Donnerstag, 25. April 2024

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Claus Michelsen (DIW)
"Der Arbeitsmarkt steht sehr gut da"

Trotz zahlreicher Meldungen über Jobabbau in der deutschen Industrie sieht Arbeitsmarktforscher Claus Michelsen eine günstige Arbeitsmarktentwicklung. Allerdings würden viele Unternehmen bei Gewinneinbußen am Ende eines Konjunkturzyklus Mitarbeiter entlassen, sagte Michelsen im Dlf.

Claus Michelsen im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 04.07.2019
Mitarbeiter im Ausbildungszentrum der Siemens Professional Education an der Verdrahtung eines Schaltschranks.
Arbeiter bei Siemens - "Von Massenarbeitslosigkeit kann keine Rede sein", sagt Claus Michelsen (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
Tobias Armbrüster: Wir hören solche Meldungen zurzeit fast jeden Tag. Jobabbau in der deutschen Industrie. Deutsche Firmen, die Tausende von Stellen streichen. Solche Meldungen kommen gerade von der Deutschen Bank, von der Telekom, von Ford, von Thyssen-Krupp, BASF und Siemens, und die Liste ließe sich fortsetzen. Viele fragen sich da, wenn immer sie solche Meldungen hören, was passiert da gerade am Arbeitsmarkt. Bricht da ein größeres Stück vom Kuchen weg? Müssen wir uns möglicherweise wieder auf steigende Arbeitslosenzahlen gefasst machen in Deutschland? – Wir fragen nach bei Claus Michelsen. Er ist Arbeitsmarkt- und Konjunkturforscher beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Schönen guten Morgen!
Claus Michelsen: Guten Morgen.
Armbrüster: Herr Michelsen, ist das Jobwunder in Deutschland vorbei?
Michelsen: Das Jobwunder ist in Deutschland nicht vorbei. Wir haben nach wie vor eigentlich eine sehr, sehr günstige Arbeitsmarktentwicklung, die jetzt ja schon einige Jahre anhält. Wir sehen die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Wir haben starke Lohnzuwächse und auch die Wirtschaft ist nach wie vor sehr, sehr gut ausgelastet.
 Claus Michelsen, Abteilungsleiter  nimmt an einer Pressekonferenz zur Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute für das Frühjahr 2019 teil. 
Claus Michelsen, Abteilungsleiter Konjunkturpolitik beim Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Christoph Soeder/dpa )
Was wir jetzt beobachten können, ist im Grunde genommen ein Phänomen, was man häufiger beobachtet, wenn der Konjunkturzyklus seinem Ende zugeht, wenn die Unternehmen merken, dass die Gewinne nicht mehr so sehr sprudeln, wie man sich das in den Vorjahren angewöhnt hat. Dann reagieren viele mit Strukturmaßnahmen und da sind Entlassungen dann ein Mittel. Allerdings sind die Zeichen, die wir jetzt lesen, noch kein Zeichen dafür, dass es zu Massenentlassungen und Massenarbeitslosigkeit in Deutschland kommen wird.
"Stellenabbau passiert über die Zeit"
Armbrüster: Das müssen Sie uns genauer erklären. Was heißt das, Strukturmaßnahmen?
Michelsen: Wenn die Gewinne nicht mehr so sehr sprudeln, wie man sich das wünscht, dann reagieren Unternehmen meistens damit, dass sie ihre Kostenstrukturen anpassen. Ein variabler Kostenfaktor ist natürlich der Faktor Arbeit, und wenn hier gerade auch in den letzten Jahren größere Lohnzuwächse realisiert werden konnten, dann ist das ein Punkt, wo man als Unternehmen häufiger mal einsparen möchte. Das kann man dann mehr oder weniger sozialverträglich machen. Im Augenblick sieht es so aus, als würde der Stellenabbau vor allen Dingen über die Zeit passieren. Das heißt, Menschen, die ohnehin in die Rente gehen, die würden dann entsprechend von den Stellentableaus verschwinden.
Armbrüster: Und ist das eine bestimmte Art von Unternehmen, die da besonders betroffen ist, eine bestimmte Branche?
Michelsen: Wir beobachten das vor allen Dingen in den kriselnden Branchen, das heißt im Automobilsektor, aber auch im Chemiesektor. Die Deutsche Bank hat Stellenabbau gemeldet. All das sind ja Unternehmen, die jetzt auch in den letzten Jahren nicht so ganz sehr geglänzt haben. Gerade die Automobilindustrie steht ja vor sehr, sehr großen Herausforderungen im Bereich der Anpassung im Bereich der Elektromobilität, aber auch der Dieselskandal hat hier sicher seine Spuren hinterlassen. Diese Branchen, die passen sich jetzt entsprechend ihren Gegebenheiten an und der Gewinnlage, und das beobachten wir derzeit am Arbeitsmarkt.
Armbrüster: Das heißt aber dann doch, dass sich in diesen Branchen und in vielen Unternehmen Menschen einstellen müssen auf Arbeitsplätze, die einfach unsicherer werden, und auch auf Stellen, die einfach wegbrechen?
