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Chodorkowski-Freilassung
"Es ist Gnade statt Recht ergangen"

Nach der Freilassung von Kremlgegner Michail Chodorkowski hat der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz weitere Reformen angemahnt. Russland müsse sich von der Justizwillkür verabschieden, sagte Polenz im Deutschlandfunk.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Bettina Klein | 21.12.2013
    Bettina Klein: Für die Öffentlichkeit kam die Meldung überraschend: Vladimir Putin begnadigt einen seiner wichtigsten Widersacher, der wohl vor allem aus politischen Gründen seit zehn Jahren im Gefängnis saß. Doch so überraschend war es für die wirklichen Insider dann offenbar doch wieder nicht. In Abstimmung mit der Bundesregierung hatte der frühere Außenminister Genscher sich schon eine ganze Weile genau darum bemüht. Nach außen war nichts gedrungen. Nun hat Michail Chodorkowski seine erste Nacht in Freiheit verbracht und die gleich vergleichsweise luxuriös in Berlins Mitte, im Hotel Adlon, wenige hundert Meter Luftlinie von unserem Hauptstadtbüro entfernt. Am Telefon begrüße ich den langjährigen CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz. Er war bis zuletzt Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag, Herr Polenz!
    Ruprecht Polenz: Guten Tag, Frau Klein.
    Klein: Die Vermittlungsbemühungen dauerten, wie man jetzt hörte, also schon ungefähr zwei Jahre. Haben Sie davon etwas mitbekommen?
    Polenz: Nein. Von diesen Bemühungen nicht, aber ich habe wie viele andere Kollegen aus dem Deutschen Bundestag ja auch zu denen gehört, die versucht haben, dazu beizutragen, dass Chodorkowski nicht in Vergessenheit gerät. Wir haben den Prozess beobachtet, ich darf auch meine Kollegin Marie-Luise Beck erwähnen von den Grünen, die sich hier sehr engagiert hat. Also, es hat in Deutschland viele Politiker gegeben, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass die Angelegenheit von Chodorkowski nicht in Vergessenheit geraten ist.
    Klein: Aber diese konkrete Mission jetzt wurde als Geheimsache offenbar behandelt. War das richtig, und ist das üblich?
    Polenz: Es war jedenfalls erfolgreich, was die Freilassung angeht. Aber man darf natürlich eins nicht vergessen: Es ist Gnade statt Recht ergangen, und die rechtsstaatlichen Defizite, die Willkürjustiz in Russland sind davon unberührt. Man kann es vielleicht sogar als eine Art Bestätigung der Verhältnisse in Russland sehen, dass eben nur auf dem Wege der Gnade man zu seinem Recht kommt und nicht, weil Russland ein Rechtsstaat wäre.
    Klein: Herr Polenz, uns würde noch einmal interessieren, ging das jetzt eigentlich maßgeblich auf den früheren Außenminister Westerwelle zurück, der seinen Vorgänger und Parteifreund Genscher eingeschaltet hat?
    Polenz: Das weiß ich nicht. Es haben sich viele bemüht, und Genscher hat ja auch davon gesprochen, dass seine Bemühungen eng mit dem Bundeskanzleramt und mit der Bundeskanzlerin abgestimmt waren. Ich glaube, da haben viele in die gleiche Richtung gearbeitet, und ich bin auch Herrn Genscher sehr dankbar dafür, dass er sich hier so engagiert hat.
    Klein: Nach dem, was wir jetzt wissen – war das eine Art normale Vermittlungsmission einer deutschen Bundesregierung oder war es schon noch mal ein Spezialfall Genscher in diesem Fall?
    Polenz: Das kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, dass auch der Freilassung und dem Gnadenakt jetzt ein umfassenderes Kalkül von Putin zugrundeliegt. Er hat gesehen, und dazu haben eben viele beigetragen, dass der Fall Chodorkowski Russland immer noch schadet, weil er ein Beleg dafür ist, ein weltweit beachteter Beleg dafür, dass in Russland eben keine rechtsstaatlichen Verhältnisse bestehen, die Sicherheit geben auch gegenüber dem Staat. Und er hat kalkuliert und jetzt vor den Olympischen Spielen, und da mögen noch andere Gesichtspunkte dazugekommen sein, hat er sich dazu entschieden, im Rahmen dieser allgemeinen Gnadenerweise, die ja auch eher an mittelalterliche Gepflogenheiten erinnern, auch Chodorkowski freizulassen.
    Klein: Aber Sie würden den Faktor Olympische Spiele und die Frage nach dem Ruf Putins und Russlands schon als einen Hauptfaktor bei dieser Entscheidung jetzt sehen?
