Finthammer: Aber die Union mit ihrer soliden Mehrheit im Bundesrat kündigt ja bereits in allen zustimmungspflichtigen Fragen Widerstand an und fordert natürlich zahlreiche Änderungen. Allein das lässt ja vermuten, dass Ihre Zeitpläne so kaum einzuhalten sind.
Clement: Nein, das sehe ich anders – beispielsweise bei der Arbeitsmarktreform und bei den Themen, die mich jetzt unmittelbar betreffen. Wir haben ja schon übrigens einiges auch mit der Union in Gesetzeskraft gebracht, auch die ersten Hartz-Gesetze. Das ist ja nicht zu unterschätzen. Auch bei der Arbeitsmarktreform sehe ich die Nuancen zwischen Union und uns in Wahrheit im Detail. Ein Problem ist eigentlich nur die Finanzierung – 'nur' in Anführungszeichen, das ist ja schon gewaltig genug. Und wir sprechen tatsächlich ja über drei große Finanzblöcke, die wir in diesem Jahr noch entscheiden müssen. Das eine ist das Vorziehen der Steuerreform, das ist unweigerlich notwendig. In Wahrheit treffe ich keinen ernstzunehmenden Politiker – ich lese nach, was dazu gesagt wird –, der sagte, das brauchen wir nicht. Und ich kann es auch niemandem raten. Das würde eine Phase der Unsicherheit in Deutschland auslösen – in der deutschen Wirtschaft vor allen Dingen –, die kann kein verantwortlicher Politiker auf sich nehmen. Also, die wird kommen. Aber wir müssen noch reden: Wie finanzieren wir den Teil und wie gehen wir weiter, weil wir nicht alles refinanzieren im nächsten Jahr. Das wäre auch ökonomisch falsch, weil wir dann – linke Tasche, rechte Tasche – den Menschen wieder das aus der Tasche ziehen würden, was wir ihnen auf der anderen Seite geben. Das ist der eine Teil. Der andere Teil ist die kommunale Finanzreform, auch dabei sprechen wir über viel Geld. Wir reden über die Reform der Gewerbesteuer. Unser Vorschlag ist immerhin 2,5 Milliarden. Und wir reden über einen Anteil, der gewonnen wird aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe – das ist ein Finanzvolumen von insgesamt 11,6 Milliarden, von denen wir 2,5 bei den Städten und Gemeinden lassen wollen. Das ist jedenfalls unser Vorschlag. So, das sind drei Finanzbewegungen, über die entschieden werden muss – zwischen Bund und Ländern und immer wieder in den Ländern mit Blick auf die Gemeinden. Das geht nur, wenn man das einmal richtig klärt. Und ich gehe davon aus – bei aller Diskussion im Reformgipfel und ähnliche Begriffe, die sind mir alle nicht wichtig – ich gehe davon aus, dass dies geht auf der Ebene der Finanzminister und mit unserem Bundesfinanzminister, mit meinem Kollegen Hans Eichel, oder aber mit dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten. Und ich erwarte, dass dies auch stattfindet – abseits aller parteipolitischen oder wahlkämpferischen Töne, die man zur Zeit dazu hört.
Finthammer: So optimistisch Sie jetzt in Blick auf die Union – auf die Gespräche im Bundesrat und später im Vermittlungsausschuss – sind: Rein rechnerisch hat nach dieser Woche zumindest die Koalition für ihre eigenen Gesetze kaum noch eine Mehrheit. Da gab es massive Widerstände in der SPD zu Hartz, zur Gemeindefinanzreform. 13 Leute haben sich zumindest öffentlich bekannt. Auch bei den Grünen gab es jetzt massiven Widerstand in Miesbach. Dort haben 16 Leute massive Kritik an einzelnen Punkten noch formuliert. Das lässt ja fast darauf deuten, dass unabhängig davon, wie es um die Union bestellt ist, der Kanzler mehrfach wieder mit Machtworten seine eigenen Gesetze wird durchpeitschen müssen.
