen der Staats- und Parteiführung. Bei mir am Telefon ist nun Marianne Heuwagen, Direktorin des Deutschlandbüros der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Guten Morgen nach Berlin.

    Marianne Heuwagen: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Ich habe es gesagt, das IOC ist zufrieden mit dem Stand der Vorbereitungen auf die Spiele. Teilen Sie das Lob der olympischen Funktionäre?

    Heuwagen: Ehrlich gesagt finden wir das Lob der olympischen Funktionäre ein bisschen befremdlich, denn man darf natürlich nicht nur, wenn man auf China blickt, jetzt den Stand der Sportstätten beurteilen und die wunderbaren baulichen Errungenschaften, sondern man muss auch sehen, unter welchem Preis die zustande gekommen sind. Also wenn man sich zum Beispiel die Sportstätten von Peking ansieht, da sind Tausende von Arbeitern unter Bedingungen beschäftigt worden, die zum Teil lebensgefährlich sind. Die mussten durcharbeiten, die hatten keinen freien Tag. Man hat die Schulen für ihre Kinder geschlossen. Es sind Tausende von Menschen vertrieben worden, ohne zum Teil entsprechend entschädigt zu werden für die Baugrundstücke, die man für die olympischen Sportstätten brauchte.

    Insgesamt muss man leider sowieso sagen, dass die Lage der Menschenrechte ein Jahr vor den Olympischen Spielen noch sehr zu wünschen übrig lässt. China hat im letzten und auch in diesem Jahr eigentlich die Schraube noch mal erheblich angezogen, und eigentlich hätte man erwartet, dass die Olympischen Spiele auch dazu dienen, dass die Menschen in China, dass die Chinesen selber ein bisschen mehr Menschenrechte gewährt bekommen.

    Heinlein: Nun, genau das erwartet IOC-Präsident Jacques Rogge. Er erklärt immer wieder, die Spiele seien eine Kraft für das Gute. Er erwarte langfristig positive Auswirkungen auf die chinesische Gesellschaft.

    Heuwagen: Ich denke, was positiv ist, ist die Tatsache, dass hier zum Beispiel die Medien ja auch alle nach China blicken. Und ich muss sagen, ich habe in den deutschen Medien, also auch in den Interviews, die ich bis jetzt gehört und gelesen habe, und den Berichterstattungen, den Berichten, die ich in den Zeitungen gelesen habe, immer wieder festgestellt, dass die Journalisten auf die Menschenrechte schauen. Und das ist gut so. Also dass man nun jetzt selber sieht, wie ist es denn nun mit der Todesstrafe, die, obwohl im letzten Jahr der oberste Gerichtshof nun endlich angefangen hat bzw. in diesem Jahr angefangen hat, die Gerichtsurteile, die zum Teil ja auf verheerenden Prozessen basieren, die in keiner Weise rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechen, wenigstens zu überprüfen. Dadurch ist die Zahl der Vollstreckungen oder soll die Zahl der Vollstreckungen um 10 Prozent zurückgegangen sein. Aber China veröffentlicht ja die Hinrichtungszahlen nicht. Andererseits muss man feststellen, dass die Menschenrechtsverteidiger, die Anwälte, die Journalisten, die chinesischen Journalisten, die sich um dieses Thema kümmern, dass die noch stärker verfolgt werden, als das bis jetzt der Fall war. Menschenrechtsaktivisten sind weiter unter Hausarrest. Zwar haben jetzt auch europäische Korrespondenten Zugang zu denen, aber auch die europäischen Journalisten werden ja zum Teil von Beamten in Zivil verfolgt und bedrängt und in ihrer Arbeit behindert, wie ein Bericht von Human Rights Watch gerade jetzt wieder belegt hat.

    Heinlein: Dennoch, Frau Heuwagen, trotz der Entwicklung, die Sie gerade schildern, die Mehrheit der Chinesen freut sich ja auf die Spiele. Warum wollen Sie denn diese Spiele politisieren? Immerhin geht es ja in erster Linie um den Sport?

    Heuwagen: Herr Heinlein, wir wollen ja nicht die Spiele politisieren. Wir sagen auch nicht, dass die Spiele nicht in China stattfinden sollen, sondern sagen, das ist eine Chance für China und ist eine Chance, dass China sich auch der Welt öffnen muss. Aber worauf man schauen muss, ist natürlich, wie es den Menschen in China geht, wie es den Chinesen geht. Sehen Sie zum Beispiel dieser neue Leitfaden für ausländische Medien, der jetzt extra erlassen worden ist, um mit dem Artikel 51 der olympischen Charta konform zu gehen, der also jetzt angeblich den ausländischen Medien freien Zugang zu allen gesellschaftlichen Gruppen und Themen ermöglichen soll. Dieser Leitfaden oder diese Öffnung ist limitiert bis zum Oktober 2008, dann wird das also wieder eingeschränkt.

