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Claudia Rikls Debüt "Das Ende des Schweigens"
Krimi über die düsteren Geheimnisse der DDR

Kaum ein literarisches Genre eignet sich so gut für Vergangenheitsbewältigung wie der Kriminalroman. In dem erstaunlich sicher geschriebenen Debüt „Das Ende des Schweigens“ von Claudia Rikl kommen dunkle Geheimnisse bei der Nationalen Volksarmee der DDR ans Licht.

Von Antje Deistler | 12.07.2018
    Buchcover: Claudia Rikl: "Das Ende des Schweigens"
    Claudia Rikls Krimidebüt "Das Ende des Schweigens" folgt den Spuren von NVA und DDR-Geschichte (Buchcover: Kindler/Rowohlt Verlag; Hintergrund: picture alliance / Nicolas Armer)
    Kriminalromane fangen in aller Regel mit einer Leiche an. Dann stellt sich heraus: Der oder die Tote starb keines natürlichen Todes. Womit die Ermittlungen beginnen. Wer dieses Schema variiert, verdient Anerkennung. Claudia Rikl gelingt das in ihrem Debüt "Das Ende des Schweigens" auf originelle Weise: Sie lässt ihr Mordopfer nicht einfach sterben - sondern doppelt. Der alte Hans Konrad war gerade dabei, in seinem einsam gelegenen Haus in Brandenburg Selbstmord zu begehen, als ihn jemand unterbricht und stattdessen grausam hinrichtet. Es stellt sich heraus, dass der Tote ein vielfach gehasster Mann war. Zu DDR-Zeiten überzeugtes Parteimitglied und Major bei der NVA, passte er sich nach der Wende erstaunlich schnell an und wurde sehr reich.
    Gewalt, Schikanen und Tod bei der Nationalen Volksarmee
    Für die in der DDR aufgewachsene Autorin Claudia Rikl boten sich die dunklen Seiten der Nationalen Volksarmee als Thema ihres ersten Kriminalromans beinahe zwingend an:
    "Dieses Thema besitzt eine gewisse Allgegenwart für einen ehemaligen DDR-Bürger. Wir sind ja schon in der Schule mit Propaganda konfrontiert gewesen, die sich ein Bundesbürger so vielleicht gar nicht vorstellen kann. Wir wussten schon Bescheid über die zahlreichen Sonnenseiten der Nationalen Volksarmee. Aber hinter vorgehaltener Hand - jeder hatte ja immer ne öffentliche Meinung und ne private - hatte man schon gehört, dass es eine Institution ist, wo Menschen niedere Instinkte auch ausleben können. Ich hatte eine Deutschlehrerin, die erzählte mir von ihrem Bruder, der bei der NVA gequält und schikaniert wurde, da hatte ich das erste Mal Kontakt mit solchen Geschichten und war davon sehr betroffen und später dann, das war kurz vor der Wende, hat sich in meinem Bekanntenkreis ein junger Mann das Leben genommen aus Angst vor den Schikanen bei der NVA, und mein Freundeskreis war kolossal betroffen, tief bestürzt, und auf einmal war dieses Thema so nahe gerückt. Das legt man nicht mehr ab."
    Claudia Rikl zeigt in ihrem Debüt eine erstaunliche, beinahe kaltblütige Ruhe beim Erzählen. Sie lässt sich viel Zeit, ihre Geschichte und ihre Charaktere zu entwickeln. Gerade aus dieser Ruhe heraus bezieht ihr 500 Seiten dickes Buch seine Spannung. Da ist die stark erholungsbedürftige Frau, die auf der Suche nach ihrem Ferienhaus durch Brandenburg irrt, ausgerechnet in die Datsche des Mordopfers marschiert und bei dessen Anblick sofort zusammenklappt. Nur langsam enthüllt Rikl, dass diese Zeugin nach einem Burn-Out gerade erst aus der Klinik entlassen worden war und dass sie schon deshalb gegen jeden ärztlichen Rat zu recherchieren beginnt, weil sie Journalistin ist. Auch die charakterlichen Tiefen und Untiefen des offiziell mit der Ermittlung betrauten Kommissars Herzberg werden nur nach und nach offengelegt. Als ehemaliger Gefangener in Bautzen leidet er an den psychischen Folgen der Haft und muss sich von Kollegen den Vorwurf gefallen lassen, diesen Fall für einen persönlichen Rachefeldzug zu missbrauchen.