Clement: Das sind keine Machtworte, sondern wir haben in der SPD-Fraktion, da war ich ja nun von A bis Z dabei, was die Hartz-Gesetze angeht, eine sehr ernsthafte, sehr gute Diskussion gehabt – Gespräche, in denen es darum geht, die Gesetzesentwürfe, die wir vorgelegt haben, auszuloten in ihrer Bedeutung. Das ist nicht alles Widerstand oder Kritik, das ist auch teilweise Fragestellung, die man beantworten kann. Wir bewegen uns da auch sehr tief hinein in sehr spezielle Fragen, die nur noch von Fachleuten beantwortet werden können. Das heißt ja nicht, dass diese 13 das ablehnen würden, sondern es ist eigentlich ein normaler Vorgang. Man entscheidet in einer Fraktion: Wie steht man zu einem Gesetzentwurf, und wenn eine Mehrheit – zumal eine sehr klare Mehrheit – dafür ist, dann ist es üblich – wir sprechen ja nicht über 'Gewissensentscheidung –, dass sich die Fraktion dem anschließt und in ihrer Entscheidung auch dies zugrunde legt. Was die Grünen angeht, kann ich das jetzt so nicht beurteilen, ich war ja nicht dabei. Ich lese darüber manches, aber auch da gilt natürlich: Es kann nicht sein, dass man in einer Koalition die Schwierigkeiten dem einen Partner überlässt – oder die schwereren Aufgaben, und man selbst dann ein bisschen dann beiseite tritt. Das kann nicht sein, sondern auch da erwarte ich ein ganz ernsthaftes Bemühen um das, was hier vorgelegt worden ist.
Finthammer: Noch mal zurück im Blick auf Ihre eigene Fraktion und die eigene Koalition: Werden Sie Änderungen an Ihren Hartz-Gesetzen – Hartz III, später auch Hartz IV – zulassen, oder glauben Sie, die kommen relativ ungeschoren durch?
Clement: Nein, nicht zuzulassen, sondern die Bundesregierung hat einen Entwurf vorgelegt, dieser Entwurf gilt. Von dem habe ich keinerlei Abstriche vorzunehmen – erstens. Zweitens: Das wird jetzt im Bundestag in erster Lesung beraten, anschließend geht es in den Bundesrat. Und ich empfehle allen: Lasst uns erst einmal in den Bundesrat gehen, dann werden wir sehen den Diskussionsvorlauf dort. Und daraus werden sich natürlich noch Veränderungen ergeben. Nur, ich sehe nicht, dass in der Substanz – in der Grundausrichtung – Veränderungen vorgenommen werden müssten.
Finthammer: Großer Streitpunkt in diesem Zusammenhang ist ja die Neugestaltung der Kommunalfinanzen. Da wird ja von Ihnen auch mehr Bewegungsspielraum verlangt, etwa in Blick auf ertragsunabhängige Bestandteile, die schlichtweg einbezogen werden sollen. Das ist zumindest die Forderung der Fraktion. Wie sieht da Ihr Bewegungsspielraum aus?
Clement: Also wir haben auch da unseren Vorschlag vorgelegt von Seiten der Bundesregierung. Aber es ist richtig: Wir haben darüber massive, intensive Diskussionen in der Fraktion – nicht nur dort. Ich kann dazu auch keinen neuen Vorschlag machen, ich sehe allen Vorschlägen dazu mit großem Interesse entgegen, außer an einer Stelle, das muss ich ganz klar sagen: Ich halte es für völlig ausgeschlossen, dass wir ertragsunabhängige Teile in die Besteuerung einbeziehen, erst recht, wenn ich bedenken muss, dass Unternehmen davon betroffen sein würden, die heute rote Zahlen schreiben. Wir haben ja Unternehmen in Verlustphasen. Die gehen nicht alle in die Insolvenz, aber die machen schwierige Phasen durch. Wenn ich mir vorstelle, die müssten jetzt noch, obgleich sie keinen Gewinn haben, Steuern zahlen, ja – dann könnte ich mir vorstellen, wie wir die Insolvenzzahlen in Deutschland in die Höhe treiben. Ich habe auch den Eindruck, dass dieser Vorschlag an Anhängerschaft verliert.