    Heinlein: Dennoch, Frau Heuwagen, das Wort Boykott wollen Sie nicht in den Mund nehmen?

    Heuwagen: Nein. Wir denken nicht, dass Boykott eine Alternative ist, weil der Boykott in dem Fall nicht dazu führt, dass man wirklich hinschaut, was dort passiert. Und man muss ja sehen, dass es doch die Möglichkeit gibt, auch jetzt dieses Jahr noch zu nutzen, also dieses Jahr bis zu den Spielen, um die Chinesen selber darauf hinzuweisen, dass die gegen bestimmte Bestimmungen verstoßen. Zum Beispiel eben gerade dieser benannte Paragraf der olympischen Charta, der nur für ausländische Korrespondenten gilt, aber nicht für chinesische Journalisten, die weiterhin extrem verfolgt werden. Aber chinesische Journalisten sind natürlich auch Journalisten. Und da wäre es eigentlich ganz angebracht, dass auch ein Olympisches Komitee und ein Herr Rogge mal sagt oder zumindest mit einem Satz ein wenig Stellung dazu nimmt.

    Heinlein: Sind Sie enttäuscht von Jacques Rogge und dem Verhalten des IOC?

    Heuwagen: Natürlich kann ich verstehen, dass das Olympische Komitee in erster Linie sich auf die Sportstätten konzentriert, aber ein kleiner Hinweis wäre doch angebracht, wenn man auf so ein Land sieht und vor allen Dingen wenn man weiß, unter welchen Kosten diese Anstrengungen zustande gekommen sind.

    Heinlein: Doch ist es nicht naiv zu hoffen, Frau Heuwagen, dass sich in der Volksrepublik die Situation der Menschenrechte verbessert, Pressefreiheit gewährt wird, nur weil drei Wochen der Sport zu Gast in China ist?

    Heuwagen: Es ist ja nicht nur der Sport, der zu Gast ist. Sehen Sie, es ist ja die Welt, die zu Gast ist in China. Und eine der Bedingungen für die Vergabe der Olympischen Spiele ist ja zum Beispiel dieser freie Zugang für die Medien, der garantiert werden soll. Und China hat sich dazu verpflichtet. Und man kann zumindest die Chinesen daran messen, an den Maßstäben, zu denen sie sich selber verpflichtet haben. Und ich denke, das ist legitim und das ist auch angebracht. Und die Chinesen wollen ja ernst genommen werden in der Welt. Man hat es ja jetzt gesehen, wie sie sich zum Beispiel außenpolitisch entwickelt haben in Bezug auf die Sudan-Krise in Darfur, weil China ja Hauptabnehmer des Öls dort ist und zum ersten Mal jetzt einen Afrikabeauftragten ernannt haben. Also sie reagieren auf Druck, und ich denke, man darf in diesem Druck auch nicht nachlassen. Und wenn ein paar Verbesserungen wenigstens für die Chinesen selber dabei herauskommen und ein paar mehr Menschenrechte, dann hat dieses Ganze sogar noch einen großen, könnte es auch einen großen Erfolg verzeichnen.

    Heinlein: Also Sie haben die Hoffnung, dass sich im kommenden Jahr bis zum Beginn der Spiele unter diesem internationalen Druck vielleicht sich doch noch etwas verändert bei der Situation der Menschenrechte in der Volksrepublik?

    Heuwagen: Ja, wir haben diese Hoffnung durchaus, vor allem wenn die Politiker, die dort hinreisen, dieses Thema ansprechen und wenn man die Chinesen auch damit ernst nimmt. Ich finde, das ist ja auch eine Sache, wissen Sie, dass man Menschen und dass man eine Regierung international ernst nimmt. Man kann ja nicht über alle Missstände immer hinweggucken sowie zu sagen bei armen Verwandten und sagen, das und das ist nicht in Ordnung. Die Chinesen haben sich ja auch mit der Bundesrepublik auf einen sogenannten Rechtsstaatsdialog eingelassen. Es gibt ja diesen Dialog seit einigen Jahren. Nur wenn man schaut, was dabei herausgekommen ist in den letzten Jahren, waren es eigentlich immer nur Verbesserungen im Handelsrecht und Verbesserungen für die Wirtschaft, für die Firmen, aber es muss auch Verbesserungen für die Menschen geben.

    Heinlein: Marianne Heuwagen von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Heuwagen: Auf Wiederhören nach Köln.