    "Herzberg griff nach der Klinke, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Er wollte das hier nicht länger. «Mach auf, verdammt!» Auf seinem Rücken brach der Schweiß aus. Färber kam ganz dicht vor ihm zum Stehen. «Es geht hier darum», begann er mit einem wütenden Flackern in der Stimme, «wer die richtige Vergangenheit hat. Und du bestimmst darüber.» «Quatsch!» Mehr brachte Herzberg nicht heraus. Seine Luftröhre fühlte sich eng an, er bekam fast keine Luft hinein. Sein Blick flog durch den Raum, der schmal und eng war. Fensterlos. Nicht mehr als eine Zelle. Und er spürte ihre fatale, steinerne Präsenz, als säße er noch immer darin."
    Erzählen zur Verständigung zwischen Ost und West
    Diesen Krimi werden ostdeutsche Leserinnen und Leser wahrscheinlich anders rezipieren als Westdeutsche. Hochinteressant ist er für das Publikum auf beiden Seiten der früheren Grenze. Im Osten wird man vieles wiedererkennen, für Westler ergeben sich Einblicke in fremde Erfahrungen und Gefühlswelten. Genau diese Nebenwirkung ist Claudia Rikl wichtig. Für sie ist das Schreiben - auch und gerade von Kriminalromanen - tatsächlich eine Form der Vergangenheitsbewältigung, und der aktuellen Verständigung:
    "Mit der DDR ist ja nicht nur ein Staat untergegangen und ein Machtapparat, sondern ganze Wirtschaftssysteme, in die Millionen von Menschen integriert waren. Und als das alles wegfiel und man den Arbeitsplatz verlor, mussten doch viele Menschen eine Entwertung gelebten Lebens hinnehmen. Und ich glaube, das sollten wir öfter thematisieren, uns darüber austauschen, auch voneinander sprechen in Ost und West. Das Erzählen sehe ich als eine gute Möglichkeit an, um zu zeigen, wer seid ihr? Wer sind wir? Wie ticken wir, welche Gründe hat das? So kann eigentlich ein gesamtdeutsches Miteinander sehr gut oder viel besser gelingen. Und das tut auch Not. Wenn wir uns gerade in der politischen Landschaft so umsehen und dem Unverständnis darüber, dass ja so viel AfD gewählt wird, dass so viel Wut und Frust in der Bevölkerung, besonders im Osten, da ist."
    Glücklicherweise ist "Das Ende des Schweigens" trotz dieses Anspruchs weder ein Thesenroman, noch eine pädagogisch-politische Abhandlung geworden. Ganz im Gegenteil. Claudia Rikl hat einen klug konstruierten Krimi geschrieben, der vor allem unterhält und der zeigt: Ebenso wie die kollektiven Traumata der Wendezeit wirken die Verbrechen in der ehemaligen DDR bis heute nach. Nichts ist erledigt, kaum etwas vergangen. Das müssen die Ermittlerfiguren schmerzhaft erfahren. Beide stoßen auf überraschend intakte Netzwerke ehemaliger Militär- und Stasigrößen. Und auf Menschen, die bis heute unter den Taten der Mächtigen von damals leiden müssen. Am Schluss dieser traurigen Geschichte kann es kein Happy End geben. Trotzdem freut man sich auf das nächste Buch von Claudia Rikl. Ihr zweiter Krimi um Kommissar Herzberg aus Brandenburg wird im Frühjahr 2019 erscheinen.
    Claudia Rikl: "Das Ende des Schweigens"
    Kindler Verlag Hamburg, 528 Seiten, 14.99 Euro