Archiv


Christian Wulff stärkt Roland Koch den Rücken

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hat sich für eine hessische Regierungskoalition unter Roland Koch ausgesprochen. Dieser habe die meisten Stimmen bei der Wahl erlangt, sagte Wulff: "Und wer die meisten Stimmen hat, ist aufgefordert zur Regierungsbildung." Sowohl eine Jamaika-Koalition als auch ein schwarz-rotes Bündnis seien denkbar.

Moderation: Dieter Jepsen-Föge |
    Dieter Jepsen-Föge: Herr Ministerpräsident, die öffentliche Aufmerksamkeit konzentriert sich in diesen Tagen ganz auf Hessen und auf Hamburg - auf neue Koalitionsmöglichkeiten, neue Farbspiele. Niedersachsen segelt - oder eigentlich müsste man sagen "dümpelt" - gleichsam im Windschatten der Aufmerksamkeit. Stört Sie das?

    Christian Wulff: Überhaupt nicht. Wir wollen mit großer Stetigkeit, Verlässlichkeit weiterarbeiten mit unserer erfolgreichen CDU-FDP-Regierung. Dazu haben wir eine Mehrheit von den Wählerinnen und Wählern bekommen und wir können uns gleich an die Arbeit machen. Das ist für das Land allemal gut.

    Ich glaube allerdings, dass in einigen Monaten auch der Focus wieder stärker auf Niedersachsen gerichtet sein wird, wenn man die Erfahrung macht, dass es hier in einem Fünf-Parteien-Parlament mit einer dritten Oppositionsfraktion - der Linken - es trotzdem möglich geblieben ist, mit einer bürgerlichen Mehrheit aus CDU und FDP erfolgreich zu regieren. Das kann dann auch Modell für 2009 sein.

    Jepsen-Föge: Haben Sie einen besseren Wahlkampf geführt als Roland Koch in Hessen oder haben Sie Glück gehabt, dass es bei Ihnen auch in einem Fünf-Fraktionen-Parlament trotzdem reicht mit einer Zweier-Koalition?

    Wulff: In jedem Land sind die Bedingungen unterschiedlich, auch die Oppositionskandidaten sind ja verschiedene und die Themen sind zum Teil andere. Wir haben uns ganz auf das Land konzentriert - Arbeit, Bildung, Sicherheit, Umweltschutz, Klimawandel, Entgegnungen dem Klimawandel gegenüber. Und damit haben wir Erfolg gehabt. Wir hatten auch eine gute Bilanz, und haben vor allem die Arbeitsmarktfrage, die Wirtschaft in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gestellt. Und das hat sich als richtig herausgestellt.

    Jepsen-Föge: Es sind diesmal in Niedersachsen nur 57 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gegangen. Wenn denn Wahlbeteiligung auch ein Zeichen für demokratische Festigung ist, dann sieht es nicht gut aus um die Demokratie. Das müsste Ihnen doch Sorgen machen oder nicht?

    Wulff: Man muss das sehr differenziert sehen. Wir hatten in Bayern, in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz überall 52, 54, 58 Prozent Wahlbeteiligung, und die Wähler, die nicht gehen, sind zum Teil durchaus einverstanden, dass es so bleibt wie es ist. Also, es galt ja bei uns durch die Umfragen die Wahl als entschieden, es gab sehr schlechtes Wetter am Wahltag.

    Aber daneben gibt es auch eine ernstzunehmende Unzufriedenheit von Bürgerinnen und Bürgern mit den politischen Verhältnissen, mit der Demokratie, mit den Parteien, mit den Politikern. Das muss uns beschäftigen, denn es ist ja lange - über Jahrhunderte - gekämpft worden um dieses Wahlrecht, frei, gleich und geheim wählen zu können. Wenn dann immer mehr keinen Gebrauch davon machen, dann ist das schon ein Alarmsignal, das wir auch sehr ernst nehmen.

