Freitag, 29. März 2024

Archiv

Christenvertreibungen im Irak
"Islam ist nicht aufnahmefähig für Minderheiten"

Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad macht die radikalen Islamisten der ISIS für eine Welle der Christenvertreibung verantwortlich. Es sei traurige Wirklichkeit, dass die 2000-jährige Geschichte des orientalischen Christentums gerade zu Ende gehe, sagte Abdel-Samad im DLF.

Hamed Abdel-Samad im Gespräch mit Michael Köhler | 01.08.2014
    Zuletzt hatte ein Ultimatum der Milizen an die Christen in der nordirakischen Millionenstadt Mossul für weltweite Empörung gesorgt. Abdel-Samad betonte, vor den Christen seien schon die orientalischen Juden fast alle vertrieben worden. Diese gewaltsamen Prozesse seien Ausdruck eines Scheiterns der Islamischen Kultur. Sie erweise sich als eine Kultur, die nicht aufnahmefähig sei für Minderheiten, für andere Glaubens- und Denkrichtungen. Letztlich schade sich islamische Welt selbst damit.
    "Heuchelei" in Teilen der islamischen Welt
    Der Politologe meinte, die ISIS-Milizen hätten einen "Reinigungswahn", der sich auch gegen islamische Kultstätten richte. Dieser Wahn gehe wie die Vertreibung der Christen und Juden von der arabischen Halbinsel letztlich auf den Propheten Mohammed zurück.
    Teilen der islamischen Welt warf Abdel-Samad Heuchelei vor. Wenn wie jetzt im Irak und Syrien Muslime andere Muslime schädigten oder gar töteten, gebe es keine Empörung. Die sehe ganz anders aus, wenn die USA oder Israel als Aggressor ausgemacht würden.
    Lesen Sie das gesamte Interview mit Hamed Abdel-Samad hier:

