Donnerstag, 25. April 2024

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Christoph Höhtker: "Das Jahr der Frauen"
Ein fröhlicher Nihilist und Verführungskünstler

"Verrückt, lustig, aber auch deprimierend", so beschreibt Christoph Höhtker seinen neuen Roman. Im Mittelpunkt: Ein manischer und wortgewandter Frauenheld, der ironisch philosophierend und lustvoll durchs Leben taumelt. Für unseren Rezensenten "eine literarische Win-Win-Situation".

Von Christoph Schröder | 08.11.2017
    Skyline von Genf am Genfer See, aufgenommen am 06.01.2012
    Eine Lektüre zwischen Lachen und Erschrecken: Christoph Höhtker erzählt von "innerlich hohldrehenden Gespenstern", die in Genf ihr Unwesen treiben (dpa-Zentralbild / Britta Pedersen)
    Frank Stremmer ist schwer zu packen. Sowohl für den Leser als auch für sich selbst. Stremmer ist schnell im Kopf, schlau, schlagfertig, charmant. Und er verfügt über einen zynischen Humor, den man sich bestimmt gerne gefallen lässt, wenn man einem Mann wie ihm auf einer Abendgesellschaft begegnen würde. Er würde zumindest immer Schwung hineinbringen. Nachdem Christoph Höhtker Stremmer im vorangegangenen Roman "Alles sehen" in einem Kaleidoskop merk- und denkwürdiger Typen zurück nach Bielefeld geschickt hat, ist er, der verbal gewandte Halbpsycho, nun zurück in Genf.
    Eine kurios-geheimnisvolle NGO
    Dort hat er eine Anstellung in einer NGO gefunden. Was die Aufgabe dieser Einrichtung ist, weiß offenbar niemand so genau. Fest steht: Sie bringt wohl irgendwie Menschen zusammen. Sie hat sagenhaft viel Geld zur Verfügung. Und an ihrer Spitze steht ein vermeintlich altruistischer Charismatiker namens Raphael Gonzales-Blanco. Der hat nun eine Handvoll Menschen eigens dafür eingestellt, um sich selbst ein bleibendes Denkmal zu setzen.
    "Das Valparaiso-Projekt war ursprünglich als reine Autobiographie und Ghostwriter-Job gedacht: Der legendäre Chairman einer hochprofitablen Non-Profit-Foundation greift zum Zweitausend-Franken-Füllfederhalter und schreibt endlich einmal auf, was er wann wie ausgeheckt hat. Das war der Grund, warum man ein paar Leute, angeblich PR-Experten, einstellte und fortan aus den Mitteln der GEF-Communications-Abteilung sehr anständig bezahlte. Übrigens überwiegend Nicht-Englisch-Muttersprachler, um den Sound dieses bedeutenden Mannes authentischer rüberzubringen."
    Wie ein Ratgeber der Verführungskünste
    Der Job allerdings ist Frank Stremmers geringstes Problem. Wenn er denn überhaupt ein Problem hat. Denn in der Expositionsszene schließt Stremmer mit seinem Psychiater Dr. Niederegger im Januar 2013 eine zugegebenermaßen recht einseitige Wette ab: Wenn es Stremmer gelinge, ein Dutzend Frauen ins Bett zu bekommen, und zwar streng im Monatsrhythmus und ohne dafür zu bezahlen – dann dürfe er, Stremmer, sich endlich umbringen. In solchen Situationen lässt Höhtker als Entgegnung des Psychiaters immer nur drei bedeutungsvolle Pünktchen stehen. Was gibt es dazu auch noch zu sagen? Sowohl an der Ernsthaftigkeit der Wette als auch daran, dass es realistische Chancen gibt, sie zu gewinnen, besteht von Beginn an kein Zweifel. Denn Stremmer ist einer, der die Klaviatur des Rhetorischen beherrscht.
    "Das Jahr der Frauen" ließe sich auch als Ratgeber der Verführungskünste lesen. Allerdings funktioniert das alles möglicherweise auch nur deshalb so gut, weil wir es bei Stremmer mit jemandem zu tun haben, dem ohnehin alles egal ist.
    "Wie auch immer, wenn ich zurückblicke, fallen mir kaum Katastrophenszenarien mit Frauen ein. Sie sind immer da, obwohl ich ihnen andererseits nie wirklich nahestehe. Sie sind da, weil ich ihnen nicht nahestehe. Frauen, die mit mir zu tun haben, haben gleichzeitig herzlich wenig mit mir zu tun."
    Ein nicht wählerischer Frauenheld