    Vielleicht wäre alles spannender, wenn es mal sechs Wochen vor einer Wahl keine Umfragen gebe. Dann wüsste jeder einzelne: Auf meine Stimme kommt es an. Und am Wahlabend wird ausgezählt, und dann wissen wir, wer wirklich die Regierung stellt. Ja, wenn Sie heute nach der Wahl etwas anderes machen als Sie vor der Wahl gesagt haben, dann haben Sie große Aufmerksamkeit. Wenn Sie das machen, was Sie vor der Wahl angekündigt haben, dann gelten Sie als langweilig. So kann es ja auch nicht sein.

    Jepsen-Föge: Okay, wir kommen darauf zurück, Herr Wulff. Das, was einen CDU-Politiker, der auch perspektivisch denkt - und das unterstelle ich ja mal - auch Sorgen machen müsste, sind Untersuchungen, die belegen, dass die CDU es schwer hat bei Jüngeren, bei höher Gebildeten, bei Frauen - und dass sich das sozusagen nicht auswächst, nicht nach dem Motto: Je älter sie werden, desto mehr kommen sie auch in die CDU rein. Beschäftigt Sie das?

    Wulff: Auf die Älteren haben wir uns in einer beeindruckenden Zahl verlassen können - also die Menschen über 60, das sind ja immer mehr, glücklicherweise immer vitaler, wir leben alle immer länger - auf die haben wir uns in ganz großem Maße verlassen können. Also nach wie vor kann man sagen, dass Menschen zunehmend staatsverantwortlicher werden im Laufe ihres Lebens - Eigentum, Wettbewerb, Marktwirtschaft schätzen lernen und dann auch in Richtung der CDU kommen.

    Auf der anderen Seite haben wir knapp 40 Prozent aller unter 30-Jährigen, die SPD unter 30 Prozent und die Grünen haben da 13 Prozent. Also, die Partei der jungen Generation ist in Niedersachsen bei der Landtagswahl die CDU gewesen. Aber bei jungen Frauen haben wir Probleme - offenkundig haben wir das Thema "Vereinbarkeit Beruf - Familie, Karriere, Berufstätigkeit der Frau" nicht so ernst genommen, wie das notwendig gewesen wäre.

    Jepsen-Föge: Und auch bei höher Gebildeten. Ist es sozusagen - ich vereinfache das mal - nicht schick, nicht modern, CDU zu wählen?

    Wulff: Vielleicht haben wir verlernt, für unsere Politik richtig zu kämpfen, richtig zu überzeugen, richtig durchzudringen. Vielleicht haben wir es uns auch zu einfach gemacht, dass so ein Thema wie die Studienbeiträge als sozial gerecht erkannt wird. Also da müssen wir ganz gewiss noch viel an Überzeugungsarbeit leisten.

    Dass manche aus Kreisen guter Einkommen sich auch eher eine Politik leisten auf Ausstieg, auf Verzicht von bestimmten Investitionen, Infrastrukturvorhaben, also dass in bestimmten akademischen Kreisen die Abwehr von Kraftwerken, von Stromleitungen, von Infrastrukturvorhaben größer ist, weil man sich das auch leisten kann, weil man nicht so elementar darauf angewiesen ist, dass der Strom bezahlbar ist, ist auch eine Erkenntnis, die wir machen in einer Wohlstandsgesellschaft. Also manche, denen es recht gut geht, die haben auch kein persönliches Risiko, wenn sie sich hinten einen Greenpeace-Aufkleber auf Auto machen.

    Jepsen-Föge: Apropos Greenpeace-Aufkleber. Vor 25 Jahren sind die Grünen zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag eingezogen. Daran erinnert man sich auch, wenn man jetzt sieht, wie die Linken - im Bundestag sind sie ohnehin -, die ehemalige PDS, jetzt die Linke, aber jetzt auch in vielen Landtagen, auch in Niedersachsen, in Hessen und Hamburg sitzen. Haben Sie da so etwas wie Déjà-vu-Erlebnisse? Sind also die Linken - haben die ungefähr eine Position, wie sie vor 25 Jahren die Grünen hatten?

    Wulff: Die Grünen haben ein Thema angepackt, das Thema Umweltschutz, Schutz von Naturwerten, von Pflanzenarten, Tierarten, von Lebensqualität und haben damit auch die anderen Parteien beeinflusst. Heute spielt das Thema Klimaschutz, das Thema Luftreinhaltung, Wasserqualität, überhaupt Umwelt- und Naturschutz eine ganz große Bedeutung bei allen Parteien, insbesondere auch bei der CDU - Schöpfung bewahren.

