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"China und Indien sind sehr, sehr restriktiv"

"Ich glaube nicht, dass es gelingt, zwischen 25 und 40 Prozent Emissionsminderungen in allen Industrienationen zu vereinbaren", sagt Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und ehemaliger Bundesumweltminister, angesichts des UN-Klimagipfels in Kopenhagen. Vor allem das Engagement der USA sei deutlich zu schwach.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist der SPD-Vorsitzende und ehemalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Guten Morgen!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Gabriel, ab welchem Ergebnis kann man von einem erfolgreichen Gipfel sprechen?

    Gabriel: Angesichts der Tatsache, dass ich auch nicht glaube, dass die konkreten Minderungszusagen so groß sein werden, wie wir sie eigentlich brauchen, wäre ein erfolgreicher Gipfel jetzt schon, wenn der Motor für den Klimaschutz stimmt, also wenn die Konstruktion, die in Kopenhagen für mehr Klimaschutz in der Welt gewählt wird, so ist, dass sie nicht durchlöchert werden kann, dass sie wirklich in feste Bahnen verläuft. Wenn man dann über die Zeit die Anstrengungen zum Klimaschutz verstärken könnte, dann wäre wohl schon von einem Erfolg zu sprechen. Wenn man den Motor jetzt durchlöchert durch allzu viele Ausnahmen, wenn er Konstruktionsfehler aufweist, dass nicht alle mitmachen, dann wäre es eine katastrophale Lage. So, wenn sie es heute Nacht hinkriegen, die Staats- und Regierungschefs, einen wirklich guten Klimaschutzmotor zu entwickeln, den man dann nach und nach höher laufen lassen kann, dann wäre das ein Erfolg. Ich glaube nicht, dass es gelingt, zwischen 25 und 40 Prozent Emissionsminderungen in allen Industrienationen zu vereinbaren, obwohl das eigentlich nötig wäre, und ich vermute, dass sich die Entwicklungsländer auch nicht zu so starken Minderungen einlassen werden, wie es auch nötig wäre. China und Indien sind sehr, sehr restriktiv.

    Heinemann: Welche Zahl wäre realistisch?

    Gabriel: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß nur, dass die Wissenschaft sagt, zwischen 25 und 40 Prozent bis 2020. Deutschland will Minus 40 Prozent erreichen, schon seit der letzten Regierungskoalition. Europa insgesamt im Durchschnitt Minus 30. Die USA bieten Minus vier bis sechs an. Da merkt man, wie weit die auseinander sind. Das ganze, kann man sicher fragen, warum eigentlich bis 2020, weil natürlich sich alle einig sind, dass man bis 2050 mehr als 80 Prozent der Treibhausgasemissionen weltweit in den Industrienationen beseitigt haben muss, aber solche Versprechungen bis 2050 machen Politiker tatsächlich super gerne, weil die müssen sie selber nicht mehr einhalten, das müssen dann unsere Enkel machen. Und zu prüfen, ob man es wirklich ernst meint mit dieser Zahl 2050, braucht man Mittelfristziele. 2020 ist ein solches Mittelfristziel und da sagt die Wissenschaft inzwischen, ihr müsst eigentlich Minus 40 Prozent schaffen. Bis vor kurzem waren es Minus 25 bis Minus 40. Na ja, und ich glaube, dass die Industrienationen es nicht schaffen werden, sich darauf jetzt schon zu einigen. Aber dann müssen sie wenigstens einen Klimaschutzmotor haben, der es ihnen erlaubt, in den nächsten Jahren schneller zu werden.

    Heinemann: Welche Zahl auch immer, wie garantiert man denn die Nachprüfbarkeit?

    Gabriel: Da gibt es inzwischen ja ausgefeilte Systeme in der internationalen Klimaschutzpolitik, wo sie Emissionen messen können und berechnen können. Das ist, glaube ich, nicht das Problem.

    Heinemann: Wenn Sie jetzt in Kopenhagen entscheiden dürften oder müssten, wie ließe sich aus Ihrer Sicht kurzfristig verhindern, dass die Temperaturen in den nächsten Jahren besonders stark ansteigen?

    Gabriel: Na ja, das ist gar nicht so schwer zu sagen, eben genau durch diese Minderung der Industrienationen. China, Indien und die großen Entwicklungsländer müssen zwar nicht gegenüber dem Ausgangsjahr 1990 senken, aber sie müssten ihre Emissionen zwischen 15 und 30 Prozent senken gegenüber ihrem ganz normalen Entwicklungsverlauf. Und das dritte ist: sie müssen eine Finanzierung hinbekommen, wo ein Anreiz entsteht, Treibhausgasemissionen einzusparen. Die, die viel emittieren und reich sind, die müssen in einen Klimaschutzfonds zahlen, und die, die arm sind oder wenig emittieren, die müssen daraus etwas herausbekommen, und das ist der nächste Knackpunkt, den die Bundeskanzlerin, glaube ich, lösen muss. Bislang war es in Deutschland völlig unumstritten und auch in Europa, dass die zusätzlichen Mittel für internationalen Klimaschutz natürlich nicht von der Armutshilfe abgezogen werden dürfen, die wir den ärmsten Ländern der Erde geben. Seit die CDU mit der FDP regiert, hat sich das geändert. Der Herr Entwicklungshilfeminister – der Name kommt mir dabei echt schwierig über die Lippen; der Titel fällt mir schwer zu nennen, denn er hat vorgeschlagen, dass man die Klimaschutzmittel von den Armutsmitteln abziehen soll, um den Haushalt nicht so stark zu belasten. Das finden die Entwicklungsländer, wie ich glaube, zurecht empörend. Man kann nicht Armutsbekämpfung oder Aids-Bekämpfung gegen Klimaschutz ausspielen. Da muss die Kanzlerin in Kopenhagen ein klares Wort sprechen.

