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IS-Terror
Christen wünschen Vermittlungsoffensive

Die Terroristen des Islamischen Staats haben Millionen Menschen in Syrien und im Irak aus ihrer Heimat vertrieben. Unter ihnen sind mehr als eine Million Christen. Doch ihre Oberhäupter, die Patriarchen, lehnen militärische Gewalt gegen die Dschihadisten ab.

Von Marc Engelhardt | 22.09.2014
    Muslime beten am 19.09.2014 auf der Skalitzer Straße vor der Mevlana Moschee in Berlin während der Aktion der islamischen Verbände gegen Rassismus und Extremismus. Mit einem öffentlichen Friedensgebet und einer Kundgebung haben mehr als tausend Muslime in Berlin-Kreuzberg gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus demonstriert.
    Mit einem öffentlichen Friedensgebet und einer Kundgebung haben mehr als tausend Muslime in Berlin-Kreuzberg gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus demonstriert. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Gegen die Christen im Mittleren Osten wird ein Krieg geführt - daran hat Ignatius Yunan, der Patriarch der syrisch- katholischen Kirche von Antiochien, keinen Zweifel. 180.000 Gläubige im Irak, in Syrien und im Libanon zählt die Kirche. Die meisten von ihnen sind auf der Flucht vor dem Terror des Islamischen Staats - einem Terror, der seine Basis im Islam habe, so der Patriarch.
    "Der IS hat klar erklärt, dass er einen Heiligen Krieg führt im Namen des Islam. Das ist die Realität. Unsere Menschenrechte sind im Namen der Religion verletzt worden, und die Täter schwenken Fahnen, auf denen Koranverse stehen. Wir rufen die führenden Muslime in der Region auf, endlich aufzustehen und diese Untaten nicht nur zu verurteilen, sondern auch gemeinsam etwas gegen diese Terrorgruppe zu unternehmen, die im Namen des Islam einen Völkermord begeht."
    Doch das ist bislang nicht der Fall, beklagt der Patriarch. Zwar gebe es vereinzelt Stimmen gegen den Islamischen Staat - doch aus falschen Gründen.
    "Der saudi-arabische Mufti etwa hat den Islamischen Staat als Feind des Islams bezeichnet. Mit der Begründung, dass die Terroristen andere Muslime töten. Aber das reicht uns nicht aus. Wir erwarten, dass muslimische Führer den Islamischen Staat verurteilen, weil seine Mitglieder Unschuldige verfolgen und umbringen. Aber zumindest die Mehrheit von ihnen scheint nicht bereit, uns Christen Menschenrechte und volle Bürgerrechte in unserer eigenen Heimat zuzubilligen."
    Christen haben keine Bürgerrechte im mittleren Osten
    Dass der Mittlere Osten eine Region ist, in der Christen seit 2000 Jahren leben, kommt den Vertretern der dortigen Kirchen in den Debatten oft zu kurz. Deshalb haben sie eine diplomatische Offensive gestartet. Ziel ihrer Gespräche ist es, dass nicht nur die Extremisten des IS besiegt werden, sondern dass auch künftigen Terrorgruppen die Grundlage entzogen wird, wie der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, Louis Raphaël Sako, betont.
    "Vor 20, 30 Jahren war jeder Fünfte im Mittleren Osten ein Christ - heute ist es nicht mal jeder Zwölfte. Unser Problem ist die religiöse Herrschaft, die Regierungen im Namen Allahs, die uns Christen keine Bürgerrechte zugestehen. Wir waren eineinhalb Millionen Christen im Irak vor dem Zusammenbruch, heute sind wir weniger als 500.000."
    Syrische Kurden überqueren die Grenze zur Türkei.
    Syrische Kurden überqueren die Grenze zur Türkei. (AFP / Ilyas Akegin)
    Der angeblich Heilige Krieg, den die IS-Terroristen gegen die verbliebenen Christen führen, ist auch aus Sakos Sicht ein Genozid - der Versuch, die letzten Christen in der Region zu vernichten oder zu vertreiben. Um das zu verhindern, ruft Sako aber nicht etwa den christlichen Westen zur Hilfe - er wendet sich an die Muslime.
    "Eine politische Lösung der Krise ist möglich, wenn die arabischen Länder gemeinsam die Führung übernehmen und einen Dialog mit dem Islamischen Staat aufnehmen - oder ihn gewaltsam zwingen, zu gehen. All das ist besser als eine internationale Koalition, die dann Bomben wirft. Bombardierungen werden dazu führen, dass der IS den Sieg davon trägt."
    Bombardierungen verschärfen die Lage
    Mit ihren Appellen wenden sich die Christen gegen die aktuellen Entwicklungen. Die Luftschläge der US-Armee sind in vollem Gange, sie sollen ausgeweitet werden. Doch Patriarch Louis Raphaël Sako hält selbst kurzfristige Militärerfolge für unwahrscheinlich. Und er fürchtet, dass noch mehr Unschuldige sterben müssen - Christen und Muslime.
    "Bomben sind blind. Sie sehen nicht, wer in den Häusern lebt. Sie zerstören Häuser, Brunnen und andere Infrastruktur. Unschuldige werden sterben, und der Widerstand gegen die Bombardements wird dem IS neue Anhänger zutreiben. Arabische Staaten müssen einen dauerhaften Ausweg finden. Das Ziel muss eine tolerante Gesellschaft sein, in der Glaubensgemeinschaften friedlich miteinander leben können."
    Dreieinhalb Millionen Gläubige hat die chaldäisch-katholische Kirche, ihre Gründung geht direkt auf den Apostel Thomas zurück. Patriarch Sako, der bis heute in Bagdad ausharrt, denkt in langen Zeiträumen - und stellt langfristige Friedenshoffnungen über einen kurzfristigen Sieg des Stärkeren. Zumindest moralisch macht ihn das für viele Christen im Land schon jetzt zum Sieger über die Terroristen des Islamischen Staats.