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China wird seine Beziehungen zum Westen nicht ausgerechnet von einem Diktator auf dem Balkan abhängig machen

Capellan: Am Telefon begrüße ich nun Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, SPD. Guten Morgen Herr Scharping!

    Scharping: Guten Morgen!

    Capellan: Herr Scharping, erst der irrtümliche Beschuß der chinesischen Botschaft in Belgrad, der auf einen ja mehr als peinlichen Fehler des amerikanischen Geheimdienstes zurückgehen soll,

    Scharping: Das kann man wohl sagen, ja!

    Capellan: ... und dann gestern die Ankündigung, die jugoslawische Armee werde sich zumindest teilweise aus dem Kosovo zurückziehen. Der Druck auf die NATO, nun doch einem befristeten Waffenstillstand zuzustimmen, dürfte damit doch größer werden?

    Scharping: Nein, ich sehe das anders: erstens weil in einer militärischen Aktion solche auch tragischen Fehler leider nicht völlig zu vermeiden sind - ich denke, es wird kein dauerhafter politischer Rückschlag daraus werden -, und zweitens, weil sich diese Meldung von Tanjug gestern doch als ein nicht zu erhärtendes Propagandamanöver entpuppt. Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, daß dieser Abzug wirklich stattfindet. Im übrigen frage ich mich, wem sollte eine Feuerpause nutzen.

    Capellan: Aber wem schadet sie? Was würde das atlantische Bündnis denn wirklich verschenken, wenn es nun einen befristeten Waffenstillstand billigen würde, um Milosevic zu testen oder von mir aus auch vorzuführen?

    Scharping: Ich meine, getestet ist er ja nun wirklich über Jahre hinweg, und in diesen acht Jahren seit 1992 hat er den vierten Krieg auf dem Balkan begonnen. Er hat alleine jetzt im Kosovo rund 1,5 Millionen Menschen vertrieben, vermutlich über 100 000 umgebracht. Wenn dann die ganze Luftaufklärung und die Fernmeldeaufklärung keinen einzigen Hinweis darauf ergibt, daß nur ein einziger Soldat abgezogen wird, dann ist das ein weiterer Test. Und daß Milosevic gleichzeitig signalisiert, er wolle dann aber 30 000 Soldaten im Kosovo behalten, viel mehr als beispielsweise im Oktober des letzten Jahres international vereinbart war, daß er den Zynismus aufbringt, sagen zu lassen, diese 30 000 sollten die Rückkehr von Vertriebenen überwachen und sichern, das ist der Zynismus eines Menschen, der sagt, die Mörder sollen die Opfer der Vertreibung überwachen.

    Capellan: Dennoch noch einmal gefragt: Was würde man sich denn vergeben, sollte man diesem Waffenstillstand nun doch zustimmen?

    Scharping: Wer einer befristeten Feuerpause das Wort redet, muß sagen, was er danach tun will. Er muß vor allen Dingen einschätzen, was in dieser Befristung eigentlich geschieht. Da ist dann ein ungestörter Nachschub an Waffen und Munition für die jugoslawische Armee im Kosovo möglich, und das würde die mittlerweile beachtlichen Ergebnisse der Einschränkung von Kampfkraft und Mobilität der jugoslawischen Armee im Kosovo wieder ins Gegenteil verkehren. Gleichzeitig muß man sich überlegen, was das als politisches Signal bedeutet und was es auch innerhalb Jugoslawiens bedeutet, wo die Zeichen sich mehren, daß die Opposition gegen Milosevic, der Unmut, der Unwille, daß das alles zu wachsen beginnt.

    Capellan: Auf der anderen Seite muß man ja sehen, daß Russland und vor allem jetzt auch China eine solche Feuerpause fordern, um sich überhaupt an einer möglichen Friedenslösung im Rahmen der Vereinten Nationen zu beteiligen?

    Scharping: Russland fordert etwas anderes, gemeinsam mit den westlichen Staaten der G7, nämlich einen nachprüfbaren vollständigen Rückzug der jugoslawischen Armee, die Garantie dafür, daß die Flüchtlinge und Vertriebenen zurückkehren können und das unter internationalem Schutz. Wir haben ja als NATO, als westliche Staaten immer wieder gesagt, wenn es einen nachprüfbaren Rückzug oder den Beginn davon gibt, und zwar einen Rückzug, der am Ende vollständig sein wird, dann können die Waffen sofort schweigen. Es bleibt unverändert bei dem, was wir von Anfang an gesagt haben und dem ich persönlich aus vollem Herzen zustimme: Das Morden beenden bedeutet, daß auch die Waffen schweigen.