Finthammer: Nun ist in gewisser Hinsicht Eile geboten, weil die Kommunen zum Teil auch mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Union versucht dagegen Ihr Sofortprogramm zu halten, indem sie sagt, man könnte die Gewerbesteuerumlage von 28 auf 20 Prozent senken und den Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer erhöhen – zumindest für ein Jahr, um dann eine solide und gerechte Gemeindefinanzreform in die Wege zu leiten. Wäre das nicht – einmal vorausgedacht – eine mögliche Kompromissformel?
Clement: Nein, das ist eben das Gegenteil. Ich nehme ja mit Interesse auch wahr, dass der Städtetag und der Städte- und Gemeindebund darauf auch sehr zurückhaltend reagieren. Der Vorschlag bringt den Städten und Gemeinden ja weniger als unser Vorschlag. Unser Vorschlag bringt fünf Milliarden, und zwar fünf Milliarden, die bereits ab dem nächsten Jahr sofort zur Verfügung stehen. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu dem, was die Union dort vorschlägt. Die schlägt ja vor, die Gewerbesteuer zu belassen, so wie sie heute ist. Ja, dann können die Städte und Gemeinden, die dem ja zunächst mal zugestimmt haben, ja weiter jammern, dass ihnen die Gewerbesteuer völlig 'flöten' geht, denn was haben sie von den Veränderungen der Grenzen, wenn überhaupt keine Gewerbesteuer stattfindet? Die Klage der Städte und Gemeinden ist doch, dass überhaupt keine Gewerbesteuer gezahlt wird, gerade von den Großen. Und insoweit ist das ein Angebot, das ich nicht als attraktiv ansehen kann. Und ansonsten empfehle ich dann, dass die CDU/CSU diesen Vorschlag, den sie macht für die Veränderung der Umsatzsteuerverteilung, mit ihren Ländern mal in Ruhe erörtert. Dann möchte ich hören, was das Saarland dazu sagt, was die ostdeutschen Länder dazu sagen. Das möchte ich dann in Konkretum wahrnehmen. Ich glaube, dass unser Vorschlag sehr viel ernsthafter und seriöser ist. Er reformiert die Gewerbesteuer – was fällig ist. Er reformiert sie ab sofort, das ist möglich ab 1. Januar 2004. Und es ist richtig, die Freiberufler einzubeziehen. Das ist nämlich das Kernstück, was die Union dort ablehnen, das lehnt insbesondere Herr Kollege Stoiber ab – vor seiner Landtagswahl, das kann man ja mit Händen greifen. Tatsächlich können sie natürlich heute nicht mehr einen Unterschied machen zwischen einem Zahnarzt, der keine Gewerbesteuer zahlt und einem Zahntechniker, der Gewerbesteuer zahlen muss. Die Wirtschaft hat sich eben verändert, und daraus gilt es, Konsequenzen zu ziehen, wobei die Freiberufler ja wissen inzwischen aus den Diskussionen, dass sie – jedenfalls bis zu einem Hebesatz in der Gemeinde von 380 Punkten – im Ergebnis keinen Pfennig dafür zu zahlen brauchen.
Finthammer: Aber in der öffentlichen Debatte steht die Bundesregierung mit dem Vorschlag, im Moment jedenfalls, ziemlich alleine da. Es gibt wenig Partner, die sich klar und definitiv hinter Ihre Option stellen.
Clement: Aber ich sehe auch keinen, der sich hinter den Vorschlag der CDU/CSU stellt. Also, das müssen Sie ja auch einmal sehen, das hat schon seine Gründe. Natürlich wird uns gegenüber die Erwartung geäußert – ich hätte jetzt beinahe gesagt, es wird Druck ausgeübt –, dass es mehr als fünf Milliarden werden. Ja, das ist die Lebenswirklichkeit, so erlebe ich das auch. Wir haben vielleicht auch im Verlaufe der Diskussionen Fehler gemacht, wir haben das nicht klar genug deutlich gemacht: Was geht aus unserer Sicht und was nicht. Aber ich denke, dass wir hier noch zu einer Verständigung kommen. Und ich muss noch eines hinzufügen: Es ist vor allen Dingen wichtig, dass dies ab 1. Januar 2004 in Kraft tritt, denn es stimmt: Die Städte und Gemeinden sind zu einem Großteil nicht investitionsfähig – nicht ausreichend investitionsfähig –, sie brauchen finanzielle Spielräume. Das ist wichtig für die kleinen und mittleren Unternehmer und nicht zuletzt für das Handwerk. Die brauchen mehr Aufträge. Und manches an Aufträgen kommt eben aus öffentlichen Investitionen in unseren Städten.
