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Chodorkowski-Freilassung
"Putins Entscheidung ist Zeichen von Schwäche"

In einem aufsehenerregenden Dokumentarfilm hatte Regisseur Cyril Tuschi Kremlkritiker Chodorkowski porträtiert. Dessen Begnadigung durch den russischen Präsidenten könnte der Rausschmiss eines für Putin "nervigen Moralsymbols" sein, vermutet Tuschi im DLF.

Cyril Tuschi im Gespräch mit Thielko Grieß | 21.12.2013
    Thielko Grieß: Berlin hat seit gestern einen besonderen Besucher, den früheren Ölkonzernchef Michail Chodorkowski. Er übernachtet in einem Hotel in Berlin Mitte. Über den Fall Chodorkowski gibt es einen Dokumentarfilm, der vor zwei Jahren Premiere hatte. In fast zwei Stunden trägt dieser Film die Chronologie des Falles zusammen. Wie Chodorkowski noch in den späten Jahren der Sowjetunion seine Karriere begonnen hat, dann in den 90er-Jahren zu Reichtum gelangte, wie er seine Ellbogen ausfuhr, um seinen Konzern Yukos aufzubauen und ihn zu schützen. Und wie er sich dann, Anfang des neuen Jahrtausends, politisch auf die Seite der Opposition schlug und schließlich in zwei Prozessen zu langen Haftstrafen verurteilt worden ist. Hinter diesem Dokumentarfilm steht Cyril Tuschi, und der ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Cyril Tuschi: Guten Morgen!
    Grieß: Sie haben Michail Chodorkowski für diesen Film auch getroffen. Wer ist dieser Mann?
    Tuschi: Er ist ein Einzelkind. Er ist ein – was ich immer wichtig finde, also – die beiden Eltern sind noch zusammen, und er hat irgendwie einen starken moralischen Kompass, der vielleicht in den 90ern eine Zeit lang auch nicht so sichtbar war für viele, weil er einfach normal die kapitalistische Logik sich sehr schnell angeeignet hat. Aber das hat ihn, glaube ich, auch so lange in den zehn Jahren der Haft am Leben erhalten mit einem nicht gebrochenen Rückgrat. Das ist meine Interpretation.
    Grieß: Sie meinen, er hat einen moralischen Kompass. Der weist immer in eine bestimmte Richtung, oder in eine Himmelsrichtung, eine moralische Himmelsrichtung. Welche ist das bei ihm?
    Tuschi: Bei mir selber?
    Grieß: Nein, bei Michail Chodorkowski.
    Tuschi: Na, einfach so, dass – natürlich kann man sagen, ja, man kann erst eine Moral entwickeln, wenn man es sich leisten kann. Das müsste man dann noch mal in Freiheit bei einem Interview prüfen, noch mal nachhaken. Aber auch da – er hat immer sozusagen die Familie und die Leute, mit denen er zusammengearbeitet hat, die hat er nicht verraten, so.
    Grieß: Es gibt ja sozusagen zwei gegenläufige Meinungen über den Fall Chodorkowski. Sie vermutlich argumentieren auch, dass er zu Unrecht verurteilt worden ist, ein politischer Häftling war. Aber wenn man sich in Russland umhört, und das haben Sie ja auch getan in Ihrem Film, dann hört man ganz gegenteilige Meinungen, er habe das russische Volk bestohlen, Rohstoffe gestohlen und diese zu seinem eigenen Reichtum verkauft. Halten Sie diese Haltung nicht auch für gerechtfertigt?
    Tuschi: Natürlich. Vor allem auch aus der Sicht von – wenn ich in Russland aufwachse und quasi wie in der DDR auch das System einen quasi klein hält, aber auch beschützt. Das war natürlich der kalte, steife Wind des Neuen, wo man sich beweisen muss in einer Marktwirtschaft. Und ich glaube, die Menschen sind auch – ich hatte noch nie sozusagen diesen Lockruf, dass mir jemand einen unmoralischen Deal anbietet. Aber wenn die Chance besteht und keine Gesetze da sind, und du kannst einfach alles machen, was du willst, dann gehst du auch vielleicht außer Rand und Band und machst auch fast alles, was du willst. Also so, dass du dann dein Geschäft so aufbaust und alle anderen dann untergehen. Und das war in den 90ern schon so. Wenn du schneller warst und klüger und einen schnelleren Zugang zu Ressourcen und Informationen, konntest du einfach Unternehmen so was von leicht bekommen und aufbauen, weil eben kein Gesetz, kein Staat da war, das zu regulieren. Das ist ja immer das Ding, mehr Freiheit im Business und Kontrolle im Staat, es gibt ja immer dieses Hin und Her. Und wenn es außer Rand und Band ist, dann macht man das halt.