    Capellan: Wie wollen Sie denn China hier noch ins Boot holen, ohne einen Waffenstillstand?

    Scharping: Der Bundeskanzler wird nach Peking fahren, und ich bin ganz sicher, daß er zu einer realistischen Betrachtung beitragen kann. Es ist so wie im März: Auch China wird am Ende seine weltweiten Interessen, seine Beziehungen zum Westen, seine wirtschaftlichen Chancen nicht ausgerechnet von einem Diktator auf dem Balkan abhängig machen.

    Capellan: Aber da wären doch jetzt deutlichere Zeichen gefragt? Eine Verurteilung des Angriffes auf die chinesische Botschaft wurde im Weltsicherheitsrat verhindert, erwartungsgemäß muß man sagen, obwohl das ja andererseits das deutlichste Zeichen wohl in Richtung Peking gewesen wäre.

    Scharping: Ja, aber auch da rate ich zu einer realistischen Sicht. China wird sich daran erinnern, daß es beispielsweise aus höchst eigenartigen Gründen der Verlängerung eines UN-Mandates zur Überwachung der mazedonisch-jugoslawischen Grenze widersprochen hat und daß dies zu einer Destabilisierung auf dem Balkan beigetragen hat. Vor diesem Hintergrund: die internationale Staatengemeinschaft, auch China, die Vereinten Nationen insgesamt haben ein Interesse daran, die Konflikte auf dem Balkan zu beenden, und zwar auf eine Weise, die dauerhafte Stabilität garantiert. Man darf nicht vergessen, daß in der Zeit von 1992 bis 1998 sich der Weltsicherheitsrat insgesamt 83mal mit dem Balkan und der Situation im ehemaligen Jugoslawien beschäftigt hat. Alle Resolutionen des Weltsicherheitsrates sind gebrochen worden, mit einer einzigen Ausnahme: das Mandat nach dem Abkommen von Dayton und nach der robusten militärischen Garantie einer Gewaltfreiheit in Bosnien-Herzegowina. Das ist das einzige, was eingehalten worden ist. Das spricht sehr dafür, daß sie ohne massive und glaubwürdige Präsenz in einem solchen Gebiet wenigstens Gewaltfreiheit nicht werden erreichen können.

    Capellan: Herr Scharping, Sie haben eben betont, die NATO-Luftangriffe hätten bereits viel gebracht, aber die Vertreibung der Menschen aus dem Kosovo konnten sie ja nicht aufhalten. Wie soll es denn nun weitergehen?

    Scharping: Die Maßnahmen der NATO haben dazu geführt, daß Kampfkraft und Mobilität der jugoslawischen Armee im Kosovo sehr deutlich eingeschränkt sind. Wir haben deutliche Hinweise darauf, daß es in der sogenannten "Moral der Truppe" erhebliche Schäden gibt, daß immer mehr Kommandeure am Sinn der gesamten Operation zu zweifeln beginnen. Vor diesem Hintergrund will ich eine Feststellung bekräftigen, die ich auch aus Belgrad höre: Das Volk will den Frieden und die Stimmen mehren sich, ob es jetzt der ehemalige Generalstabschef oder die Stellungnahme des montenegrinischen Ministerpräsidenten, gemeinsam mit dem Belgrader Oppositionspolitiker Djinjic, daß in Serbien der Realismus wächst und die Einsicht, daß man diese verbrecherische Politik im Kosovo nicht fortsetzen darf. Vor diesem Hintergrund, man könnte es beschreiben, obwohl das ein bißchen zynisch klingt - es ist nicht so gemeint -, als einen Wettlauf mit der Zeit. Haben wir im Westen die Geduld und die Konsequenz, das Ziel anzusteuern, das wir uns vorgenommen haben.

    Capellan: Also die Angriffe werden weitergehen oder verstärkt werden?

    Scharping: Es gibt keinen Grund, die militärischen Maßnahmen zu unterbrechen. - Haben wir die Geduld und die Konsequenz, das Ziel anzusteuern und es dann auch zu erreichen. Ich bin sicher, wir werden es erreichen. Oder erlauben wir Milosevic erneut das zu tun, was er zuvor schon mehrfach getan hat und was Tausende von Menschen das Leben gekostet hat.

    Capellan: Der Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping war das im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen und auf Wiederhören!