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Samuel Huntingtons Bestseller
"Kampf der Kulturen" - 20 Jahre Irrtum?

Konflikte entstehen nicht mehr zwischen Nationalstaaten, sondern zwischen Kulturen, Konfessionen und Identitäten: Für diese These bekam Samuel Huntington 1996 viel Kritik. Heute ist "The Clash of Civilizations" ein Klassiker der Politischen Literatur.

Von Michael Köhler | 02.03.2015
    Der Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington 2005 in Neuhardenberg
    Der Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington 2005 in Neuhardenberg (imago / Christian Thiel)
    Buch und Autor sind von Anfang an Gegenstand eines Irrtums gewesen. Als Samuel Huntingtons Aufsatz zunächst in der einflussreichen Zeitschrift "Foreign Affairs" 1993 erschien, war der Titel mit einem Fragezeichen versehen. Er fragte nach einem möglichen Zusammenprall der Kulturen, dem konflikthaften Zusammentreffen, einer möglichen kulturellen Kollision: "Die Konfliktlinien in der Zeit nach dem Kalten Krieg werden zwischen den großen Kulturen und Zivilisationen verlaufen", so Huntington.
    "Huntingtons Irrtum" hält bis heute an
    Fälschlich wurde ihm gleich zu Beginn unterstellt, er behaupte, es gebe diesen Clash: Zivilisationen müssten notwendigerweise aufeinanderprallen. Bis heute erscheinen Artikel, die von "Huntingtons Irrtum" sprechen und ihm vorwerfen, er würde in Kategorien des 20. Jahrhunderts denken und die Welt in Blöcke aufteilen: in westliche, euro-amerikanische Zivilisation, in islamische, chinesisch-konfuzianische und latein-amerikanische. Das verkenne die großen Unterschiede innerhalb der Kulturen, ihre Diversität, beispielsweise zwischen Sunniten und Schiiten in islamischen Ländern. Überdies sei die Welt stark vernetzt und man könne keinesfalls so wie Huntington eine derartige Homogenität und scharfe Trennlinien unterstellen. Zudem sei der internationale Clash ausgeblieben. Wenn überhaupt, gebe es einen intranationalen Clash. Im Kongo und in Nigeria bringen Afrikaner Afrikaner um, in Ägypten und Syrien ermorden Muslime Muslime.
    Man hat Huntingtons Buch und These immer kulturalistisch gelesen: nicht Ideologien oder Ökonomien spalten die Welt, sondern Zivilisationen. Das war lange vor 9/11 und dem internationalen Terrorismus. Er schrieb: "Das zentrale Thema dieses Buches lautet: Kultur und die Identität von Kulturen, auf höchster Ebene also die Identität von Kulturkreisen, prägen heute, in der Welt nach dem Kalten Krieg, die Muster von Kohärenz, Desintegration und Konflikt."
    "Ära der Harmonie" ist nicht ausgebrochen
    Huntingtons Buch bringt die Sorge eines amerikanischen Ostküsten-Intellektuellen zum Ausdruck, dass die Staaten ihre Zivilisationen nicht mehr im Zaum halten können, nicht befrieden und zivilisieren. Er fürchtet, dass vorgelagerte kulturelle Überzeugungen die staatliche Ordnung und das Recht mit Füßen treten.
    "Die Euphorie nach dem Fall der Mauer ist verschwunden. Die Vorstellung, westliche Werte würden sich einfach so in der Welt ausbreiten und eine Ära der Harmonie würde ausbrechen, das ist doch einfach nicht passiert."
    Huntington antwortete damit auf die These vom "Ende der Geschichte" des Politologen Francis Fukuyama, der vom Sieg liberaler Demokratien und Wirtschaftsordnungen nach dem Fall der Mauer ausging. Huntington wurde deshalb gern in die Ecke rechter Scharfmacher gestellt, die vor Eurabia und einer Welt aus Kopftüchern, Minaretten und Burkas warnen. Heute wissen wir, Al Qaida ist nicht der Islam. Aber es sind islamistische Terroristen, die ihr Konzept von Zivilisation Teilen der Welt aufzwingen wollen. Dazu Huntington:
    "Muslimische Länder waren in den letzten zwei Jahrzehnten in ungefähr fünfzehn kleineren Konflikten mit nicht-islamischen Gruppen involviert. Ich glaube nicht, dass es etwas Wesentliches mit der inhärenten Theologie oder Doktrin des Islams zu tun hat. Ich vermute, es liegt an einigen politischen Problemen, so etwa am starken Bevölkerungswachstum oder auch daran, dass diese Länder oft von Regierungen gelenkt werden, in denen viele nicht-muslimische Politiker sitzen."

    Großer Einfluss der Religionen

    Huntington hat weniger in der Analyse seiner Kulturkreise Recht als vielmehr in einem vorgeordneten Aspekt. Es ist nämlich der Einfluss der Religionen, der konfessionellen Weltanschauungen, kurz dessen, woran Menschen jenseits von Verfassungen glauben. Es geht um die vorpolitischen Grundlagen von Zivilisationen in Staaten. Dieser politisch-kulturelle Aspekt seines Buches wurde gern kleingeredet.
    Als Kulturtheoretiker ist Huntington schwach. Als politisch-kultureller Analyst ist er stark. Und nicht vergessen: das Buch ist 20 Jahre alt.
    "Gleichwohl wurzeln die wesentlichen Unterschiede in der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Kulturkreise eindeutig in ihren unterschiedlichen kulturellen Grundlagen."
    Die Vernetzung und Durchmischung ist heute noch weit größer als vor 20 Jahren. Wie wichtig eine sogenannte "Identitätspolitik" für Staaten ist, und wie fatal, wenn sie scheitert, haben gerade die Attentate in Frankreich gezeigt.
    "Das Wort "clash" hat im Englischen eine sehr umfassende Bedeutung. Mir scheint, wir steuern in der Weltgeschichte auf eine Situation zu, in der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen immer häufiger miteinander interagieren. Und das wird zu mehr oder minder schweren Konflikten führen. Und ein Hauptthema ist ja, wie schafft man es zu verhindern, dass Konkurrenz-Konflikte auf niederer Ebene zu einem großen Krieg der Zivilisationen eskalieren", so Huntington.
    Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21 Jahrhundert
    Deutsch von Holger Fließbach
    Goldmann Taschenbuch 1996, 592 Seiten, 13 Euro