    Grieß: Noch einmal zurück zu dem moralischen Kompass, den Michail Chodorkowski wiederentdeckt, ausgegraben habe irgendwann Anfang dieses Jahrtausends. Was, meinen Sie, was war denn der Anlass dafür?
    Tuschi: Schon sozusagen, das Praktische mit dem Nützlichen verbinden. Erstens hat er wirklich – es ist, glaube ich, nicht so zynisch wie bei Putin, dass er sagt, ich bin für mein Land, sondern er meint das wirklich – dass er sieht – dass er da was machen wollte und will für das Land, er aber auch wusste, dass, wenn er das Unternehmen nach westlichen Standards umbaut, dass dann der Aktienkurs hochgeht und er dadurch noch reicher wird. Also, das war eine Doppelmotivation, sozusagen eine Win-win-Situation.
    Grieß: Sie haben ganz am Ende Ihres Films eine Szene in diesem Film "Der Fall Chodorkowski", da besuchen Sie ihn in Haft. Und alles, was Sie trennt, ist eine Glasscheibe. Aber Sie sprechen mit Michail Chodorkowski, da war er noch in Haft. Wie sind Sie damals – wie haben Sie den Kontakt aufgebaut?
    Tuschi: Erst mal, zweieinhalb Jahre sind wir wie so einem Phantom hinterher gereist, und ich hatte auch eine Zeit lang nie gedacht, dass ich ihn jemals sehen werde, geschweige denn, mit ihm sprechen. Und dieses Interview, was ja wirklich singulär dann vorher und nachher war – also der Richter, das war in der Mittagspause vom Gericht, der hat sich danach auch sicher auf die Zunge gebissen, dass er uns diese Erlaubnis gegeben hat, zehn Minuten mit ihm zu sprechen. Weil wir einfach die ganze Zeit da waren, glaube ich, war das so, weil wir gefragt haben. Und die meisten, auch so Leute wie CNN oder große Organisationen, haben sich einfach gar nicht mehr getraut zu fragen, weil sie eh immer nur eine Absage bekommen haben. Und ich glaube auch, weil einfach vorher die Sabine Leutheusser-Schnarrenberger anwesend war, und der Richter, der auch ein bisschen aussah wie Doktor Doolittle, der Richter irgendwie vielleicht eingeschüchtert war. Das kann auch sein.
    Grieß: Sind Sie an irgendeiner Stelle eingeschüchtert worden?
    Tuschi: Nee, nein. Eher von der Angst der anderen. Also abgehört wurden wir sicher, und ganz klar, und die E-Mails und alles, aber das ist ja seit NSA auch schon wieder langweilig. Nee, so direkt wie russische Journalisten bin ich nie eingeschüchtert und – doch, natürlich! Als mein Büro ausgeraubt wurde und die Türen so eingebrochen wurden, da war ich sehr eingeschüchtert. Da bin ich auch ausgezogen und zum Freund gezogen. Da war ich wirklich sehr eingeschüchtert. Aber in Russland, und wenn das vorher passiert wäre, hätte ich das Projekt sogar abgebrochen. Also, ich bin da nicht so heldenhaft drauf.
    "Da wird noch viel im Hintergrund rauskommen"
    Grieß: Sie haben einmal in einem früheren Interview gesagt, das sei ein archaischer Männerkampf zwischen Chodorkowski und Putin. Ist Ihnen jetzt klar, wer den gewonnen hat?
    Tuschi: Das ist echt jetzt die wichtigste Frage. Ich bin erst mal froh, dass heute die ganze Familie nach Berlin kommt, auch der Sohn und die Eltern und so. Das ist jetzt, das Hotel Adlon wird jetzt also richtig in ein Familienfeierhotel … Ich weiß es nicht. Ich glaube, Putins Entscheidung, ihn raus zu lassen, ist kein, wie er sagt, kein Zeichen der Stärke oder der Souveränität eines Königs, sondern ein Zeichen der Schwäche. Er musste diesen Trumpf spielen aus irgendeinem Grund, den wir noch nicht kennen. Und diese Broker-Nummer von Genscher und Alexander Rahr verstehe ich auch nicht, wie das passiert ist. Was auch hoch symbolisch ist: Rahr und Genscher hatten ein Treffen mit Chodorkowski im Adlon, zehn Tage, bevor er verhaftet wurde, in Berlin. Und jetzt ist das wieder so. Also diese ganzen Sachen sind für mich rätselhaft, noch, aber sehr interessant. Und da ist noch viel im Hintergrund, was rauskommen wird, warum das alles so ist. Sehr merkwürdig, ehrlich gesagt.