Finthammer: Herr Clement, als Wirtschaftsminister haben Sie bislang mehrfach in verschiedenen Punkten gerne provoziert – natürlich mit der Absicht, öffentliche Debatten über bestimmte Themen anzuregen. Die Deutschen müssten wieder mehr arbeiten, um wieder wettbewerbsfähiger zu werden, haben Sie vor einiger Zeit gesagt und damit konkret auf die Feiertage gezielt. Jetzt zielt die CDU-Vorsitzende Angela Merkel im Blick auf Westdeutschland zumindest mit der gleichen Argumentation auf die 35-Stundenwoche mit einer längeren Regelarbeitszeit, und auch BDI-Chef Michael Rogowski hat sich da eingereiht. Ist das eine neue Allianz – ich sage mal – der Arbeitswilligen, die sich da auftut?
Clement: Nein, sondern es geht da immer um die Frage: Wie sichern wir unsere Wettbewerbsfähigkeit auf die Dauer. Wir haben natürlich unterschiedliche Instrumente. Das Steuerrecht kann man nutzen, indem man die Steuern mindert für die Unternehmen. Man muss die Lohnnebenkosten ins Visier nehmen; man kann sich natürlich vorstellen, man könnte die noch mit mehr Härte herunterbringen. Wir haben aber auch andere Stellschrauben, und eine der Stellschrauben ist natürlich die Arbeitszeit. Das ist gar nicht zu bestreiten. Und der Glaube, die Arbeitszeit sei eigentlich mehr nur ein Verteilungsinstrument, indem man Arbeit verteilt über Arbeitszeitverkürzung – der Glaube ist nicht und nicht mehr richtig. Wir haben auch auf diesem Feld ein Stück weit aus der Substanz gelebt, davon bin ich überzeugt. Wenn wir mehr arbeiten, produzieren wir mehr. Alle Staaten, die ihre Arbeitsmöglichkeiten mehr nutzen, beispielsweise durch eine höhere Erwerbstätigkeit – wie die skandinavischen Staaten, die britischen, die amerikanischen, die niederländischen –, haben heute ein kräftigeres wirtschaftliches Wachstum als wir.
Finthammer: . . . aber in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mag das nur bedingt aufgehen, in konjunkturellen Hochphasen wahrscheinlich eher . . .
Clement: . . . ja, aber man kann nicht warten, bis die Konjunktur besser wird, sondern man muss alle Arbeitsmöglichkeiten nutzen. Dass wir 4,5 Millionen Arbeitslose haben, dass wir die über 55jährigen kaum noch in Arbeit haben, dass die Frauen bei uns vergleichsweise wenig beschäftigt sind, jedenfalls wir eine deutlich niedrigere Erwerbstätigenquote haben bei Frauen als andere Volkswirtschaften und dass wir die kürzeste Arbeitszeit, fast die kürzeste Arbeitszeit weltweit haben – alles zusammengenommen heißt: Der Faktor Arbeit bei uns ist sehr reduziert. Nur – die Diskussion ist hier angestoßen – es macht jetzt keinen Sinn, dass wir dann alle durcheinander reden, denke ich, sondern man muss das dann auch ein bisschen ordnen. Dann denke ich, für die Wochenarbeitszeit sind die Tarifparteien verantwortlich, die müssen auch zu ihrer Verantwortung stehen. Für die Feiertagsregelungen sind die Länder verantwortlich. Da finde ich es schon interessant, dass wir im nächsten Jahr drei Feiertage am Wochenende haben und dass deshalb unsere ökonomischen Experten uns sagen, dass das allein ein zusätzliches wirtschaftliches Wachstum von bis zu 0,5 Prozent bringt. Da zeigt sich ja, dass Arbeitszeit eine Rolle spielt, wenn wir durch die Feiertagsgestaltung im nächsten Jahr mehr arbeiten werden als in diesem Jahr. Und wir, der Bund, sind zuständig für die Lebensarbeitszeit. Und wir stehen vor der Frage, wie Sie wissen: Wie wird das Renteneintrittsalter gestaltet? Gehen wir irgendwann später in Rente? Rürup schlägt vor, ab 2011 schrittweise die Lebensarbeitszeit und damit das Renteneintrittsalter zu erhöhen. So, das sind die Fragen, die wir beantworten müssen. Und ich selbst bin überzeugt, dass wir zu einer Erhöhung des Renteneintrittsalters kommen werden.
