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Chronische Erschöpfung
Crowd-Gelder für eine Studie

Medizin. - Das Chronische Erschöpfungssyndrom ist kaum erforscht. Ärzte und Wissenschaftler suchen – wenn überhaupt – eher nach Ursachen, als nach Therapien. Dabei gibt es ein Medikament, das vielleicht manchen Betroffenen helfen kann. Einer Norwegerin, die selbst mehr als 20 Jahre chronisch erschöpft war, ging es mit diesem Mittel besser. Und mit der zurückgekehrten Kraft versucht sie nun, die Forschung voranzutreiben.

Von Franziska Badenschier: | 14.02.2014
    "Ich wurde nach einer Infektion sehr krank, als ich noch ziemlich jung war. Es war das Epstein-Barr-Virus. Davon habe ich mich nie erholt."
    Maria Gjerpe leidet am Chronischen Erschöpfungssyndrom, kurz CFS für die englische Bezeichnung Chronic Fatigue Syndrome. In Deutschland sollen Hochrechnungen zufolge rund eine Viertelmillion Menschen betroffen sein. Die Norwegerin Maria Gjerpe reagierte seit ihrer Infektion immer wieder empfindlich auf Licht und Geräusche; sie hatte keine Kraft mehr und ständig Schmerzen. Schließlich wurde sie bettlägerig und konnte kaum mehr sprechen.
    "Das Erste, was ich bemerkt habe, war, dass ich Fragen beantworten konnte, ohne darauf vorbereitet zu sein. Ich kann wieder denken. Hallo! Ich kann wieder denken! Das war wirklich etwas."
    Geholfen hat ihr ein Wirkstoff mit dem Namen Rituximab. Das ist ein Mittel gegen Lymphdrüsen-Krebs. Dass es auch gegen das Chronische Erschöpfungssyndrom wirken kann, hat der Onkologe Oystein Fluge von der Universitätsklinik in Bergen zufällig entdeckt – bei einer Patientin, die sowohl Lymphdrüsenkrebs hatte als auch das Chronische Erschöpfungssyndrom.
    Fluge: "Sie war weniger erschöpft, während sie vor der Behandlung mehr oder weniger an den Rollstuhl gefesselt war. Jetzt konnte sie lange laufen, ihr Haus streichen, im Garten arbeiten, mit ihrer Familie zusammen sein."
    Es sieht also so aus, als ob erstmals ein Wirkstoff gefunden wurde, der das Chronische Erschöpfungssyndrom lindern kann. Auch wenn nicht jeder auf den Wirkstoff anspricht. Und auch wenn er wohl nur vorübergehend hilft. Nach fünf Monaten erlitt Fluges erste Patientin einen Rückfall. Ähnlich erging es auch anderen chronisch erschöpften Patienten, die daraufhin den Wirkstoff getestet hatten. Eine einmalige Gabe scheint nicht ausreichend zu sein. Oystein Fluge plant nun eine große Studie – mit Maria Gjerpes Hilfe.
    Gjerpe: "Die Haukeland Universitätsklinik hatte für diese Studie Forschungsgelder beim norwegischen Forschungsrat beantragt. Und als ich im Sommer 2012 gemerkt habe, dass ich wieder gesund werde, habe ich beschlossen: Wenn sie die Förderung nicht bekommt, dann werde ich das Geld sammeln. Als dann im November die Absage kam, habe ich gesagt: OK, dann machen das die Patienten."
    Das Vorhaben klingt paradox: Menschen, die keine Kraft haben, sollten nun die Kraft aufbringen, die Finanzierung zu organisieren, damit eine mögliche Therapie gegen ihr unverstandenes Leiden getestet wird. Tatsächlich startete Maria Gjerpe im März 2013, kurz nach ihrer vorerst letzten Rituximab-Infusion eine Crowdfunding-Kampagne – mit Blog, Twitter, Facebook, Reisen und Aktionen.
    "Ich habe es geschafft, Unterstützung von einem berühmten Intellektuellen zu bekommen. Er gab uns sein Schachbrett. Fußballspieler signierten T-Shirts und spendeten sie für die Kampagne. Und dann waren da all die Politiker, die vor dem Parlament standen, mit dem Symbol der Kampagne in der Hand, und so ihre Unterstützung gezeigt haben."
    Maria Gjerpe arbeitete bis zu 15 Stunden am Tag für die Crowdfunding-Kampagne: In drei Monaten gab es 4000 Spenden. Dabei kam aber nicht einmal die Hälfte dessen zusammen, was Maria Gjerpe sich als Ziel gesetzt hatte. Schlimm fand sie das trotzdem nicht:
    "Am letzten Tag meiner Kampagne meldete sich der norwegische Forschungsrat und hat gesagt, dass man den Rest des Geldes beisteuern werde. Also: Die Studie ist finanziert."
    In diesem Frühjahr wird es nun an mehreren norwegischen Kliniken losgehen – mit 144 Menschen, die das Chronische Erschöpfungssyndrom haben. Die Studie soll höchsten Anforderungen an eine medizinische Studie gerecht werden – und ein paar Jahre dauern.