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Judentum im Unterricht
Entweder Opfer oder Täter

Eine neue Studie kommt zum Ergebnis, dass deutsche Schülerinnen und Schüler kein realistisches Bild des Judentums vermittelt bekommen. Juden werden entweder als Holocaustopfer oder als illegitime Besatzer im Nahen Osten dargestellt. Das hat auch mit der Lehrerausbildung zu tun.

Von Marie Wildermann | 13.02.2019
    Ein Schüler der Talmud Tora Schule in Hamburg schreibt das Alphabet auf hebräisch an die Tafel. Unten steht das Wort "lernen".
    Forscher kritisieren, dass im Schulunterricht ein verzerrtes Bild des Judentums vermittelt wird. (picture alliance / dpa)
    Genaue Zahlen gibt es nicht. Aber dass viele Schulen in Deutschland ein Antisemitismus-Problem haben, sei unstrittig, sagt Samuel Salzborn, einer der beiden Autoren der Studie:
    "Es gibt eine Reihe von Indizien, dass Antisemitismus in der Schule ein Problem ist, denken wir an die Vorfälle, die wir aus unterschiedlichen Bereichen kennen, denken wir nur an die Vorfälle von Schülerinnen und Schülern, die betroffen sind, sondern auch von antisemitischen Lehrkräften. Prominente Fälle hat es ja in jüngerer Zeit in Berlin und Oldenburg gegeben, mit unterschiedlichen Reaktionen. Berlin ist sehr schnell gegen diese Lehrkraft vorgegangen, in Niedersachsen wartet man noch bis heute auf eine ernsthafte Reaktion, das ist eine Facette. Die andere ist, dass die israelisch-deutsche Schulbuchkommission Schulbücher systematisch analysiert hat und sehr viele Mängel festgestellt hat, daran wollten wir auch unbedingt anschließen. Und schließlich: Eine andere Facette zum Thema Antisemitismus in Schulen ist, dass wir aus anderen Bereichen, beispielsweise der Jugendkultur, zum Beispiel dem Gangster-Rap wissen, dass Antisemitismus unter Jugendlichen ein großes Problem ist und es wäre arg verwunderlich, wenn sich das auf Schulen nicht niederschlagen würde.
    Vorfälle heruntergespielt
    Antisemitische Vorfälle werden nicht systematisch erfasst, es gibt kein Meldesystem, mit Ausnahme von Berlin. Vor allem aber gebe es in vielen Schulen kein wirkliches Verständnis von Antisemitismus, sagt Salzborn.
    "Das können wir aus der wissenschaftlichen Forschung ganz klar sagen, Antisemitismus ist nicht einfach nur ein Vorurteil, sondern ein Weltbild",
    in dem vor allem Juden für Probleme verantwortlich gemacht werden. Antisemitische Pöbeleien in der Schule würden häufig heruntergespielt, etwa wenn auf dem Schulhof "Du Jude" als Schimpfwort benutzt wird. Oder wenn Schülerinnen und Schüler dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen. Auch israelbezogener, linksextremer und islamischer Antisemitismus dürfe nicht relativiert werden. Im Unterricht lernen Schülerinnen und Schüler Juden vor allem als Opfer des Holocaust kennen. Jüdische Geschichte und Kultur vor und nach dem Holocaust ist nur sehr selten Unterrichtsthema. Der Zentralrat der Juden und die Kultusministerkonferenz haben das schon vor Jahren bemängelt und sich in einer gemeinsamen Erklärung 2016 verpflichtet, das zu ändern.
    "Das Bemerkenswerte ist, dass diesen Erklärungen relativ wenig gefolgt ist, die Schulbuchverlage haben kaum reagiert auf die Kritik. Das ist die eine Seite", sagt Salzborn. "Und die andere Seite: die Kultusministerien. Wir haben ja mit allen Kultusministerien gesprochen über Maßnahmen gegen Antisemitismus. Dass viele davon tatsächlich erklärt haben, naja, es gibt ja diese Erklärung von der Kultusministerkonferenz und dem Zentralrat, gegen Antisemitismus vorzugehen. Und dass man damit der Auffassung ist, das Problem sei erledigt."