Finthammer: Die andere Frage wäre die Diskussion um die Wochenarbeitszeit. Die Wirtschaft fordert sehr stark mehr betriebliche, flexiblere Lösungen. Die Union hat dazu auch einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, fordert Änderungen im Tarifrecht. Der Kanzler hat in seiner Regierungserklärung am 14. März gesagt, er hoffe, dass die Tarifpartner sich in dieser Frage bewegen werden. Wenn nicht, müsse der Gesetzgeber handeln. Sehen Sie es an der Zeit, dass der Gesetzgeber da handeln muss?
Clement: Nein, noch nicht. Ich sehe es so wie der Bundeskanzler. Ich habe die Hoffnung und die Erwartung – und die ist auch begründet, der Bundeskanzler hat Grund zu dieser Erwartung, dass sich die Tarifparteien bewegen. Wir haben ja viele solcher betrieblichen Öffnungsklauseln heute schon, und es ist in unseres System natürlich nahe liegend, dass als erstes die Tarifparteien gefragt sind. Das ist ein Ausdruck und Ausfluss der Koalitionsfreiheit in unserem Grundgesetz. Und das entspricht auch unserem Verständnis, dass es besser ist, wenn dies freiwillig geschieht. Das ist wie in allen anderen Feldern, bei der Ausbildungsplatzfrage und einer Diskussion um die Abgabe genau so, wie auf diesem Feld. Alles, was freiwillig geht zwischen den Verantwortlichen ist besser als das, was der Gesetzgeber tut und tun muss. Und deshalb hoffe ich sehr und ich erwarte auch, dass die Gewerkschaften hier auf diesem Feld weiter vorangehen und solche betrieblichen Öffnungsklauseln und auch regionale Öffnungsmöglichkeiten schaffen, und zwar bundesweit und branchenweit.
Finthammer: Das heißt, Sie verteidigen mit den Gewerkschaften die Tarifautonomie?
Clement: Ja, man kann darüber streiten, wann und wo die Tarifautonomie gefährdet ist oder nicht. Aber stärker wird die Tarifautonomie natürlich, wenn so wichtige Fragen – und die betrieblichen Öffnungen sind wichtig, sind notwendig, die werden ja nicht umsonst vielfach praktiziert, umso wichtiger ist es, dass die sich auf diesem Feld bewegen.
Finthammer: Herr Clement, in gleicher Weise verhalten Sie sich ja – Sie haben es ja gerade schon angesprochen – in bezug auf die mögliche Ausbildungsplatzabgabe, die der Kanzler in seiner Regierungserklärung ja auch angesprochen hatte. Nun hat an diesem Wochenende der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering davon gesprochen, dass es eventuell schon bald zu gesetzlichen Regelungen kommen könne, kommen müsse, wenn sich die Unternehmen nicht schneller bewegen würden und es nicht zu einem erheblichen Zuwachs bei den Lehrstellen kommen würde.
