Clement: Nein, das tue ich nicht. Zunächst einmal ist so, dass die konjunkturellen Signale sowohl international, als auch national auf Besserung gestellt sind. Die verschiedenen Konjunkturdiagnosen, die es gibt, weisen ja darauf hin, übrigens auch der wieder im Juni gewachsene Auftragseingang bei der Industrie, der ja besonders wichtig ist. Aber auf der anderen Seite ist es so, dass wir konjunkturell einen Vorlauf von mindestens sechs Monaten brauchen, um eine wirkliche Wirkung am Arbeitsmarkt feststellen zu können. Deshalb ist die Situation jetzt so, dass wir erwarten und hoffen, dass in der zweiten Jahreshälfte sich die Lage verbessert, mit dem Blick auf 2004, wo es sich nachhaltig verbessern oder zu verbessern scheint, so dass ich davon ausgehe, dass wir dann auch eben eine entsprechende Entwicklung am Arbeitsmarkt haben werden.
Birke: Herr Clement, hätten Sie sich denn gewünscht, dass die ersten Harz-Reformen schneller wirken, denn man spürt ja momentan noch nichts.
Clement: Man spürt sehr viel, dass ist ein wirklicher Irrtum, Herr Birke. Wir haben beispielsweise in diesem Jahr bereits 136.000 Menschen, die sich aus der Arbeitslosigkeit selbstständig gemacht haben, und wir rechnen mit über 200.000 Menschen, die dies auf diese Weise tun. Wir haben eine enorm positive Entwicklung im Bereich von Mini- und Midi-Jobs, das heißt, Menschen kommen zunehmend aus der Schwarzarbeit in diesen Sektor hinein. Wir haben andere Entwicklungen, die mit den neuen Beschäftigungsverhältnissen sehr günstig sind. Wir sind noch, um es klar zu sagen, nicht gut im Bereich der Personalservice-Agenturen, da müssen wir noch deutlich besser werden, aber wir haben positive Wirkungen. Umgekehrt gesagt, hätten wir diese Wirkungen nicht, wäre die Arbeitslosigkeit zur Zeit noch höher, das ist unzweideutig. Das, was sich jetzt abspielt, eine Stagnation der Arbeitslosigkeit auf leider viel zu hohem Niveau, das hat damit zu tun, dass wir diese Maßnahmen eingeleitet haben. Die konjunkturelle Lage selbst ergibt ja zu Zeit noch nichts an Verbesserung für den Arbeitsmarkt. Das ist die Lage. Ich habe da also nichts zu wünschen, sondern wir sind mitten drin und wir brauchen jetzt die nächsten großen Schritte, Harz 3 und Harz 4, die noch tiefgreifender die Situation verändern werden, als das bisher der Fall gewesen ist. Sie müssen bedenken, neue Mobilität, neue Vermittlungsregeln gelten teilweise erst seit 01.07. diesen Jahres. Also, wir dürfen nun auch nicht überspannt werden, eine Besserung am Arbeitsmarkt, ein grundlegender Umbau der Bundesanstalt für Arbeit, all dies sind nicht Dinge, die man herbei zaubern kann, sondern die müssen sich schrittweise vollziehen, aber damit rechnen wir. Und um das aufzunehmen, weil ich das in der Eingangsfrage am frühen Morgen noch nicht sauber beantwortet habe: Ich rechne nicht mit fünf Millionen Arbeitslosen, sondern ich rechne damit, dass wir deutlich unter fünf Millionen bleiben können. Allerdings setzt dies voraus, dass wir nicht, wie ich das schon mehrfach gesagt habe, einen lang dauernden sibirischen Winter bekommen. Ich hoffe, dass also die Sommerzeit ihre Wirkung hat und wir nicht die gegenteilige Temperatur im Winter bekommen.
Birke: Gut, die Hitzewelle kann ja ein bisschen auf den Winter ausstrahlen, aber Sorge bereitet ja vor allem noch der Ausbildungsmarkt. Über 230.000 Jugendliche machten im Juli eben noch den Wunsch nach einem Ausbildungsplatz bei den Arbeitsämtern geltend, die Betriebe bieten weit weniger an als im vergangenen Jahr. Gut gemeinte Appelle an die Wirtschaft werden da wohl nicht mehr reichen. Wie wollen Sie diese von Ihnen ja als wichtigste gesellschaftliche Aufgabe bezeichnete Problematik lösen, Herr Minister?