    Probleme im Curriculum
    Die Studie von Salzborn und Kurth ist daher vor allem eine Mängelliste geworden über die Defizite des deutschen Schulsystems in Sachen Judentum. Die Autoren haben bei den einzelnen Bundesländern erfragt, wie sie Antisemitismus bekämpfen und ob das Judentum eine Rolle spielt im Unterricht. Der Befund: Die Wissensvermittlung beschränkt sich fast ausschließlich auf die Shoah und Israel wird hauptsächlich unter dem Aspekt des Nahostkonflikts betrachtet. Salzborn und Kurth haben auch die Lehramtsausbildung untersucht. Selbst an den Universitäten gebe es große Defizite, mit der Folge, dass nicht einmal Lehrkräfte die Geschichte des Judentums kennen.
    "Der Stand ist häufig der, dass Lehrerinnen und Lehrer von der falschen Voraussetzung ausgehen, als hätten Juden das historische Palästina zu einem bestimmten Zeitpunkt verlassen bzw. seien vertrieben worden nach der Zerstörung des Zweiten Tempels. Und dann – analog zu vielen Bildern auch in Schulbüchern, das deckt sich da – wie aus dem Nichts ab etwa 1880 dann als Eroberer oder Usurpatoren wieder nach Palästina zurückgekehrt", Jörg Rensmann vom Mideast Freedom Forum. "Und das sind gefährlich falsche Bilder, die ja in den Schülerinnen und Schülern eben das Bild evozieren, "als hätten Juden überhaupt kein Recht in Palästina dort zu sein, im historischen Palästina und als sei dann, als Folge dessen die Staatsgründung Israels illegitim."
    Differenzierte Schulbuch-Studie
    Das Mideast Freedom Forum hat, ebenso wie die deutsch-israelische Schulbuchkommission, untersucht, welches Bild deutsche Schulbücher vom Judentum und von Israel vermitteln. Das Ergebnis: In vielen Büchern werde der Nahostkonflikt nicht gleichberechtigt aus beiden Perspektiven dargestellt, sondern gehe einseitig zu Lasten Israels als Aggressor. Schulbücher verstärkten damit den Israel-bezogenen und palästinensischen Antisemitismus, den arabische Jugendliche häufig aus den Elternhäusern in die Schule trügen.
    Einer der renommiertesten Schulbuchverlage, Cornelsen, hat auf die Kritik der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission reagiert. Martin Kloke, Schulbuchautor des Verlags:
    "Wir haben diese Studie begrüßt, als wir auch gesehen haben, dass diese Schulbuchstudie sehr differenziert eingeht. Sie hat nämlich nicht nur Stichproben unternommen, sie hat tatsächlich eine systematische Analyse vorgenommen. In dieser Untersuchung wurden 400 Schulbücher der Fächer Geschichte, Geografie und Politik untersucht, bundesweit. Und da sind in der Tat Mängel. Und wir haben uns das genau angeschaut und auch miteinander diskutiert und haben festgestellt, ja, da ist was dran, da müssen wir noch Dinge ändern."
    Israel im Unterricht: Bild einer Kriegsgesellschaft
    In den neuen Auflagen soll das jetzt umgesetzt werden bzw. in einigen Büchern ist es schon geschehen. Dennoch gibt es Grenzen bei der Umsetzung, denn Schulbuchverlage müssen den Vorgaben der Lehrpläne entsprechen.
    "Wir haben natürlich das Problem, dass durch die Lehrplanvorgaben oftmals das Konfliktparadigma im Vordergrund steht und nicht etwa eine Beschreibung der israelischen Zivilgesellschaft, der multikulturellen Gesellschaft Israels. Und dadurch entsteht natürlich auch ein Problem auf lange Sicht, wenn Lehrpläne immer nur fordern, wir müssen den Nahostkonflikt vorstellen, dass die Schülerinnen und Schüler immer nur ein Bild von Israel vermittelt bekommen: Das ist eine bellizistische Kriegsgesellschaft, aber darüber hinaus erfahren sie nichts. Und das ist natürlich schon eine Schieflage, an der gearbeitet werden muss."