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China-Trilogie
Zauberhaft und ohne jede Belehrung

Der 1944 in Aachen geborene Autor Rainer Kloubert schreibt in seiner Trilogie über das alte China - jenes Land, das mit dem japanischen Einmarsch 1937 nicht ganz, aber doch langsam an sein Ende kam. Herausgekommen sind drei Bücher voller Sachkenntnis und kindlicher Neugierde.

Von Uli Hufen | 02.12.2016
    CHINA, BEIJING : Women sit in a traditional Chinese pavillion at a rock garden at a park in Beijing on September 28, 2010. Asia's developing economies should make long-term growth their top priority, the Asian Development Bank said as it lifted its 2010 growth forecast for the region.
    Die pralle Fülle des chinesischen Lebens: Rainer Klouberts Trilogie umgibt ein traumartiger Zauber. ( AFP PHOTO/Frederic J. BROWN)
    Wer Rainer Klouberts Buch "Peking. Verlorene Stadt" in die Hand nimmt, dem fällt als Erstes der Schuber auf. Darauf: ein Palast der Verbotenen Stadt, über den ein Kranich aufsteigt. Hat man das in taubenblaues Leinen gebundene Buch dann geöffnet, so bemerkt man zunächst den Satz des Buches in zwei Spalten, außerdem die vielen Schwarz-Weiß-Fotografien, auf fast jeder Seite. Doch gerade wenn man sich in eins der Fotos oder in den Text vertiefen will, entfällt dem Buch ein Stadtplan Pekings, den der amerikanische Militärattaché Frank Dorn 1936 anfertigte. Der Plan zeigt, was Peking damals war: eine Stadt in einer Stadt in einer Stadt, dazu noch eine Stadt mit vielen Mauern. Zitat:
    "Die "Innere Stadt", in der auch die "Kaiserstadt" lag und in dieser wiederum die "Verbotene Stadt", war der herrschenden Mandschukaste vorbehalten, den Tataren, wie sie von den Leuten aus dem Westen genannt wurden. Der Stadtteil hieß deswegen auch Tatarenstadt, die andere, von der chinesischen Bevölkerung bewohnt: Chinesenstadt. Alle vier Städte, zählte man die "Kaiserstadt" und die "Verbotene Stadt" hinzu, waren von Mauern umgeben. Mauern innerhalb von Mauern, Mauern außerhalb von Mauern, Mauern zwischen Mauern."
    Als Rainer Kloubert 1979 erstmals nach Peking kam, waren von einst über 40 Kilometern Mauer nur noch Reste übrig. In den sechziger Jahren hatte die Parteiführung die Mauern samt ihrer berühmten Tore und Türme zugunsten von Ringstraßen schleifen lassen. Überhaupt waren nach der Kulturrevolution nur noch Spuren jenes alten Peking auffindbar, das Frank Dorns Karte zeigte. Rainer Kloubert:
    "Restaurants, die damals wieder anfingen, also die Architektur der Restaurants, Gerichte, wie sie damals zubereitet wurden. Stoffgeschäfte, wie damals verkauft wurde. Straßenhändler, allerdings bei Weitem nicht so viel wie damals. Und bei den meisten war es eine verbotene Tätigkeit. Das alte sehr schöne Chinesisch. Peking-Dialekt. Der R-Laut, das klang wie ein Kater. Die Art und Weise, wie das Neujahr gefeiert wurde. Neujahrsgeschenke, Neujahrsspielzeuge. Das hab ich noch zum Teil erlebt. Mehr aber auch nicht."
    Kloubert: "Die ganzen Warlords, die Kriegsherren, haben mich immer sehr fasziniert"
    Trotzdem hat Kloubert nach beinah 40 Jahren in Peking nun der Epoche zwischen etwa 1890 und dem japanischen Einmarsch 1937 ein schillerndes Denkmal gesetzt. Der Grund ist einfach. Für Kloubert waren das die freiesten Jahre, die Peking je erlebte. Es war eine grausame Zeit, eine Zeit des Bürgerkrieges, aber es war auch eine Zeit der Vielfalt und der Lebenslust. Wer fragt, welche politischen Entwicklungen die Epoche prägten, der ist bei Kloubert falsch. Wer sich allerdings dafür interessiert, wie diese chinesische Freiheit sich angefühlt hat, der wird in "Peking. Verlorene Stadt" reich beschenkt. Genau wie in den beiden anderen Bänden von Klouberts Trilogie, die den Kaisergärten Yuanmingyuan gewidmet sind und dem mondänen Seebad Peitaiho 300 Kilometer östlich von Peking am Golf von Bohai. Rainer Kloubert:
    "Peitaiho hat mich sehr interessiert, so als tiefchinesischer Ort aber auch als sehr europäischer Ort. Ich war da immer in den Ferien, das ist ein Ort, den man einfach nicht vergessen kann, weil da auch Chinesen gewohnt haben, die mein Interesse erregt haben. Die ganzen Warlords, die Kriegsherren, haben mich immer sehr fasziniert, auch die ganzen Kriegsgewinnler, die Wirtschaftsleute, die Bankiers."
    Auch Klouberts Interesse an den Pekinger Kaisergärten Yuanmingyuan hat eine biografische Grundierung. Jahrzehntelang ist Kloubert auf dem riesigen Gelände spazieren gegangen, solange, bis ihm sogar im Traum solche Spaziergänge gelangen. Irgendwann begann Kloubert sich zu fragen, ob der alte Mythos von der Zerstörung Yuanmingyuans durch die Europäer eigentlich richtig sein kann.
