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Christen in Syrien
"Fröhlichkeit gibt es nicht mehr"

Die Christen in Syrien geraten immer mehr zwischen die Fronten. Gefahr droht gerade an Weihnachten, wenn sich die Gemeinden zum Gottesdienst versammeln, berichtet Selwanos Boutros Alnemeh, syrisch-orthodoxer Erzbischof von Homs und Hama.

Von Ulrich Pick | 20.12.2013
    Ein Junge spielt in der syrischen Stadt Aleppo im Schnee.
    Besonders Kinder leiden unter den Folgen des Krieges in Syrien. (afp/AL-KHATIEB)
    "Wenn Sie Tag für Tag Krieg haben, dann erzeugt das Pessimismus. Wir spüren nicht, dass es irgendwo einen Lichtblick gibt. Dennoch hoffen wir natürlich auf Frieden und Sicherheit und dass die Christen in Syrien bleiben, denn das Land ist für uns heilig. Hier lebten Christen von Anbeginn. Zudem wächst die Zahl der Armen und wir haben zu wenig Helfer."
    Selwanos Boutros Alnemeh verwendet klare Worte. Die Situation in seinen Gemeinden, sagt der syrisch-orthodoxe Erzbischof von Homs und Hama, sei bedrängend und von Tag zu Tag werde die Lage schwieriger. Es herrsche Mangel an warmer Winterkleidung, Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung, und da der Bürgerkrieg kein Ende nehme, gingen immer mehr Christen ins Ausland. Dies sei bedauerlich, wenngleich auch verständlich:
    "Insgesamt leben etwa zwei Millionen Christen in Syrien. Annähernd eine halbe Million von ihnen haben bereits das Land verlassen. Wenn europäische Länder wie Deutschland die Einreisebedingungen erleichtern, könnten es auch noch mehr werden."
    Wie groß die Gefahr für syrischen Christen zurzeit ist, belegen zwei bislang ungeklärte Geiselnahmen. Ende April wurden im nordsyrischen Aleppo der griechisch-orthodoxe Metropolit Mar Gregorios Yohanna sowie der syrisch-orthodoxe Erzbischof Boulos Yazigi von Bewaffneten aus ihrem Auto heraus verschleppt und ihr Fahrer erschossen. Zudem sind seit Anfang Dezember zwölf Nonnen aus dem Kloster Mar Tikla im alten, christlichen Ortschaft Maalula verschwunden. In beiden Fällen ist über die Hintergründe und die Lage der Entführten nichts bekannt.
    "Bis jetzt haben wir keine richtigen Informationen über die entführten Bischöfe. Im Grunde genommen wissen wir nicht, ob sie noch leben oder nicht. Wir haben keine Infos, kein Video und niemand hat bislang mit uns verhandelt. Dagegen haben wir von den zwölf Nonnen aus Maalula ein Video auf Al Jazeera gesehen. Sie scheinen also zu leben. Aber von den Bischöfen gibt es kein Video. Diese Situation erzeugt natürlich Angst unter den Christen."
    Genossen die syrischen Christen vor dem Bürgerkrieg noch einen gewissen Schutz, sehen sie sich heute wachsender Diskriminierung ausgesetzt und zwischen allen Fronten. Für die Anhänger von Präsident Assad stehen sie immer öfter im Verdacht, der verlängerte Arm des Westens zu sein, speziell der USA, die dem Land wegen seiner Chemiewaffen noch vor wenigen Monaten mit einem Militärschlag drohten. Für die bewaffnete Opposition, die zunehmend von islamischen Fundamentalisten und Dschihadisten dominiert ist, gelten sie als Ungläubige und Parteigänger Assads, weil dieser ihnen über Jahre hinweg kleine Freiheiten gewährt hatte. Und so sind sie immer wieder in der Gefahr, Ziel von Anschlägen zu werden - gerade auch jetzt, wenn sich die Gemeinden zu Weihnachtsfeiern zusammenfinden.
    "Viele Häuser sind zerstört und wir haben viele liebe Menschen verloren. Trotzdem sammeln wir für unsere Kinder und werden eine Feier machen. Wir sammeln Lebensmittel und verteilen sie und wir beten für die, die wir verloren haben. Fröhlichkeit gibt es freilich nicht. Und wir müssen auch damit rechnen, dass uns selbst bei der Weihnachtsmesse ein Geschoss trifft."
    Mit großer Sorge beobachtet Erzbischof Selwanos den wachsenden Zustrom islamistischer Kämpfer. So etwas habe es in Syrien noch nicht gegeben. Für die Zukunft wünscht er sich vor allem Frieden und Sicherheit. Doch ob es die geben wird, ist ungewiss. Eher bestünde die Gefahr, sagt er, dass Syrien bald ohne Christen sein wird.
    "Momentan sehe ich die Gefahr nicht. Aber wer weiß: in ferner Zukunft. Wenn die Verfolgung der Christen anhält, dann wollen möglicherweise alle das Land verlassen."