    Jepsen-Föge: Und die Linken heute mit dem Thema "soziale Gerechtigkeit". Ist das vergleichbar?

    Wulff: Ich würde es nicht vergleichen wollen, weil die Linken eine Partei sind, die reinen Populismus betreiben, die Dinge versprechen, die nicht zu halten sind, die nicht zu bezahlen sind und die sich auch eine Fassade gegeben haben - aus vermeintlicher sozialer Gerechtigkeit, was aber im Ergebnis Armut auf breitem Niveau bedeuten würde.

    Sie verbergen hinter ihrer Fassade Altkader, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden müssen, alte kommunistische Vorstellungen von Mauer, von Stacheldraht, von Geheimdienst, von Staatssicherheit. Wir haben das ja gemerkt, die DKP und andere haben dort Aufnahme gefunden, und das sind unappetitliche Zeitgenossen bei den Linken.

    Jepsen-Föge: Aber das kann sich ja wandeln, da kann sich ja die Partei der Linken auch von diesen Altkadern, wie Sie sie nennen, befreien, das ist ja auch gerade in Niedersachsen geschehen. In Ostdeutschland ist es ganz normal, das ist ein Koalitionspartner - kann es jedenfalls sein - für die SPD. Es ist in Ostdeutschland die Linke zum Teil die stärkste Partei. Warum kann man mit den Linken in Ostdeutschland zusammenarbeiten aber nicht in Westdeutschland?

    Wulff: Man kann es auch in Ostdeutschland nicht, und ich würde nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen. Man hat gerade in Niedersachsen einen Landesvorsitzenden, der gesagt hat: Die DDR war das sozialere Deutschland als die Bundesrepublik. Man hat einen Chef der Linken, der Wolf Biermann nach seiner Ausweisung aus der DDR bespitzelt hat und Berichte an die Stasi geliefert hat, Zuträger bei der Staatssicherheit war. Man hat hier erklärt: Wir entscheiden uns im Einzelfall über die Zusammenarbeit mit der DKP, wir können da durchaus uns Schnittmengen vorstellen. Man hat ja innerhalb der PDS auch die kommunistische Plattform. Und Kommunismus ist nun wirklich etwas, was ich mir nicht für denkbar in Parlamenten hier gehalten habe.

    Hans Modrow, der große Wahlfälscher in der DDR, der die Menschen dort missbraucht hat, unterdrückt hat, an der Freizügigkeit gehindert hat, ist dort der Ehrenvorsitzende. Er hat erklärt: Endlich haben wir wieder kommunistische Fraktionen in westdeutschen Parlamenten, erstmals seit über 50 Jahren sind sie wieder eingezogen. Das sind ja die Zitate, und die kann man nicht einfach links liegen lassen und sagen: Nun, das sind ja anständige Menschen, die Gutes wollen.

    Nein, die wollen ein anderes Land, eine andere Republik, andere Verhältnisse. Und die will ich nicht, und deswegen wird die CDU eine ganz kämpferische, argumentative, inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Brüdern betreiben müssen, denn wir trauen denen nicht und wir haben keinen Anlass, denen zu trauen. Denn die wollen ein anderes Land, und das wollen wir nicht. Und wir haben in Deutschland den Erfahrungsschatz von Nationalsozialismus und Kommunismus.

    Und ich hätte mir nicht träumen lassen achtzehn Jahre nach Herbeiführung der deutschen Einheit, dass hier noch einmal wieder Leute zum Nationalsozialismus oder zum Kommunismus neigen würden. Und damit müssen wir uns knallhart auseinandersetzen, das ist nicht meine Vorstellung von einem Deutschland in der Zukunft - weltoffen, demokratisch, freiheitlich, mit einer sozialen Marktwirtschaft, einer soliden Wirtschaftsordnung. Also hier wird richtig Tacheles geredet werden müssen.

    Jepsen-Föge: Gut, Sie spielen jetzt auf Hessen an. Aber irgendeinen Ausweg muss es ja geben, die Politik muss weitergehen, auch in Hessen.