    Im Oktober 1860 hatte der britische Hochkommissar für China Lord Elgin die Plünderung und Brandschatzung der Anlage angeordnet, um den Chinesen klarzumachen, wer fortan das Sagen haben würde. Dass Yuanmingyuan "Garten der Vollkommenheit und des Lichts" bedeutet, irritierte Elgin nicht. Bis zu 1,5 Millionen Kunstgegenstände, Möbel und Porzellan sollen Engländer und Franzosen bei dieser Gelegenheit eingesackt haben. Es war, als wären die Mongolen gekommen und hätten Versailles dem Erdboden gleich gemacht. Doch erklärt der barbarische Akt den heutigen Zustand der Gärten? Kloubert:
    "Den größten Teil haben die Chinesen selbst gestohlen oder geplündert. Der Yungmingyuan, der alte Sommerpalast, stand nach dieser Aktion monate- fast jahrelang leer und war jedem Zugriff offen. Das haben die Chinesen natürlich ausgenutzt."
    Zu Besuch in den Teehäusern, Bordellen und Pfandhäusern Pekings
    Die Geschichte der Zerstörung ist allerdings nur ein Teil des fabelhaften Garns, das Rainer Kloubert in "Yuanmingyuan" spinnt. Kloubert erschafft Paläste und Landschaften, Aussichtspunkte und Wasserspiele, Tempel und Teiche vor unseren Augen neu, füllt das wundersame Ensemble mit den Biografien seiner Erbauer und Bewohner und zeigt, wie imperiale Macht- und Prachtentfaltung eine magische Allianz eingingen mit Stille und Kontemplation. Rainer Kloubert:
    "Ach die Idee: einfach wahrscheinlich wie bei jedem: Freude etwas festzuhalten. Und zwar nicht allgemein zu schreiben, sondern detailliert zu schreiben. Einer, von dem ich immer sehr fasziniert war: Nabokov. Der auch nichts mit Ideologie zu tun haben will, sondern das verräterische Detail sucht."
    Über viele Jahre hat Rainer Kloubert solche Details gesammelt, Tausende. Und so flaniert der Leser im abschließenden Band der Trilogie nun mit Kloubert durch Pekinger Teehäuser und Restaurants, besucht Bordelle und Kneipen, Tempel und Rennbahnen, Badehäuser und Banken, Pfandhäuser und Märkte. Er begegnet Wahrsagern und Barbieren, Bettlern und Dieben, Hundefängern und Fäkalienhändlern und weiß am Ende auch wie die Schwalbenschwänze am Hinterkopf der Chinesinnen gebunden wurden. Zitat:
    "Verheiratete Frauen bevorzugten bedeckte Scheitel, bei denen die Trennungslinie mit Haaren camoufliert war. Der mittlere Teil der Haare wurde sodann gebündelt und auf der Grundlage eines flachen, ca. 32 Zentimeter langen, drei Zentimeter breiten und querliegenden Haarstabes aus Gold, Silber oder Jade nach beiden Seiten hin zu je einem länglichen Haarknoten geflochten bzw. aufgesteckt, mit schwarzen Spangen und Haarklemmen befestigt und mit einem roten Baumwollband, der Kopfschnur umwickelt. Der hintere Teil des Haares wurde nach unten zu einem Schweif flach ausgekämmt, anschließend nach oben hin zu einer Haartüte oder Haartasche zurückgerollt und schließlich so zurechtgestellt, dass das Gebilde einem gegabelten Schwalbenschwanz glich."
    Sachkenntnis, Sprachkompetenz und eine ungestillte Neugierde
    Wie aber, so fragt man sich immer wieder, wie konnte Kloubert solch fabelhaftes Detailwissen über eine vergangene Epoche zusammengetragen? Kloubert:
    "Meine Schwiegermutter ist aus Peking, gehörte einer großen Familie an, mit mehreren Kaufhäusern für Tuch mitten in Peking. Die ist 49 nach Taiwan gegangen aber lebte immer noch weiter in ihrer Welt. Was die Küche anbetraf, auch Opium, wie man Pfeife raucht. Dazu kamen noch Freunde von ihr, die auch aus Peking kamen. Ich brauchte nur das Wort Peking erwähnen, da flossen die schon über, völlig begeistert von ihrer Heimatstadt.
    Zu den mündlichen kamen schriftliche Quellen: chinesische Autoren ebenso wie auswärtige. Doch weder die pralle Fülle des chinesischen Lebens noch die Sorgfalt der Recherche können den traumartigen Zauber begründen, der von Klouberts Trilogie ausgeht. Kloubert will nicht belehren, er hat keine Thesen über das alte China und gehört schon gar nicht zu den vielen Händlern, von wenig haltbaren Analysen über seine Gegenwart und Zukunft. Der in journalistischen Texten weitverbreitete Gestus der moralischen Überlegenheit gegenüber China ist ihm vollkommen fremd. Rainer Kloubert hat sich die Fähigkeit erhalten, über das Land, in das er vor mehr als einem halben Leben kam, noch immer genauso zu staunen wie am ersten Tag. Zu diesem Staunen gesellen sich eine in Deutschland wahrscheinlich einmalige Sachkenntnis, Sprachkompetenz und eine auch nach Jahrzehnten ungestillte, beinahe kindliche Neugierde und Abenteuerlust. Das Ergebnis ist einfach nur herrlich. Besser als in Rainer Klouberts großer China-Trilogie kann man China wohl kaum nahe gebracht bekommen.
    Rainer Kloubert: "Peking. Verlorene Stadt"
    Elfenbein Verlag. Berlin 2016. 320 Seiten, 49 Euro
    Rainer Kloubert: "Peitaiho. Großer chinesischer Raritätenkasten"
    Elfenbein Verlag, Berlin 2012. 256 Seiten, 39 Euro
    Rainer Kloubert: "Yuanmingyuan. Spuren einer Zerstörung"
    Elfenbein Verlag, Berlin 2013. 256 Seiten, 39 Euro