Clement: Franz Müntefering – ich habe das präzise nachgelesen, was ich natürlich immer tue, wenn Müntefering etwas sagt – hat sich da sehr klar geäußert, und es unterscheidet sich eben nichts von dem, was ich auch sage. Erstens: Der Stichtag für die Bilanz, die wir zu ziehen haben, ist der 30. September. Am 30. September werden wir wissen – haben wir's geschafft, haben wir genügend Ausbildungsplätze, oder wie groß ist die Scherenöffnung noch zwischen dem Angebot an Ausbildungsplätzen und der Nachfrage von Jugendlichen? Ich glaube, dass da heute einige Zahlen durch die Landschaft geistern – die führen nur zur Verwirrung. Alle Experten sagen, irgendwo zwischen 20.000 und 40.000 könnte sich das bewegen – die Zahl der fehlenden Ausbildungsplätze Ende September: ich vermute, eher bei 20.000. Ich bin jetzt ständig unterwegs und ich erlebe auch, welche Bewegung dort stattfindet. Aber wahrscheinlich sind wir dann noch nicht am Ziel. Dann hat Müntefering gesagt, was ich auch sage: Dann müssen die Unternehmen beweisen und auch klarmachen, was sie tun wollen, damit die notwendige Zahl von Ausbildungsplätzen doch noch bewegt wird. Und ich gehe davon aus, dass die Wirtschaftsverbände, dass die Unternehmen, dass die Kammern das ihre dazu tun. Und dann werden wir sehen, ob wir am Ende des Jahres am Ziel sind. Dabei muss man übrigens wissen, und es hat auch keinen Zweck, dass da irgendetwas verheimlicht wird: Nicht alle jungen Leute können erfolgversprechend eine berufliche Ausbildung von dreieinhalb Jahren angehen. Deshalb habe ich dazu zwei Antworten. Die eine: Natürliche brauchen wir weiter berufsvorbereitende Maßnahmen, und das ist auch keine Ausflucht vor der Frage: Haben wir genügend Ausbildungsplätze, ja oder nein, sondern wir haben schlichtweg junge Leute, die nicht im ersten Anlauf eine berufliche Ausbildung bestehen können. Fünf Prozent kommen kaum über diesen Bereich hinweg. Wir müssen jetzt auch eine zweijährige Berufsausbildung verstärkt haben. Das ist auch keine ideologische Frage. Wir brauchen junge Leute, die einen kürzeren Weg schneller in die berufliche Praxis gehen können und gehen wollen. Manche haben schlichtweg die 'Schnute voll'. Die können auch später durch Weiterbildungsmaßnahmen Weiterführendes tun. Das ist keine Abwertung, da denken wir nicht dran, aber es sind berufliche Möglichkeiten, die auf diese Weise zusätzlich geschaffen werden können. Und das Letzte: Auch die jungen Leute müssen sich bewegen, und vor allen Dingen diejenigen, die schon Zusagen von mehreren Ausbildungsplätzen haben. Wir schätzen nämlich im Moment, dass 10.000 bis 15.000 junge Leute heute mehrere Zusagen von Unternehmen haben und die auch schon unterschrieben haben, und die auf diese Weise Ausbildungsplätze blockieren. Die sollten die Einsicht haben im Interesse ihrer Kollegen – ihrer Generationskollegen –, solche Ausbildungsplätze schnell freizugeben, damit sie doch noch zum 30. September, zum 1. Oktober besetzt werden können.
Finthammer: Heißt aber dennoch, gesetzliche Maßnahmen behalten Sie sich vor, wollen zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht drüber reden?
Clement: Wenn das duale Berufsbildungssystem scheitert – und es scheitert, wenn es nicht seine Aufgabe erfüllt, die jungen Leute mit ausreichenden Ausbildungs-möglichkeiten zu versehen –, dann wird der Gesetzgeber handeln müssen. Dann wird man über die Methodik sprechen, in der man es tut. Aber wie gesagt: Ich selbst gehöre zu denen, die überzeugt sind, das Tun aus freien Stücken ist besser, ist erfolgversprechender. Ich befürchte von einer Abgabe, um das klar zu sagen, dass wir dann schlicht und ergreifend in überschaubarer Zeit in einer staatlichen Ausbildung landen. Dann hat der Staat das Ganze bei sich. Das bedeutet aber dann einen Abschied von der betrieblichen Ausbildung. Das ist meine Sorge. So erleben wir es ja beispielsweise bei der Schwerbehindertenabgabe. Und diese staatliche Ausbildung ist dann nicht besser; die betriebliche – um die werden wir weltweit beneidet. Und ich möchte gerne alles tun, um sie zu behalten.