Michelsen: Das ist ja ohnehin immer der Fall, dass man sich der Sache nicht zu sicher sein sollte. Jetzt haben wir die letzten Jahre wirklich goldene Jahre erlebt, in denen eigentlich nur ein Rekord den anderen gejagt hat, was den Beschäftigungsaufbau und die Arbeitslosigkeit betraf. Das ist sicherlich etwas Gewöhnungsbedürftiges und dürfte natürlich auch bei den Konsumentinnen und Konsumenten ein gewisses Misstrauen auslösen. Aber noch mal: In der Breite steht der Arbeitsmarkt sehr, sehr gut da, und auch die Lohnzuwächse erwarten wir in den kommenden Jahren weiterhin als relativ kräftig. Insofern dürften diejenigen, die jetzt gut qualifiziert beispielsweise aus größeren Konzernen herausgehen, immer noch gute Chancen haben, direkt einen Anschlussjob zu finden. Insofern ist die Lage nicht so schlimm, wie man sie jetzt häufiger in den Zeitungen liest.
"Zahl der offenen Stellen ist nach wie vor auf Rekordhoch"
Armbrüster: Wir hören ja seit Jahren auch immer wieder, dass deutsche Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen und dass sie eigentlich gerne einstellen möchten, aber das nicht können. Wie passt das beides denn eigentlich zusammen, einerseits solche massiven Stellenstreichungen und dann diese Suche nach Fachkräften?
Michelsen: Das ist in der Tat ein Problem, vor dem die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren steht. Die Baby-Boomer-Generation geht jetzt in Rente. Viele von denen, die jetzt in Lohn und Brot stehen, werden dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Hier haben die Unternehmen auch in den vergangenen Jahren schon eine Art Bevorratung betrieben. Auch wenn die Produktion nicht so stark gestiegen ist oder auch die Gewinnsituation nicht so vorteilhaft verlaufen ist, hat man doch Stellen eher aufgebaut und Mitarbeitende eher in den Betrieben gehalten, damit man genau jetzt nicht in eine Situation kommt, wo die Knappheiten am Arbeitsmarkt groß sind, dass man keinen mehr findet. Das macht auch ein bisschen Hoffnung, wenn man so möchte, für diese Entlassungsankündigungen, denn es wird sehr, sehr viele dankbare Abnehmer für die möglicherweise freigestellten Mitarbeiter geben, denn die Zahl der freien Stellen oder offenen Stellen ist nach wie vor auf einem Rekordhoch. Die Situation, eine Arbeit zu finden, ist sehr, sehr günstig nach wie vor.
Schwäche des Auslandsgeschäfts
Armbrüster: Jetzt hören wir, Herr Michelsen, natürlich auch immer seit einiger Zeit, dass die Konjunktur in Deutschland inzwischen in eine andere Richtung geht. Das Wachstum geht zurück. Generell dieses Wirtschaftswunder, wenn man von dem so sprechen kann, das Deutschland in den vergangenen Jahren erlebt hat, geht seinem Ende entgegen. Was macht Sie jetzt trotzdem so optimistisch – das höre ich aus dem, was Sie sagen -, dass das Ganze nicht ganz so ernst wird, wie man jetzt möglicherweise sagt? Warum sind Sie da so optimistisch?
Michelsen: Na ja. Die Schwäche der deutschen Konjunktur ist vor allen Dingen eine Schwäche der Industrie, und da ist es vor allen Dingen eine Schwäche des Auslandsgeschäfts. Die Nachfrage aus China ist nicht so gut gelaufen, wie wir uns das erhofft haben in den letzten Quartalen. Die Entwicklung des internationalen Handels hat sehr, sehr gelitten unter dem, was gerade auch die Trump-Administration vollzogen hat mit der Ankündigung von Zöllen und der Einführung von Zöllen. Das sind Faktoren, die hoffentlich – und da sind wir durchaus optimistisch – irgendwann mal abgeräumt sein werden. Wir glauben nicht, dass wir in einer Situation sind, wo wir über Jahre hinweg mehr oder weniger über Handelskonflikte reden müssen.
Wenn diese bremsenden Faktoren, auch beispielsweise der Brexit von der Weltkonjunktur weggenommen werden, dann springt häufig die Investitionstätigkeit wieder an, und das ist etwas, wovon die deutsche Wirtschaft sehr profitiert, denn wir exportieren genau diese Güter, die dann gebraucht werden, nämlich Maschinen und Anlagen, aber auch Kfz. Da gehen wir davon aus, dass sich diese bremsenden Faktoren lösen werden und dass entsprechend auch die Weltnachfrage wieder anzieht, denn im Land haben wir eigentlich gar kein nachfrageproblem. Der Jobaufbau der letzten Jahre hat auch zu einem starken Konsum geführt. Die Menschen fragen viele Dienstleistungen nach. Die Bauwirtschaft boomt, aber auch die Unternehmen in Deutschland investieren nach wie vor in ihre Anlagen und da kommt eigentlich sehr, sehr viel. Da wo wir unsere Sorge haben, das ist das Auslandsgeschäft, aber das sollte sich wieder erholen, unserer Einschätzung nach, und damit stehen wir auch nicht allein.
Armbrüster: Aber wenn sich das nicht wieder erholt, dann könnte es durchaus ernster werden?
Michelsen: Wenn diese Risiken aus der Weltwirtschaft, die enorm sind – wir haben ja einige Krisenherde in der Welt, wir haben einige ungelöste Konflikte -, wenn diese noch stärker werden oder nicht gelöst werden können, dann werden wir in etwas düstere Zeiten hineinfahren. Ich denke schon, dass wir uns dann auf eine deutlichere Abkühlung auch der konjunkturellen Lage einstellen müssen, und dann, in diesen Fällen würde ich schon davon ausgehen, dass auch der Arbeitsmarkt deutlichere Spuren erfahren wird, als das, was wir jetzt als einzelne Meldungen in den Zeitungen wahrnehmen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.