    Ist das sexistisch? Möglicherweise. Doch darum ist "Das Jahr der Frauen" noch lange kein sexistisches Buch. Es sei denn, man könnte nicht zwischen Autor und Figur unterscheiden. Es ist etwas nicht in Ordnung mit Frank Stremmer. Nicht ohne Grund braucht er Dr. Niederegger als Rettungsanker und Zuhörer. Guten Rat sucht Stremmer schon lange nicht mehr; er muss sich nur hin und wieder ausquatschen. Hauptsächlich aber geht er auf Eroberungstour, um das selbst gesteckte Plansoll zu erfüllen. In seinen Mitteln ist er nicht wählerisch. Internet, Check-in-Schalter am Flughafen, Massagesalon. Die monatliche Ration an Weiblichkeit bereitet ihm keine allzu großen Probleme.
    Das liest sich so leicht und so ungemein unterhaltsam weg. Und doch schwankt man bei der Lektüre nicht selten zwischen Lachen und Erschrecken. Da ist etwas zwischen Stremmer und der Welt, eine dünne Membran, die nichts von dem durchlässt, was man normalerweise mit dem Begriff "Empathie" umschreiben würde.
    Jede verbale Volte ist Stremmer recht, und sei sie noch so abgedroschen - wenn sie nur zum Ziel führt. Heißt: Entweder eine Frau zu verführen oder auch sie schnell wieder loszuwerden.
    "Sie ist eine sehr gute, sexuell sehr ansprechende junge Frau, der ich unter normalen Umständen niemals diesen Quatsch von einer schweren Krankheit erzählen würde, einer Krankheit, die mich angeblich dazu zwingt, Genf im nächsten Monat zu therapeutischen Zwecken und für einen noch unbestimmten Zeitraum zu verlassen. Fünf, zehn Sekunden sagen wir nichts, dann jedoch füge ich hinzu, dass ich unter diesen Umständen eine Ehe nicht verantworten könne."
    Eine zivilisationskranke Houellebecq-Figur
    Selbstverständlich steckt hinter einem solchen Charakter, ob vom Autor gewollt oder nicht, ein gesellschaftsdiagnostisches Potential. Stremmer, der bis zur Finanzkrise 2008/2009 in einer Bank gearbeitet hat, ist auch eines jener innerlich hohldrehenden Gespenster, die die kapitalistische Gegenwart mit ihren Zwängen eben hervorbringt. Eine zivilisationskranke Houellebecq-Figur. Ein fröhlicher Nihilist, dem die Maßstäbe verloren gegangen sind. Die Saat von Stremmers kleinbürgerlicher Bielefelder Herkunft geht im Ackerboden des diskreten Genfer Business-Milieus perfekt auf. Eine literarische Win-Win-Situation sozusagen.
    Was "Das Jahr der Frauen" zu einer so aufregenden Lektüre macht, ist die komplette Unberechenbarkeit seines Ich-Erzählers, der zugleich aber auch ein talentierter Menschendurchschauer ist. Quasi als Fingerübung für die Biografentätigkeit lässt Höhtker seinen Protagonisten die Lebensläufe diverser Menschen, die ihm begegnen, auf absurde und ziemlich komische Weise frei assoziieren.
    "Leben? In der Summe uninteressant"
    Dass Stremmer mit seinen Spinnereien dabei erstaunlich oft ins Schwarze trifft, verleiht dem Roman eine surreale Note. Ein großer Spaß also, das Jahr der Frauen. Und dahinter? Geradezu dröhnende Leere. Eine Existenz im Konjunktiv.
    "Leben? In der Summe uninteressant. Die Dichte an wirklichen, nachhaltig in Erinnerung bleibenden Ereignissen ist so gering, dass man, wenn ein solches Ereignis einmal eintritt, nichts weiter spürt als den Nachhall der Leere, die die Periode zwischen den wenigen Höhepunkten eben nicht füllt. Eine lange, schnurgerade Autobahn, rechts und links komplett mit Lärmschutzwänden verkleidet."
    Genau so würde man Stremmers Weltsicht umschreiben. Christoph Höhtker jedoch setzt in solchen Szenen immer noch einen drauf, indem er seine Figur sagen lässt, dass auch all das wiederum kompletter Unsinn sei. Niemand weiß bei diesem Stremmer, woran er ist. Selbst der Drang zur Selbstvernichtung hat eine eingebaute Falltür. Das ist witzig, das ist tragisch. "Das Jahr der Frauen" hat einen Soundtrack: Es ist das gespenstische laute Kichern eines als Mainstreamtrottel getarnten Anarchisten, das auf jeder Seite zu vernehmen ist.
    Christoph Höhtker: "Das Jahr der Frauen"
    Verlag Weissbooks, Frankfurt am Main, 256 Seiten, 22,- Euro