    Michael Köhler: Der Terror der islamistischen Organisation Isis scheint kein Ende und keine Grenze zu finden. Die Miliz, sie wütet gegen Denkmäler und Moscheen. In den eroberten Teilen des Iraks und Syriens riefen sie unter weltweiter Aufmerksamkeit vor einigen Tagen das Kalifat aus, dann sollte es auch die Kaaba in Mekka sein, die zerstört werden soll. Was ihnen in die Hände fällt, wird zerstört.
    Den deutsch-ägyptischen Politologen und Publizisten, Verfasser des Buches, das gerade erschienen ist, "Der islamische Faschismus", Hamed Abdel-Samad, habe ich gefragt, warum fallen auch Moscheen, Denkmäler, Schreine, Heiligtümer, islamische Kult- und Kulturstätten den Milizen zum Opfer?
    Hamed Abdel-Samad: Weil es für den Islamismus eine Krankheit gibt. Es gibt die Krankheit des Reinigungswahns. Ein Islamist versucht alles, was nicht genuin islamisch ist, zu zerstören. Dazu gehören die Vertreibung von Christen, die Zerstörung von heiligen Stätten, Grabstätten. Es hat eine lange Tradition im Islam. Im 18. Jahrhundert hatten wir den Wahhabismus, der seine Existenz damit begründet hat, den Islam zu reinigen von allem, was unislamisch ist, und es begann damals mit der Zerstörung von Moscheen, wo es Grabstätten oder von Suffi- Mausoleen. Aber es geht aber auch zurück zum Mittelalter, zu Zeiten von und sogar zu Zeiten des Propheten Mohammed selbst, der diese Philosophie der Reinigung auf der arabischen Halbinsel begonnen hat, indem er sagte, ich werde die Juden und die Christen und die Polytheisten aus der arabischen Halbinsel vertreiben, sodass nur Muslime darin wohnen können.
    Fokus liegt auf Deutungshoheit des Islams
    Köhler: Östlich von Mossul wurde der Schrein des Propheten Jona gesprengt – ist Götzendienst nur eine vorgeschobener Grund, geht es um eine Schreckensherrschaft, um politische Destabilisierung, einen sunnitischen Machtbeweis, was meinen Sie?
    Abdel-Samad: Es geht um die Deutungshoheit über den Islam, und es geht natürlich um Macht und Einfluss und Kontrolle von Gebieten, und so war es immer in der islamischen Geschichte. Es gab eine Zeit, wenige Jahrzehnte nach dem Tod von Mohammed, dass Muslime gegen Muslime gekämpft haben in Mekka und dass die Kaaba in Trümmern zerstört wurde, weil die eine Gruppe meinte, die wahre Version des Islams zu vertreten, und die andere auch. Und das ist eine sehr lange Geschichte. Viele Bürgerkriege, nicht nur zwischen Sunniten und Schiiten, sondern auch innerhalb der sunnitischen Gruppen, weil jede Gruppe sich für die gerettete Gruppe hält, für die auserwählte Gruppe hält.
    Köhler: Fällt das Handeln der Milizen auf fruchtbaren Boden? Sie schreiben in einem Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit", es gehe um Demut und Tribut.
    Abdel-Samad: Ja, so ging der Islam immer mit Christen zum Beispiel um seit der Zeit des Propheten Mohammed. Natürlich gab's Schutz für Leute des Buches, das heißt; Monotheisten, Christen und Juden, aber es gab eine Gegenleistung, und die Gegenleistung war Sondersteuer, Kopfsteuer für Christen und Juden und natürlich Demut. Sie durften zum Beispiel keine neue Kirchen bauen, sie durften keine alten Kirchen restaurieren, sie dürfen keine Pferde reiten, sie durften die Bibel und die Kreuze nicht zeigen, und sie mussten sogar sich durch bestimmte Kleidung und Haarschnitte erkenntlich machen. Und deshalb ist auch diese Bezeichnung von den Häusern der Christen in Mossul keine Neuigkeit im Islam, sondern hat eine lange Tradition.
    Selbstaputation durch Extremisten
    Köhler: Übertreibt, wer sagt, die 2000 Jahre alte Geschichte des orientalischen Christentums geht gerade zu Ende?
    Abdel-Samad: Das ist keine Übertreibung, es ist eine traurige Wirklichkeit. Nachdem die orientalischen Juden alle vertrieben worden sind, fast alle, jetzt sind die orientalischen Christen dran. Das ist ein Ausdruck des Scheiterns der islamischen Kultur, wie ich finde eine Kultur, die nicht aufnahmefähig ist für Minderheiten, für andere Glaubens- und Denkrichtungen, betreibt Selbstamputation. Und nachdem die orientalischen Juden die arabische Welt verlassen haben, verlor die arabische Welt viel Kultur und Musik und Kunst, die ja von den orientalischen Juden initiiert wurde, und das gilt genau auch für die orientalischen Christen leider.
    Köhler: Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal darauf zu sprechen kommen, also nicht nur, dass die Christen aus Mossul ins kurdische Erbil fliehen – ob sie da sicher sind, ist noch die andere Frage –, noch einmal, damit vielleicht schließen, womit wir angefangen haben. Man reibt sich ja die Augen, dass auch die Zerstörung islamischer Kult- und Kulturstätten so verhältnismäßig unwidersprochen bleibt. Heißt das im Umkehrschluss, dass das begrüßt wird? Das kann doch nicht sein, oder?
    Abdel-Samad: Nein, das ist nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist, bei der islamischen Empörung ist nicht, wer das Opfer ist und was zerstört wurde, sondern wer hat das getan, das ist entscheidend. Wenn Muslime Grabstätten entweihen oder zerstören, wenn Muslime andere Muslime töten oder sogar enthaupten, fällt die Empörung aus. Aber wenn das vonseiten der USA oder Israel oder aus dem Westen, halt die klassischen historischen Feinde [machen], dann ist die Empörung groß. Das ist eine sehr selektive Empörung, ich nenne das eigentlich eine Heuchelei.
    Köhler: Das sagt Hamed Abdel-Samad, der deutsch-ägyptische Politologe und Publizist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.