    Wulff: Ja, es gibt viele Auswege, nämlich eine Zusammenarbeit von CDU, FDP und Grünen mit einer stabilen Mehrheit unter Ministerpräsident Roland Koch, es gibt die Möglichkeit einer großen Koalition mit Roland Koch als Ministerpräsident. Beides bietet sich an, dazwischen muss Roland Koch mit den beteiligten Demokraten entscheiden.

    Jepsen-Föge: Nun ist Roland Koch ja gerade für die SPD das größte Hindernis. Wären Sie in seiner Position, hätten Sie denn gesagt: Ich mache den Weg frei, damit vielleicht ein anderer als Ministerpräsident oder Ministerpräsidentin der CDU das Land regieren kann?

    Wulff: Nein, erstens ist das gar nicht erwartet worden von den anderen Parteien, gar nicht ins Gespräch gebracht worden, zweitens hat Roland Koch die meisten Stimmen bei der Wahl erlangt. Und das ist ja nun Demokratie, wer die meisten Stimmen hat, ist aufgefordert zur Regierungsbildung.

    Jepsen-Föge: Gut, gehen wir von Hessen zur Bundespolitik. Wird die CDU in künftige Wahlkämpfe, auch für die Bundestagswahl, mit der Alternative argumentieren: Entweder Union und FDP oder ein Linksbündnis?
    Wulff: Das ist für uns eine Chance, keine Frage. Wer links fischt, wer sich also ganz auf den linksradikalen Bereich, die auch im linksextremistischen Lager fischen, konzentriert, der lässt die dicken Fische in der Mitte, in der frischen Mitte an sich vorbei schwimmen. Und denen werden wir uns zuwenden müssen.

    Jepsen-Föge: Bündnispolitisch gesprochen heißt es, dass die Perspektive für die Bundespolitik ist, mit der FDP - das ist Ihr Wunschpartner -, und wenn das nicht reicht, dann eine Koalition mit der FDP und Grünen. Dazu die Frage: Finden Sie, dass es vernünftig ist, in Hamburg eine schwarz-grüne Koalition zu bilden - gleichsam als Vorläufer einer künftig größeren Dreier-Koalition im Bund?

    Wulff: Eine CDU-FDP-Regierung in Hamburg haben wir gewollt; die ist nicht zustande gekommen. Jetzt muss Ole von Beust entscheiden, ob er mit Herrn Naumann eine große Koalition macht, die natürlich die Ränder stärkt und die kleinen Parteien stark macht, oder ob er sich entscheidet, mit den Grünen zusammen den Versuch zu machen, Erfahrungen zu sammeln wie in Frankfurt, wie bei uns in Niedersachsen, in Göttingen und andernorts, wo die Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen auf Vertrauen basiert und gut funktioniert, wo Ökonomie und Ökologie gut in Einklang gebracht werden, allemal ein Modell, das man ausprobieren sollte, mit dem man Erfahrungen sammeln sollte.

    Es ist die erste schwarz-grüne Koalition dann in einem Bundesland. Also, so was muss auch mal ausprobiert werden. Demokraten sind untereinander grundsätzlich koalitionsfähig, und man muss mit den Wahlergebnissen leben, die die Wähler herbeigeführt haben. Man kann ja nicht so oft beliebig wieder wählen lassen, bis man dann das Wahlergebnis hat, das man sich wünscht. Es kann ja auch ganz anders kommen.

    Jepsen-Föge: Und deshalb zum demokratischen Spektrum, die miteinander koalitionsfähig sind, betrachten Sie die Grünen, aber betrachten sie nicht die Linken?

    Wulff: Die Linken haben sich überhaupt nicht abgegrenzt gegenüber Linksradikal, Linksextremisten, Kommunisten. Sie sind ein Sammelbecken, ein Sammelsurium und nicht koalitionsfähig.

    Jepsen-Föge: Sprechen wir über Inhalte. Sie sind ja auch gewählt worden, das zeigen ja alle Analysen, aus einer Protesthaltung heraus. Die Linke ist angewachsen, weil viele Menschen empfinden, dass es ungerecht zugeht in diesem Land. Also, was ist in der Sache tatsächlich passiert, ist da nicht etwas dran?

