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Christen aus Syrien
Illegale Reise nach Europa

Sie kommen aus dem Irak oder aus Syrien, haben es bis in die Türkei geschafft, aber auch da fühlen sie sich nicht sicher: Christen auf dem Weg nach Europa. Illegal - aber dennoch legitim? Ein junger Christ erzählt von seinem Trauma.

Von Sabine Küper-Büsch | 31.07.2015
    Christen und kurdische Jesiden auf der Flucht im Nordirak
    Christen und kurdische Jesiden auf der Flucht im Nordirak (Marwan Ibrahim / AFP)
    Mit finsterer Mine schaut George Elias auf die Gotteskrieger mit den langen Bärten. Er sitzt in Istanbul in einem Internetcafé und chattet auf Facebook. Ein Freund aus Syrien hat ein Propagandavideo des Islamischen Staates geteilt. Drei junge Männer sind darauf zu sehen. Es sind Lastwagenfahrer im Norden des Irak. IS-Milizen zwingen sie zu beten. Die jungen Männer sind etwa so alt wie der Vierundzwanzigjährige. Offenbar wissen sie nicht, wie sie beten sollen - auf jeden Fall nicht in der Art, wie die Terroristen es für richtig halten. Das Video ist eine endlose Demütigungsszene. Sie werden schließlich erschossen. Die Gedemütigten wollten Lebensmittel aus dem Irak nach Syrien transportieren. George Elias ist fassungslos.
    "Sehen sie: Das ist es eben. Sie töten sie - im Namen Gottes, unfassbar."
    George Elias ist ein junger Christ aus dem Norden Syriens. Er gehört zur armenischen Minderheit. Die jungen Männer in dem Propagandavideo des IS waren Aleviten - also Muslime, die wie die Schiiten Ali, den Schwiegersohn des Propheten Mohammed, besonders verehren. Gleichzeitig teilen sie nicht das extrem orthodoxe Regelsystem des Islamischen Staates. Schon das macht sie zu Feinden der Dschihadisten. Erschwerend kommt hinzu, dass auch Präsident Baschar al-Assad Alevite ist, betont George Elias:
    "Das ist eigentlich vor allem ein Kampf zwischen Sunniten und Schiiten. Im Irak bekämpfen die sich schon seit zwölf Jahren. Jetzt sind auch die Aleviten in Syrien ein Teil dieses Kampfes. Da Assad Alevite ist, sind Aleviten neben den Schiiten ein Feindbild für den IS. Wir Christen stehen dazwischen. Sie wollen uns in den Kampf hineinziehen."
    "Christen werden behandelt wie die Personifizierung des Teufels"
    George Elias verließ Qamishli, seine Heimatstadt an der syrischen Grenze zur Türkei, vor zehn Monaten. Er unterstreicht, dass früher Sunniten, Schiiten, Christen und Jesiden in Syrien friedlich zusammengelebt haben. 2011 richteten sich die Demonstrationen zunächst nur gegen das autoritäre Assad-System. Dann zerbrach die Opposition in sich bekämpfende Fraktionen. Die Christen gehören zur schwächsten Minderheit.
    "Wir leben da als friedliche Menschen, wir sind keine Kämpfer. Momentan ist Qamishli total unübersichtlich, es gibt viele Flüchtlinge. Man weiß nicht, ob ein früher freundlicher Nachbar einen töten will. Oder ob der IS einen entführt. Da bleibt dann Christen die Wahl: entweder konvertieren oder Kopf ab."
    Aus der Region kommen immer wieder Nachrichten von Massenexekutionen. Vor einer Woche wurden 200 junge Christen im Nordirak nahe der IS-Hochburg Mossul ermordet. In Syrien sieht es ähnlich aus. Und auch in der Türkei fühlt sich Georges Elias nicht sicher. Vor 100 Jahren kam es in der Türkei zum Völkermord an den Armeniern. Davor sind seine Großeltern nach Syrien geflohen. Schon am Rande des Ersten Weltkrieges führten religiöse Konflikte zu Vertreibungen, Mord und Totschlag.
    "Ich hatte die Gelegenheit, nach Mardin, den ursprünglichen Heimatort meiner Familie in der Türkei zu reisen. Ich habe dort in der Kirche gearbeitet. Heute sind Christen dort eine verschwindende Minderheit. Die Leute dort sind noch ungebildeter als in Syrien. Das halte ich nicht aus. Christen werden da behandelt wie die Personifizierung des Teufels."
    "Wir brauchen internationale Unterstützung"
    Viele Flüchtlinge, die von Syrien aus in die Türkei kommen, gehören zur urbanen, gebildeten Schicht. Es sind vor allem junge Leute, die vor dem Krieg fliehen und ihre Ausbildung zu Ende machen wollen. Georges Elias hat zwei Semester Philosophie in Aleppo studiert, doch die Stadt ist mittlerweile vom Krieg komplett zerstört. Die Türkei ist den Christen auch deshalb als Aufenthaltsort unheimlich, weil Ankara trotz des Militäreinsatzes gegen IS-Stellungen in Syrien beschuldigt wird, den Islamischen Staat zu unterstützen, wie Andy Douham, Vertreter der Assyrischen Kirche des Ostens betont.
    "Es ist ein offenes Geheimnis: Saudi-Arabien und Katar haben den Islamischen Staat unterstützt und auch die Türkei hat beide Augen zugedrückt. Wir brauchen internationale Unterstützung und eine von der UNO eingerichtete Schutzzone, sonst wiederholen sich die Genozide der Vergangenheit."
    Für Georges Elias in Istanbul ist sein Ziel klar, er will nach Europa.
    "Ich möchte nicht mehr mit Krieg leben und auch nicht in einem Flüchtlingscamp. Ein Visum habe ich hier nicht gekriegt. An den Konsulaten der EU-Laender sagen sie uns, ihr müsst erst nach Europa, dort könnt ihr Asyl beantragen. Ich werde es jetzt über Griechenland versuchen, dorthin zu kommen."