Clement: Das zunächst einmal die wichtigste Aufgabe, erstens. Zweitens, es geht nicht nur um gut gemeinte Appelle, sondern es geht um gut gemeintes Handeln. Und ich erlebe eine ganze Menge an Menschen, an Unternehmen, an Institutionen, auch übrigens an Medien, die sehr viel tun, um die Ausbildungsmarktlage zu verbessern. Und tatsächlich verbessert sie sich auch. Uns fehlen zur Zeit im Vergleich mit dem Vorjahr etwa 35.000 Ausbildungsplätze, noch im Vergleich mit dem Vorjahr um diese Zeit. Das heißt, wir müssen noch zulegen, aber der Prozess des Aufholens ist im Gang. Es gibt viele Institutionen, die das tun. Ich erlebe das sehr positiv, wir selbst werden auch noch einmal, ich selbst werde auch noch einmal mehr tun als bisher, das heißt, ich gehe am Montag mit einem Ausbildungstag auf die Reise und werde versuchen, das Thema so in den Mittelpunkt zu kriegen, dass wir in den nächsten zwei Monaten noch mindestens die Zahl erreichen, die wir im letzten Jahr um diese Zeit hatten. Die war dann auch noch nicht voll befriedigend, aber wir sind dann in der Lage, in den letzten Monaten des Jahres die Menschen, die jungen Leute in Ausbildungsplätze zu bringen.
Birke: Sie denken aber nicht an eine Ausbildungsplatzabgabe für nicht ausbildende Betriebe, um diese gesellschaftliche Aufgabe auf die Schultern gleichmäßiger zu verteilen?
Clement: Ich denke, dass es besser ist, wenn das freiwillig geschieht. Alles, was ohne gesetzlichen Zwang geschieht, ist ja besser, jedenfalls ist das meine Überzeugung und deshalb sollten wir jetzt alles daran setzen, dass dies noch gelingt. Im Übrigen glaube ich, dass die Industrie, dass die Wirtschaft insgesamt, die Verbände auch der Wirtschaft, in der Lage sind, gegebenenfalls durch freiwillige Selbstverpflichtungen weiter zu kommen. Wir sind da noch lange nicht am Ende des Lateins und ich bedaure auch sehr, dass das solche Spannungen in diesem Jahr noch einmal verursacht hat. Wir waren ja in den Vorjahren schon deutlich besser geworden, aber das hat natürlich auch mit der Konjunkturlage zu tun. Ich setze auf eine Anspannung aller Kräfte, aller gut gemeinten, gutwilligen Kräfte, und ich glaube, dass dies noch gelingen kann.
Birke: Herr Minister, Sie haben ja eben Harz 3 und Harz 4, also die weiteren Reformen des Arbeitslosengeldes auf dem Arbeitsmarkt angesprochen, sie sollen nächste Woche im Kabinett verabschiedet werden. Es geht ja da auch um die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie um die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelung. Wenn der arbeitslose Lehrer aus Berlin jetzt gezwungen werden soll, künftig einen Job bei der Müllabfuhr in Böblingen anzunehmen, macht das denn Sinn, wenn man bei 4,3 Millionen Arbeitslosen überhaupt nur 300.000 offene Stellen hat?