Finthammer: Vieles hängt ja letztlich davon ab, ob und wie die Konjunktur wieder anspringt. Sie sind ja da verhalten optimistisch. Nun hört man allerdings, dass Sie in Blick auf den Europäischen Stabilitätspakt die Wachstumsprognosen für das nächste Jahr eventuell ein kleinwenig nach unten korrigieren würden, damit sich im Haushalt beispielsweise das Leben einfacher rechnen lässt.
Clement: Nein, das ist nicht so sicher, durch eine Absenkung der Prognosen würde sich das Leben eher noch erschweren. Nein, an solche Spielereien denken wir wirklich nicht. Ich habe das immer klar gesagt: Wir haben unsere Projektion, wir beteiligen uns nicht an diesem Prognosewettlauf, der hier in Deutschland so beliebt ist – stattdessen sollte man mehr über die Taten nachdenken, die man unternehmen kann. Unsere nächste Projektion kommt Anfang Oktober. Ich hoffe, dass wir in der zweiten Jahreshälfte, wie alle Indizien und Indikatoren jetzt sagen, die wirtschaftliche Entwicklung leicht nach oben geht, langsam aber sicher nach oben geht, und dass wir auf diese Weise – auch auf diese Weise – die Voraussetzung schaffen, dass wir im nächsten Jahr dann ein Wachstum von zwei Prozent, so schätzen wir, haben werden. An dieser Erwartung hat sich bei mir nichts geändert, ich belege die auch zu einem ganz guten Teil: Ich habe vorhin schon auf die Feiertagsgestaltung hingewiesen – mit 0,5 Prozent Wachstum, die daraus fließen. Die vorgezogene Steuerreform bringt nach der Meinung unserer Experten in zwei Jahren hintereinander ein Wachstum von etwa knapp 0,4 Prozent. Und dann kommt im Übrigen die konjunkturelle Erholung hinzu, die hoffentlich durch die Weltwirtschaft, so sieht es ja aus, beflügelt wird.
Finthammer: Liegt in dieser Hoffnung auch die Begründung für Ihre energiepolitische Debatte, die Sie angestoßen haben, dass die Energiekosten mittel- und langfristig einfach günstiger sich entwickeln müssen für die Wirtschaft?
Clement: Nun, die Energiekosten gehören natürlich auch in den internationalen Wettbewerb. Man muss einfach die Konsequenzen ziehen aus dem, was die Globalisierung ausmacht. Es gibt keine Grenzen mehr, wir sind nirgendwo mehr geschützt, sondern alles ist im Wettbewerb, natürlich auch die Energiekosten, und die sind vor allen Dingen für die energieintensiven Unternehmen von größter Bedeutung. Daraus muss man Konsequenzen ziehen. Ich bin deshalb nicht gegen einen Energieträger – abgesehen davon, dass wir aus der Atomenergie aussteigen. Aber ich weiß, dass wir ein Mixtum brauchen in Deutschland aus fossilen Energieträgern – heimischen und importierten – und aus erneuerbaren. Ich bin für die erneuerbaren Energieträger. Ich bin nur nicht dafür, dass wir das alles so fortschreiben, wie es heute ist. Auch die erneuerbare Energien – auch wenn sie weiterhin gefördert werden müssen vom Staat und durch die Bürgerinnen und Bürger, beispielsweise über die Tarife – auch die müssen Schritt für Schritt wirtschaftlicher arbeiten, sie müssen schließlich und endlich konkurrenzfähig werden.
Finthammer: Also ein langsamer Systemwechsel?
Clement: Das ist kein langsamer Systemwechsel. Ich erhoffe mir ja von einer Steigerung der Wirtschaftlichkeit eher schnellere Fortschritte. Nur - er ist etwas härter. Aber es geht auch nicht, dass sich manche – und das wissen wir doch, es sind Zahlen dazu veröffentlicht worden, dass aus der Anlage in eine Windenergieanlage ein Gewinn von 16 bis 20 Prozent folgert. Zeigen Sie mir mal andere Anlagen, aus denen man so viel Gewinn ziehen kann. Man muss doch über diese Dinge offen sprechen, ich tue das einfach, ich spreche darüber offen: Das geht so nicht weiter. Und deshalb müssen wir hier sehr stark mit Augenmaß korrigieren.
