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Christlich-jüdischer Dialog
Ich bin nicht euer älterer Bruder

Alte Brüder gleich Altes Testament? Genau da liege das Missverständnis, meint Autor Gerald Beyrodt. Wer Juden gönnerhaft ältere Brüder nenne, ignoriere, wie viel nach der Zeit Jesu passiert sei. Und freundlich sei das auch nicht.

Von Gerald Beyrodt | 09.04.2019
Die Heiligen Isaac, Abraham und Jakob – Fresko in der Orthodoxen Felsenkirche Abuna Yemata Guh in Äthiopien.
Die monotheistischen Religionen haben Abraham als Stammvater ihrer Religion (ImageBroker / GuenterxFischer)
Komplimente gefallen mir immer. Egal, ob man mich intelligent oder gutaussehend oder sogar jung nennt und egal wie niedrig die Wahrheitsdichte des Komplimentes ist, ich freue mich über alles. Aber ich habe gelesen, dass Papst Johannes Paul der II Juden als "unsere älteren Brüder" bezeichnet hat. Das ist sicher besser als sein emeritierter Nachfolger Benedikt, der sich nicht sicher ist, ob Gott seinen Bund mit Israel aufrecht erhalten oder aufgekündigt hat. Aber irgendwie stört es mich, ein "älterer Bruder" zu sein. Zudem hat der Kirchenmann die jüdischen Frauen vergessen, aber "ältere Brüder und Schwestern" klingt in meinen Ohren nicht besser.
Nichts passiert seitdem
Zweifelsohne hat Johannes Paul der II. seine Aussage ganz nett gemeint. Die Juden - das sind doch die, die die man fragen kann, wenn man wissen möchte, wie es zur Zeit Jesu so war. Oder wenn man irgendeine Anspielung auf die hebräische Bibel nicht versteht, die man selbstverständlich Altes Testament nennt. Alte Brüder, Altes Testament: ist doch griffig. Und genau da liegt das Missverständnis.
Denn seit der Zeit Jesu hat das Judentum seinen Klerus abgeschafft, oder, seien wir ehrlich, gezwungenermaßen abschaffen müssen, hat kein Tieropfer mehr, hat an die Stelle der Opfer das Gebet gesetzt und hat sich weitgehend demokratisiert. Das riesige Werk des Talmuds, ein Paradebeispiel an Debattenkultur, ist erst nach der Zeit Jesu entstanden, ist also jünger. Viele Judaisten und Rabbiner sagen: Das rabbinische Judentum ist so weit vom antiken Judentum entfernt wie das Christentum vom antiken Judentum. Mir scheint: Wer uns gönnerhaft ältere Brüder nennt, ignoriert, wie viel nach der Zeit Jesu passiert ist. Früher sagten christliche Theologen "Spätjudentum", wenn sie die Zeit nach Jesus meinten, weil da eigentlich nichts mehr los sein konnte.
Das Jodeln des Pfarrers
Neulich habe ich im Netz nach Infos zum jüdischen Kerzensegen gesucht, den jüdische Frauen kurz vor Beginn des siebten Tages sprechen. Ich bin auf die Predigt eines protestantischen Pfarrers gestoßen. Etwa fünf Mal zitiert er in seiner Predigt den jüdischen Schabbatsegen - und das in hebräischer Sprache. Warum zitiert der Mann einen Spruch zu einem Ritual, das nicht zu seiner Religion gehört, in einer Sprache, die seine Gemeinde nicht versteht? Weil Judentum das Jodeln des Pfarrers ist: fremde Folklore. Weil das Judentum aus Sicht von manchen Christen so schön ursprünglich ist und weil es überhaupt Rituale hat.
Wenn der protestantische Pfarrer mit seiner Reformation nicht zurecht kommt, dann greift er halt zum Judentum. Offenbar kam er mit dem Hebräischen nicht sehr gut zurecht, denn er hat die Buchstaben falsch gelesen. Statt "lehadlik ner schel schabbat", Gelobt seist du Ewiger, der uns befohlen hat (…) das Schabbatlicht anzünden", hat er gelesen: "lehadlik ger schel schabbat". Beim Unterschied zwischen Nun und Gimmel kann man sich je nach Schriftbild leicht vertun, und ich möchte nicht wie ein naseweiser älterer Bruder erscheinen, aber jetzt holpert die Grammatik, und der Satz bedeutet: der uns befohlen hat, am Schabbat einen Fremden anzuzünden.