Clement: Also zunächst einmal, selbstverständlich macht das Sinn. Wir arbeiten ja nicht von heute auf morgen, sondern wir arbeiten auf eine Verbesserungen der Arbeitsmarktsituation hin. Wir sind darauf angewiesen, dass alle Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme genutzt werden. Das hat auch etwas zu tun mit einem Mentalitätswandel, den wir dazu in Deutschland brauchen. Der Bundeskanzler hat dies deutlich gemacht und ich will dies in aller Klarheit unterstreichen: Wir sind auch darauf angewiesen, dass Solidarität wirklich als eine wechselseitige, eine gegenseitige Aufgabe und Verpflichtung angesehen wird, das heißt, dass die Gemeinschaft zur Verfügung steht, wenn jemand in Not ist, beispielsweise keine Arbeitsplatz hat, dass aber derjenige oder diejenige, die einen Arbeitsplatz annehmen können, auch tatsächlich einen Arbeitsplatz annehmen, darum geht es. Nicht, um diese berühmten Beispiel jetzt alle durchzubuchstabieren, ob ein Lehrer bei der Müllabfuhr arbeiten kann. Andere Länder zeigen uns jedenfalls, dass sie in der Vermittlung von Arbeit bisher sehr viel erfolgreicher sind als wir, und dass wir uns aus der Vorstellung lösen müssen, der Staat beziehungsweise die Beitragszahler könnten jegliche Situation finanzieren. Dies geht in der internationalen Konkurrenzlage nur noch - das muss ich sehr deutlich sagen - wenn alle sich bemühen, das zu tun. Ich bin aber weit davon entfernt, Arbeitslosen jetzt die Schuld für die Arbeitsmarktlage zuzuschieben, wie ich jetzt zunehmend lese oder höre, sondern mir geht es nur um die Anspannung aller Kräfte. Gleichzeitig haben wir neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen. Allein im Bereich des Dienstleistungssektors, auch des niedrig qualifizierten Dienstleistungssektors, um das klar anzusprechen, haben wir eine Menge an potenziellen Arbeitsplätzen, die bisher in Deutschland ungenutzt sind. Wir haben dort weniger Nutzung des Dienstleitungssektors grad bei den gering Qualifizierten, als das andere Länder haben, ob Großbritannien, Niederlande, Frankreich oder andere. Es gibt Schätzungen, die sehen dort, das zeigt sich auch in den hohen Daten der Schwarzarbeit in Deutschland, die sehen dort ein Arbeitsplatzpotenzial von zwei Millionen. Das müssen wir mobilisieren. Wir haben fünf bis sechs Millionen, so sind ja die Schätzungen, an Arbeitsplätzen in der Schwarzarbeit. Es ist nicht angängig, wir können uns das nicht mehr leisten. Und es ist auch nicht gut für die Menschen, für niemanden gut, wenn wir das so laufen lassen, sondern wir müssen aus dieser Situation heraus kommen. Also, es sind ja nicht Bestrafungsaktionen. Und zum dritten setze ich natürlich auch eine Belebung der Konjunktur. Wir haben mehr Handlungsmöglichkeiten, die wir auf allen Feldern nutzen, und das ist auch notwendig.
Birke: Sie haben Handlungsmöglichkeiten, Herr Minister, noch ein Wort in dem Sinne, werden Sie dann auch Ihre Handlungsmöglichkeiten bei der Gemeindefinanzreform noch nutzen. Es gab ja da erhebliche Kritik an Ihrem Konzept, wenn Sie vielleicht dann doch die ertragsunabhängigen Elemente doch noch besteuern?
Clement: Nein. Das wäre eindeutig falsch in der gegenwärtigen Situation. Gegebenenfalls noch ein Unternehmen, das in der Verlustzone ist, noch mit einer Besteuerung zu belegen, das wäre doch nun wirklich unsinnig, das kommt auch nicht in Frage. Und das denke ich, hat auch weitgehend Zustimmung. Wie ich überhaupt wahrnehme, dass sich die erste Kritik, die ja immer in Deutschland wohlfeil ist, sehr rasch legt. Wenn der Bund in der Lage ist - wir sind nicht einmal die ersten, die gefordert sind - 4,5 und dann fortlaufend fünf Milliarden Euro (früher nannte man das zehn Milliarden DM, fünf Milliarden Euro) zu mobilisieren, um die Finanzkraft der Kommunen zu stärken, dann empfinde ich das nicht als einen Pappenstiel. Ich glaube, dass es ein richtiges Paket ist, das wir hingelegt haben. Wer besseres will, muss besseres anbieten. Aber ich glaube, es gibt niemanden, der darauf verzichten kann, die Investitionen in den Kommunen zu fördern, die Kommunen wieder investitionsfähig zu machen. Das ist für die Kommunen wichtig, für die Bürger wichtig und insbesondere für den Mittelstand wichtig.