    Grieß: Das ruft ja geradezu nach einem zweiten Teil Ihres Films?
    Tuschi: Genau. Das bereiten wir gerade vor, "The Return of Chodorkowski".
    Grieß: Das soll der Titel sein?
    Tuschi: Ja.
    Grieß: "Die Rückkehr des Chodorkowski". Obwohl, zurückgekehrt nach Berlin – da müsste er ja eigentlich wieder nach Russland zurückkehren.
    Tuschi: Ja genau. Das, was auch noch nicht klar ist, es könnte sein, dass Putin das jetzt so aufgebaut hat, als ob es so alles humanitär aussieht, damit er die Mutter sieht, aber es kann auch ein Rausschmiss sein, dass er sagt, oh, ich entledige mich dieses nervigen Moralsymbols. Und es kann sein, dass er nicht mehr zurück nach Russland kommen darf. Dass es ein Rausschmiss ist.
    Grieß: Haben Sie das Gefühl, dass er sich wieder politisch engagieren wird?
    Tuschi: Glaube ich so nicht. Ich glaube, das Hauptding ist erst mal, sich um die Familie zu kümmern, weil eine große Hypothek darauf liegt, zehn Jahre seine Kinder und Familie nicht zu sehen, finde ich. Und das Zweite wird sein, wird er, glaube ich, mit allen Mitteln kämpfen. Und deswegen ist es vielleicht auch gut, wenn er nicht in Russland ist, dass er all die Leute, die noch im Gefängnis sind, Freunde und aus der Firma, dass er die versucht, rauszuholen. Und da kann man mehr als ein Leben noch mit verbringen.
    Grieß: Glauben Sie, dass diese Freilassung jetzt der Anfang war, auch noch andere inhaftierte Geschäftspartner und Konzernmiteigner aus der Haft zu holen?
    Tuschi: Also, das wäre klug. Wenn das jetzt nicht so ein total blutiger Kampf würde, sondern wenn das sozusagen ein Anfang einer großen Freilassungswelle wäre. Also, das wäre – sonst würde das ja wieder verpuffen, der Medieneffekt für Putin, wenn man in der Richtung denkt.
    Grieß: Jetzt ist ja Chodorkowski in Berlin. Kann er da bleiben?
    Tuschi: Ich glaube, er hat ein Visum für ein Jahr oder so bekommen.
    Grieß: Richtig. Aber die Frage ist ja, ob Berlin die richtige Stadt für ihn ist.
    Tuschi: Das weiß ich nicht. Irgendwas hab ich gestern auch nur gehört von Schweiz und England. Also London, da sind ja eh viele, sehr viele noch von Yukos sind in London. Und in Tel Aviv ein paar, und Leonid Newslin, also auch sein Zweiter, der auch quasi die Firmenreste mit verwaltet hat, nachdem Chodorkowski im Knast gelandet ist. Also Schweiz habe ich jetzt gar nicht verstanden, obwohl die Kinder da studiert haben von ihm. Und Berlin ist natürlich so, weil jetzt die Bundesregierung so viel Druck ausgeübt hat, oder weil die einfach jetzt der Freilassungs-Broker war. Dass er dann hier landet, ja, das ist dann schon – und ich finde es interessant, dass jetzt so ein Kreis sich schließt. Hier, im Adlon wieder.
    Grieß: Für Sie ist das ja die Gelegenheit. Sie könnten hingehen und an der Rezeption fragen.
    Tuschi: Ich hab es gestern auch nicht gemacht, weil ich mir schon dachte, dass einfach Horden von Journalisten, die dann auf die Kosten von Deutschlandfunk oder BBC oder keine Ahnung sich dann einen Whiskey in der Hotelbar genehmigen und natürlich kein Interview bekommen. Würde ich auch nicht machen, weil das ist total unmoralisch. Ich würde erst mal ihn Weihnachten feiern lassen.
    Grieß: Und dann das neue Jahr beginnen lassen.
    Tuschi: Genau.
    Grieß: "Der Fall Chodorkowski", ein Dokumentarfilm. Und das war ein Gespräch mit dem Macher dieses Films, Cyril Tuschi. Danke für das Gespräch!
    Tuschi: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.