Finthammer: Das heißt, Abbau oder stärkerer Abbau der Subventionen für die Windenergie?
Clement: Ja, das muss degressiv gestaltet werden. Die Förderung ist ja heute schon degressiv gestaltet. Ich möchte gerne – ich plädiere dafür –, dass wir diese Degression etwas rascher gestalten, zumal wir ja noch Offshore-Windanlagen bauen wollen. Das ist ja ein nicht zu unterschätzendes Unterfangen. Das kann doch nicht heißen, dass wir das alles so fortsetzen im Binnenland auch in den Ecken und Kanten unseres Landes, in denen der Wind kaum weht. Wir müssen doch manchmal auch Konsequenzen ziehen. Im Sommer war überhaupt kein Wind, und die Windenergieanlagen haben so knapp zehn Prozent den Ertrag gebracht, zu dem sie ausgebaut worden sind. Diese Dinge muss man doch sehen, aus denen müssen Konsequenzen gezogen werden. Aber ich bin auch sicher, dass wir dazu in der Lage sind und letztlich auch gemeinsam bei aller Feurigkeit der Diskussionen, die es im Moment dazu gibt.
Finthammer: Nun bringt Angela Merkel und auch der IG-BCE-Vorsitzende Hubertus Schmold erneut die Atomenergie ins Spiel. Ist für Sie der Ausstieg aus der Atomkraft definitiv unumkehrbar?
Clement: Ja. Ich sehe auch niemanden – im ernst –, wer in Deutschland eine Atomanlage bauen will. Also, das halte ich für eine Diskussion, die führt nicht so sehr weit. Der Atomausstieg, mit allen Facetten, ist beschrieben und ist vereinbart, er ist bereits in der Realisierung. Da macht es keinen Sinn, das wieder aufzurufen. Und neue Atomenergieanlagen – ich möchte sehen, wer das bauen will. Das einzige, was in Deutschland zur Zeit gebaut wird, ist auf der einen Seite – so hoffe ich – eine Erneuerung der Kohlekraftanlagen, beispielsweise die wir im niederrheinischen Braunkohlegebiet haben, und das andere: Wir haben zur Zeit ein sehr starkes Angebot an gasbetriebenen Kraftwerken. Das sind zur Zeit die günstigsten. Da sehe ich allenfalls die Gefahr, dass, wenn es dort zu einem raschen Ausbau kommt, wir in eine zu große Abhängigkeit von Importgas kommen. Wir sind im Wärmemarkt bereits zu 80 Prozent von importiertem Gas abhängig. Und ich warne davor, das im Strommarkt auch noch einzugehen. Der Gaspreis ist bereits in Bewegung, und wir werden in überschaubarer Zeit von den Gaspreisen – vom Gas und den Gaspreisen – genau so abhängig sein wie von Öl und den Ölpreisen. Auch das spricht für ein vernünftiges Mixtum an Energiequellen.
Finthammer: Ist das auch ein Grund dafür, dass Sie letztlich immer wieder doch als 'Kohlekumpel' bezeichnet werden?
Clement: Na gut, das entspricht meiner Vergangenheit. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, mache kein Hehl daraus. Manchmal habe ich bei manchen Bemerkungen den Eindruck, man unterstellt, ich bewegte mich überwiegend untertage. Das sind manchmal Diskussionen, die sind nicht sehr realitätsnah. Was realitätsnah ist, ist der Hinweis, dass wir die CO 2 – Reduzierung in Deutschland rascher und kostengünstiger betreiben können als mit allen anderen Energieträgern, wenn wir die Kraftwerke – die Kohlekraftwerke – erneuern und wenn wir sie modernisieren. Das CO 2 – Minderungs-potential aus einer Modernisierung der Kohlekraftwerke ist gewaltig viel größer und kostengünstiger als jeder andere Schritt. Und deshalb sage ich ja, das muss auch mit ins Kalkül gezogen werden.