    Polenz: Ich glaube, dass Putin eine umfassende Kalkulation angestellt hat. Da gehört sicherlich auch noch dazu, ob er den Eindruck hatte, dass Chodorkowski ihm noch schaden könne oder nicht. Also, er hat, glaube ich, sehr nüchtern kalkuliert und sich so entschieden. Und dass jetzt Chodorkowski nach Deutschland ausgereist ist und dass es im Endergebnis dann auch deutsche Bemühungen, insbesondere jetzt die von Hans-Dietrich Genscher waren, das hat er sicherlich auch in sein Kalkül mit einbezogen, jetzt gerade hier dieses Signal zu setzen.
    Klein: Inwiefern kann das jetzt Vorbild werden für andere Häftlinge möglicherweise?
    "Ohne Rechtssicherheit kein wirklicher gesellschaftlicher Fortschritt"
    Polenz: Ja, es mag ja sein, dass der eine oder andere noch begnadigt wird, und das würde mich für jeden politischen Gefangenen freuen, aber unser Bestreben muss doch sein, im Rahmen der Diskussion über eine Modernisierungspartnerschaft mit Russland, an der wir Interesse haben – denn wir wollen ja intensive, gute Beziehungen mit Russland pflegen –, unsere russischen Partner davon zu überzeugen, dass ohne Rechtsstaat und Rechtssicherheit ein wirklicher gesellschaftlicher Fortschritt in ihrem Land nicht möglich ist. Denn nur, wenn die Bürger sich sicher fühlen in ihren persönlichen Entscheidungen, in ihren Investitionsentscheidungen, natürlich im Rahmen der allgemeinen und für jeden geltenden Gesetze, dann wird die Gesellschaft von sich heraus gestärkt. Ansonsten wird sie immer auf den Ukas aus Moskau warten, damit was voran geht.
    Klein: Wie wird diese Aktion, Herr Polenz, das deutsch-russische Verhältnis in den kommenden Monaten beeinflussen?
    Polenz: Ich denke erst mal, es ist ein positives Signal, das sehe ich so. Und man sollte es als einen Anknüpfungspunkt nehmen, um einen Rechtsstaatsdialog mit Russland im Rahmen dieser Modernisierungspartnerschaft weiter zu befestigen, um Russland eben davon zu überzeugen, dass es die eigenen Bürger stärker für den eigenen Staat gewinnt, wenn die sich auf ein fundiertes Rechtssystem und auf Rechtssicherheit verlassen können, und wenn Russland sich von der Justizwillkür verabschiedet.
    Klein: Wie einig ist sich denn nach Ihrer Beobachtung die jetzige, gerade kurz im Amt befindliche Bundesregierung, bestehend aus Union und SPD? Wo sehen Sie da noch die gravierendsten Meinungsverschiedenheiten, wenn es um die Russlandpolitik geht?
    Polenz: Also ich glaube, dass das, was ich Ihnen jetzt gerade gesagt habe, auch die Grundlinie der neuen Bundesregierung in der Russlandpolitik darstellt. Es geht dann um den einen oder anderen Akzentuierungsunterschied möglicherweise zwischen denen, die das Augenmerk etwas stärker auf die kritischen Punkte legen, und die anderen, die vielleicht etwas stärker betonen, was schon erreicht worden ist, aber das ist aus meiner Sicht kein fundamentaler Unterschied in der Russlandpolitik. Ich rechne damit, dass die Bundesregierung eine sehr konsistente und gemeinsame Russlandpolitik formuliert und auch praktiziert. Alles andere wäre auch zum Scheitern verurteilt.
    Klein: Und Sie sehen da den neuen Außenminister Frank-Walter Steinmeier komplett auf der Linie der Bundeskanzlerin?
    Polenz: Ja, und gegenseitig wird man sich austauschen und in den Einschätzungen über die weiteren Schritte sich abstimmen. Es ist wichtig, dass Deutschland hier nicht unterschiedlich wahrgenommen wird, je nachdem, ob der Außenminister oder die Bundeskanzlerin oder sonst ein Minister sich äußert. Wichtig ist gerade gegenüber einem so großen und wichtigen Land wie Russland, dass wir mit einer Stimme aus Deutschland sprechen. Und gut wäre es auch, wenn sich die Europäer immer stärker in der Außenpolitik der Europäischen Union auch sozusagen in einem gemeinsamen Korridor gegenüber Russland bewegen würden.
    Klein: Der langjährige CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Polenz!
    Polenz: Danke schön, Frau Klein!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.