    Wulff: Die Aufschwungtendenz der letzten Jahre ist angekommen bei all den Menschen, die Arbeit gefunden haben, aber noch nicht fühlbar bei denen, die Arbeit hatten. Also die Zuwächse an Löhnen, an Gehältern - wenn ich mal von Metall, von Chemie und anderen Branchen absehe - sind nicht so, wie die Lebenshaltungskosten, die Energiekosten gestiegen sind. Und deswegen müssen immer mehr Menschen den Euro dreimal umdrehen, genau rechnen, genau gucken. Und diese Gruppe fühlt sich ein bisschen vernachlässigt.

    Jepsen-Föge: Haben Sie deshalb Verständnis dafür, dass etwa in Tarifverhandlungen jetzt Verdi - vorher war es IG-Metall, die anderen werden nachziehen - deutlich höhere Löhne verlangen?

    Wulff: Man sollte als Politiker sich sehr zurück halten bei Tarifverhandlungen. Das ist Sache der Tarifvertragsparteien, die haben die Verantwortung wahrzunehmen. Einerseits muss es jetzt zu angemessenen Lohnzuwächsen kommen gemäß der Produktivitätsgewinne, auf der anderen Seite darf das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden, weil das dann die nächste Rezession zur Folge hätte.

    Also, wir müssen alle behutsam in einem wachsenden weltweiten Wettbewerb vorgehen. Wir müssen Gewinner der Globalisierung bleiben, wir müssen Exportweltmeister bleiben, wir müssen interessant für Investoren aus der ganzen Welt bleiben. Und dazu bedarf es einer verantwortungsvollen, ausgewogenen Politik in Deutschland.

    Dass Rentner, Rentnerinnen beispielsweise in den letzten Jahren zu geringe Rentenzuwächse hatten wird ja niemand bestreiten wollen. Auf der anderen Seite ist das natürlich auch ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Die Zahl der Beitragszahler wird geringer, die Zahl der Rentenempfänger wird größer. Rücklagen sind nicht gebildet worden. Es ist ein Umlageverfahren. Das, was heute reinkommt, wird heute wieder ausgeschüttet. Und wenn wir alle die Aussicht haben, länger, wesentlich länger zu leben, werden wir alle auch wesentlich länger Rente beziehen. Und das muss natürlich auch erwirtschaftet werden.

    Insofern erfordert eine verantwortliche Politik für Deutschland eine ausgewogene Politik. Und man muss diesen Prozess auch erklären. Und ich werfe den Sozialdemokraten vor, dass sie mit dem Linksrutsch auf ihrem Parteitag zum demokratischen Sozialismus durch die Entscheidungen von Kurt Beck, über soziale Gerechtigkeit, Mindestlohn die zentralen Debatten zu führen, diesen Kommunikationsprozess vernachlässigt, den Menschen zu erläutern, da sind Dinge schwierig, die auf uns zukommen. Wolfgang Clement, Franz Müntefering.

    Jepsen-Föge: Aber das können Sie ja, Herr Ministerpräsident, Sie persönlich, und das kann die CDU ja auch tun. Man merkt ja, das ist ja unübersehbar, ein Vertrauensverlust in die soziale Marktwirtschaft überhaupt, dass Menschen finden, diese soziale Marktwirtschaft hält vielleicht der Globalisierung nicht stand. Ist da etwas dran?

    Wulff: Die Alten haben ja zum Beispiel zu uns gestanden. Die haben also sehr wohl Verständnis, dass es hier gewisse Opfer bedarf. Ich bin immer wieder beeindruckt von den Alten in Deutschland, die sagen, es geht uns gar nicht so sehr nur um uns, es geht uns darum, dass unsere Kinder, unsere Enkelkinder Arbeit haben, Arbeit behalten, gut ausgebildet werden, also ein ganz, ganz hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein.