    Heinemann: Angela Merkel hat dem ehemaligen US-Präsidenten George Bush, der jetzt nicht als Oberklimaschützer bekannt war, beim G8-Gipfel in Heiligendamm – 2007 war das – das Bekenntnis zu einem Klimaabkommen überhaupt abgerungen. Hat die Bundeskanzlerin dafür gesorgt, dass Kopenhagen überhaupt möglich wurde?

    Gabriel: Kopenhagen wäre so oder so möglich gewesen, weil es einfach jedes Jahr eine solche Klimaschutzkonferenz gibt und wir 2007 bereits beschlossen haben, dass in 2009 in Kopenhagen dieser Gipfel ein endgültiges Abkommen schaffen soll. Das Zugeständnis von George Bush in Heiligendamm ist ja nicht besonders viel wert gewesen. Sie haben sich danach ja sofort wieder davon entfernt. Und selbst unter Obama, der nun wirklich einen Wandel in der Klimapolitik herbeigeführt hat in seinem Land, muss man einfach sagen, was die USA da anbieten ist viel zu wenig und sie müssten jetzt dort in Kopenhagen wenigstens sagen, wenn sie bis 2020 nicht das gleiche schaffen wie die Europäer, wie sie in den Jahren bis 2025 und 2030 aufholen wollen. Das müssten sie mindestens anbieten. Sonst wird es ganz schwer sein, andere Industrienationen wie Kanada, aber auch Russland dazu zu bewegen, mitzumachen, und vor allen Dingen wird es ganz schwierig sein, die Chinesen dann zu überzeugen. Also die Amerikaner müssen ein Stück weitergehen, als sie bisher gegangen sind.

    Heinemann: Herr Gabriel, die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder hat im Jahr 2000 das sogenannte Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg gebracht. Ein Ziel: der Ausbau der Solarförderung. Nun gilt diese gesamte zugrundeliegende Technik der Fotovoltaik als teuerste Methode, weniger CO2 auszustoßen, 600 Euro pro Tonne CO2 Berechnungen zufolge. Können wir es uns leisten, ausgerechnet den unwirtschaftlichsten Weg einzuschlagen?

    Gabriel: Es geht nicht eins. Man kann nicht sagen, wir wollen die Technik der Zukunft entwickeln und wollen aus der Wüste Sahara Strom herausholen und vorher nicht in die Forschung und Entwicklung investieren. Ich staune immer, wenn wir konventionelle Techniken entwickelt haben, die im Zweifel viel mehr gekostet haben, wie beispielsweise die Raumfahrt, oder auch damals ein europäisches Flugzeug, dann war das alles unbestritten. Und auf einmal, wenn es um eine Energieerzeugung geht, dann sagt man, nein, nein, diese Investitionen, die sind eigentlich zu teuer. Manchmal habe ich den Eindruck, das liegt natürlich daran, dass sie Konkurrent sind für die, die bisher Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke betreiben. Ich erinnere mich noch gut: vor wenigen Monaten gab es Jubel in der deutschen Presse und in der Öffentlichkeit über diese fantastische Idee, mit Deserttec Strom aus der Wüste nach Europa zu holen. Das sind aber Solarkraftwerke. Die muss jemand entwickeln. Und die Deutschen haben eine Riesen Chance dadurch, dass sie das geschafft haben, nicht nur Strom im eigenen Land zu produzieren, sondern die Technik ins Ausland zu verkaufen. Bei uns hat das allein in Sachsen-Anhalt, glaube ich, einige Tausend Arbeitsplätze geschaffen. Man kann natürlich sagen, die 40.000 Arbeitsplätze in der Fotovoltaik, die schreiben wir mal in den Orcus. Ich nehme an, die Kosten, die dann auf dem Arbeitsamt entstehen, die sind deutlich höher.

    Heinemann: Aber man muss doch auch Rentabilitätskosten oder Berechnungen anstellen. Man kann doch nicht sagen, was unwirtschaftlich ist, wird einfach höher subventioniert.

    Gabriel: Nein. Das passiert ja auch nicht. Das Gegenteil ist ja der Fall. Die Subventionen sinken ja in der Fotovoltaik. Was wir machen ist sozusagen einen Beginn, eine Anschubfinanzierung, und am Anfang kosten solche Techniken immer Geld, aber natürlich – genau so ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz ja konstruiert – sinkt die Subvention jedes Jahr ein Stückchen mehr. Wir haben übrigens in der letzten Großen Koalition diesen sozusagen Sinkflug der Subventionen noch mal deutlich verschärft in der Fotovoltaik. Es ist ja nicht so, dass das jedes Jahr mehr wird, sondern im Gegenteil. Der Zwang muss auch da sein, dass auch diese Technik schneller wirtschaftlicher wird, und sie wird ja auch wirtschaftlicher. Aber so zu tun, als könnte man solche Techniken entwickeln, ins Ausland verkaufen, ohne dass man vorher investiert, das ist natürlich auch ein Kinderglaube.

    Heinemann: Herr Gabriel, ganz kurz zum Schluss: Ihr Wort des Jahres?

    Gabriel: Das habe ich auch eben überlegt. Ich glaube, das mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz wäre schon ein wirklicher Renner, obwohl es natürlich das Gegenteil ist. Wunschkoalition finde ich angesichts des Starts der Regierung auch ganz schön.

    Heinemann: Der SPD-Vorsitzende und ehemalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gabriel: Bitte schön.