    Das erlebe ich auch im Mittelstand, bei Handwerkern, bei Freiberuflern, bei Selbständigen, bei Händlern, bei Gastwirten, die ihr persönliches Risiko tragen, ihr Geld da drin haben, ihre Alterssicherung, und sich weit über 40 Stunden engagieren, die schlaflose Nächte haben - haben wir genug auf dem Konto für die Auszahlung der Löhne, der Weihnachtsgelder, der Urlaubsgelder? Also diese Verantwortlichkeit des Mittelstandes, die spielt eine zu geringe Rolle in unserem Land.

    Und einzelne schwarze Schafe unter den Managern, unter den Großindustriellen, unter denen, die nach Liechtenstein gehen, da gibt es eben einige, wo man fassungslos ist, die den Hals nicht voll bekommen können. Und die diskreditieren unser ganzes System, unsere ganze Marktwirtschaft. Ich wünschte mir hier eben im Mittelpunkt die Mittelständler, die Freiberufler, die Selbständigen, die machen Großes für unser Land, und leitende Angestellte und Leute, die etwas erfinden, erforschen, was anstoßen. Unsere soziale Marktwirtschaft - auf Eigentum, auf Freiheit, auf Wettbewerb basierend - ist das erfolgreichste Modell der Welt. Und es ist doch absurd, in einer Zeit, wo in Indien, in China auf Marktwirtschaft gesetzt wird, dass wir hier ein Ende der Reformpolitik und ein Ende der Marktwirtschaft propagieren wollen.

    Jepsen-Föge: Apropos Ende der Reformpolitik: Sie haben in Ihrer Regierungserklärung ja vor einem Stillstand der Reformen in der Bundespolitik gemahnt, gleichsam ein Appell an die große Koalition in Berlin. Haben Sie da Befürchtungen, dass es zum Stillstand kommt oder schon gekommen ist?

    Wulff: Ich bin ganz froh, dass man dann Tage später jetzt endlich wieder in Berlin zu Entscheidungen gekommen ist mit der Eigenheimrente, mit der Novellierung der Pflegeversicherung, mit der Opferentschädigung bei Gewaltverbrechensopfern, mit der Veränderung bei der Contergangeschädigtenrente, also dass hier die große Koalition schnell dann auch gezeigt hat, dass sie nun wieder regieren will, arbeiten will, handeln will, und dass man die Rücksichtnahme auf die Wahlkämpfe nun beendet hat.

    Jepsen-Föge: Also, die Regierung, die große Koalition ist handlungsfähig nach Ihrer Einschätzung?

    Wulff: Sie hat in den letzten Wochen bewiesen, dass sie handlungsfähig ist und bleibt. Und das ist ein ganz wichtiges Signal, dass unser Land regiert wird, dass die Verantwortlichen wissen, sie sind zum Arbeiten gewählt auf vier Jahre.

    Jepsen-Föge: Was muss sie vor allem tun? Was erwarten Sie vor allen Dingen noch von dieser großen Koalition? Sie haben zum Beispiel - noch mal Zitat - in der Regierungserklärung einen steuerpolitischen Neuanfang gefordert. Was soll neu angefangen werden?

    Wulff: Für mich ist wichtig weniger Staat, weniger Bürokratie, weniger Vorschriften, weniger Gängelung, ein einfacheres, nachvollziehbares Ertragssteuersystem. Auch ein neues Arbeitsvertragsgesetzbuch wäre gut, was das Arbeitsrecht, das individuelle, das kollektive, vereinfacht, handhabbarer macht für Unternehmer und Arbeitnehmer. Und vor allem auch eine Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik, der Arbeitsvermittlung. Das kann nicht alles von Nürnberg aus bestimmt werden. Wenn man jetzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

    Jepsen-Föge: Aber haben Sie da den Eindruck, dass sich die große Koalition, dass sich Union und SPD da einigen können? Da sind doch eher die Streitpunkte.

    Wulff: Ja, das ist schwierig. Natürlich ginge das alles viel einfacher mit einer bürgerlichen kleinen Koalition. Aber man muss es eben auch in der großen Koalition versuchen mit Verweis auf andere Länder, die durchaus auch sozialdemokratisch regiert waren.

    Die Niederlande, Dänemark, die haben durch Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik, durch Flexibilisierung des Arbeitsrechts, durch Verantwortungsverlagerung nach unten, wo man sich dem einzelnen Arbeitslosen zuwenden kann, auch mit starker Einbindung der Kommunen haben die eben große Erfolge gehabt. Und auf diese Erfolge sollten wir in der großen Koalition verweisen. Und wir haben ja mit Clement, mit Müntefering viel hinbekommen.

    Die Frage ist immer wieder: Verabschiedet sich die SPD von ihrer Verantwortung? Will sie nicht mehr regieren, sondern opponieren gegen die eigene Politik?

    Jepsen-Föge: Was ist Ihre Antwort?

    Wulff: Die SPD muss in ihrer verzweifelten Lage jetzt mit dem Erstarken der Linkspartei und im 30-Prozent-Keller über sich und ihre Strategie klar werden. Die SPD muss nach links integrieren, muss dafür sorgen, dass sie eine starke Volkspartei bleibt und links von ihr keine Partei im demokratischen Spektrum entsteht, so wie wir immer dafür gesorgt haben, dass im demokratischen Spektrum rechts von uns keine Partei entsteht. Die beiden großen Volksparteien SPD und CDU/CSU haben für die Entwicklung der Republik in den letzten 60 Jahren eine ganz große positive Rolle gespielt und Verantwortung.

    Jepsen-Föge: Kann es da nicht sein, dass am Schluss auch nach der nächsten Bundestagswahl diese beiden Parteien dann weiter regieren, dass das letztlich das Beste ist fürs Land?

    Wulff: Große Koalition ist etwas für den Übergang. Keiner kann es ausschließen, dass es weiter zur großen Koalition kommen muss, aber es ist eigentlich eher etwas für Ausnahmesituationen. Besser ist es, wenn man eine kleine Koalition an der Regierung hat und eine starke Opposition hat, die die Regierung auch treibt, auch Alternativen entwickelt und auch Protestpotenzial bei sich dann sammelt und es nicht am Rand entstehen lässt. Das sind Fragen, die jetzt mit dem Fünf-Parteien-System sich natürlich ganz akut stellen. Und ich glaube, die SPD muss stärker ihre Politik erklären und darf sich nicht so stark distanzieren von ihren eigenen Matadoren wie Müntefering und Clement, wie das in diesen Wochen der Fall ist.

    Jepsen-Föge: Aber es hilft der CDU. Sprechen wir vielleicht noch über ein Politikfeld. Die Energiepolitik ist wieder in die Diskussion gekommen. Wie kann - mal sehr kurz gefragt, was ja für die Bürger interessant ist -, wenn es einen Widerstand gibt gegen die Atomenergie, wenn es einen Widerstand gibt gegen den Bau von neuen Kohlekraftwerken, wie kann die Energieversorgung zu vernünftigen Preisen gesichert werden?

    Wulff: Überhaupt nicht. Sie wollten eine kurze Antwort.

    Jepsen-Föge: Ja.

    Wulff: Wenn das die propagierte Politik ist, dass man die Kernkraft nicht mehr will, wenn man Kohlekraft eigentlich auch nicht will, dass man alles nur durch Wind, Wasser und Biomasse produziert haben will, dann wird es nicht preisgünstig versorgungssicher sein, sondern werden wir total abhängig vom Ausland und ganz viel Geld dafür bezahlen, dass wir hier noch Strom haben.

    Jepsen-Föge: Aber Sie sagen wenn. Ist meine Analyse falsch, dass der Widerstand gegen Atomenergie und gegen Kohlekraftwerke so groß ist, dass es in der Bevölkerung kaum noch durchzusetzen ist?

    Wulff: Das ist die entscheidende Frage, ob Deutschland aus der Industriegesellschaft aussteigt oder ob wir ein Industrieland bleiben. Ich bin dafür, dass wir eins bleiben, dass wir die Papierindustrie bei uns behalten, die Stahlindustrie in Salzgitter, die Zinkindustrie in Nordenham. Niedersachsen ist ein Land mit sehr energieintensiven Branchen. Und die wollen wir langfristig in Niedersachsen halten. Und dazu brauchen wir versorgungssicher, preisgünstig, umweltgerecht Energie.

    Wir erhöhen die Windkraft immer weiter, auch auf dem Meer. Wir erhöhen die Biomasse, wir erhöhen Wasserkraft, wir machen Fotovoltaik, aber wir brauchen daneben auch Großkraftwerke konventioneller Art. Wir haben drei Kernkraftwerke. Die würden wir gerne so lange laufen lassen, wie sie sicher sind, dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Also der Atomausstieg ist so auch falsch. Aber daneben müssen auch Kohlekraftwerke modernster Technologie, sehr effizient unter Wärmenutzung, entstehen. Die Bremer bauen jetzt keines mehr nach Rot-Grün. Die Hamburger diskutieren mit Schwarz-Grün, ob sie noch eins wollen.

    Wir in Niedersachsen bauen eine Reihe von Kraftwerken und müssen der Bevölkerung erklären, dass es dadurch nicht zu mehr CO2 kommt, sondern zu weniger CO2, denn wir haben jetzt ein europäisches Emissionszertifikatehandelssystem. Und wenn ein neues, modernes Kraftwerk ans Netzt geht, gehen alte Dreckschleudern vom Netz. Und dieser Wandel, dieser technologische Erneuerungsprozess, der muss stattfinden. Und wir müssen diesen Strom, der im Norden jetzt produziert wird, auch in den Süden bringen über Stromtrassen. Und von den ganzen Stromtrassen im Höchstspannungsbereich entsteht die Hälfte bis 2015 in Niedersachsen, 400 Kilometer. Davon müssen einige unter die Erde. Da kämpfen wir mit der Bundesregierung, dass wir Freileitungen auch ersetzen durch Erdverkabelung.

    Jepsen-Föge: Das heißt auch, die Bundesregierung fordern Sie im Grunde auf, den bisherigen Energiekonsens aufzukündigen und einen neuen zu schaffen, der auch eine Verlängerung von Atomenergie und neuen Kohlekraftwerken ermöglicht?

    Wulff: Ich fordere die große Koalition in Berlin schlicht auf, überhaupt ein Energiekonzept vorzulegen, was uns preisgünstig, versorgungssicher, umweltgerecht in zehn, fünfzehn Jahren ausreichende Mengen Strom garantiert, die vom Verbraucher, vom Endkunden und von der Industrie auch bezahlt werden können. Das Konzept gibt es nicht.

    Man verweigert sich, der Wahrheit in die Augen zu schauen. Und ich biete an, dass wir hier Energieland sind, Erzeugungsland, Transportland, aber auch Endlager haben wir in Konrad und Gorleben verfügbar. Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen bei einem Gesamtkonzept, wo man auch Niedersachsen an den Erfolgen dieser Energiepolitik beteiligt und wo man auf unsere Ansätze und Argumente eingeht. Wenn der Bund jetzt meint, er könnte nur ein Beschleunigungsgesetz für Stromtrassen machen ohne auch Erdverkabelung vorzusehen, ist das eine Erklärung des Konflikts Niedersachsen gegenüber. Und das werden wir nicht hinnehmen. Man wird sich in Berlin überlegen müssen, wie man die päppelt und motiviert, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

    Jepsen-Föge: Herr Wulff, zum Schluss an Sie die Frage als stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU: Gemessen an den Sympathiewerten sind Sie heute eindeutig die Nummer zwei der CDU in Deutschland nach der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was bedeutet das für Ihr bundespolitisches Engagement?

    Wulff: Mein Platz ist natürlich in Niedersachen. Aber ich bin auch stellvertretender Bundesvorsitzender, Stellvertreter von Angela Merkel, habe mit ihr sehr viel Kontakt. Den haben wir auch intensiviert, und ich werde mich sicher zu Fragen der Finanzpolitik, der Wirtschaftspolitik, dem Arbeitsmarkt zu Wort melden, auch zur Energiepolitik, und meinen Teil mit dazu beitragen, dass wir 2009 ein gutes Wahlergebnis bekommen als CDU und CSU und dann mit der FDP zusammen regieren können. Das ist mein Beitrag, den ich bringen möchte, weil ich eine bürgerliche Regierung für Deutschland für zwingend erforderlich halte.