Birke: Vielen Dank. Das war der Bundeswirtschafts- und -arbeitminister Wolfgang Clement.
Link: Interview als RealAudio
Birke: Herr Clement, hätten Sie sich denn gewünscht, dass die ersten Harz-Reformen schneller wirken, denn man spürt ja momentan noch nichts.
Clement: Man spürt sehr viel, dass ist ein wirklicher Irrtum, Herr Birke. Wir haben beispielsweise in diesem Jahr bereits 136.000 Menschen, die sich aus der Arbeitslosigkeit selbstständig gemacht haben, und wir rechnen mit über 200.000 Menschen, die dies auf diese Weise tun. Wir haben eine enorm positive Entwicklung im Bereich von Mini- und Midi-Jobs, das heißt, Menschen kommen zunehmend aus der Schwarzarbeit in diesen Sektor hinein. Wir haben andere Entwicklungen, die mit den neuen Beschäftigungsverhältnissen sehr günstig sind. Wir sind noch, um es klar zu sagen, nicht gut im Bereich der Personalservice-Agenturen, da müssen wir noch deutlich besser werden, aber wir haben positive Wirkungen. Umgekehrt gesagt, hätten wir diese Wirkungen nicht, wäre die Arbeitslosigkeit zur Zeit noch höher, das ist unzweideutig. Das, was sich jetzt abspielt, eine Stagnation der Arbeitslosigkeit auf leider viel zu hohem Niveau, das hat damit zu tun, dass wir diese Maßnahmen eingeleitet haben. Die konjunkturelle Lage selbst ergibt ja zu Zeit noch nichts an Verbesserung für den Arbeitsmarkt. Das ist die Lage. Ich habe da also nichts zu wünschen, sondern wir sind mitten drin und wir brauchen jetzt die nächsten großen Schritte, Harz 3 und Harz 4, die noch tiefgreifender die Situation verändern werden, als das bisher der Fall gewesen ist. Sie müssen bedenken, neue Mobilität, neue Vermittlungsregeln gelten teilweise erst seit 01.07. diesen Jahres. Also, wir dürfen nun auch nicht überspannt werden, eine Besserung am Arbeitsmarkt, ein grundlegender Umbau der Bundesanstalt für Arbeit, all dies sind nicht Dinge, die man herbei zaubern kann, sondern die müssen sich schrittweise vollziehen, aber damit rechnen wir. Und um das aufzunehmen, weil ich das in der Eingangsfrage am frühen Morgen noch nicht sauber beantwortet habe: Ich rechne nicht mit fünf Millionen Arbeitslosen, sondern ich rechne damit, dass wir deutlich unter fünf Millionen bleiben können. Allerdings setzt dies voraus, dass wir nicht, wie ich das schon mehrfach gesagt habe, einen lang dauernden sibirischen Winter bekommen. Ich hoffe, dass also die Sommerzeit ihre Wirkung hat und wir nicht die gegenteilige Temperatur im Winter bekommen.
Birke: Gut, die Hitzewelle kann ja ein bisschen auf den Winter ausstrahlen, aber Sorge bereitet ja vor allem noch der Ausbildungsmarkt. Über 230.000 Jugendliche machten im Juli eben noch den Wunsch nach einem Ausbildungsplatz bei den Arbeitsämtern geltend, die Betriebe bieten weit weniger an als im vergangenen Jahr. Gut gemeinte Appelle an die Wirtschaft werden da wohl nicht mehr reichen. Wie wollen Sie diese von Ihnen ja als wichtigste gesellschaftliche Aufgabe bezeichnete Problematik lösen, Herr Minister?
Clement: Das zunächst einmal die wichtigste Aufgabe, erstens. Zweitens, es geht nicht nur um gut gemeinte Appelle, sondern es geht um gut gemeintes Handeln. Und ich erlebe eine ganze Menge an Menschen, an Unternehmen, an Institutionen, auch übrigens an Medien, die sehr viel tun, um die Ausbildungsmarktlage zu verbessern. Und tatsächlich verbessert sie sich auch. Uns fehlen zur Zeit im Vergleich mit dem Vorjahr etwa 35.000 Ausbildungsplätze, noch im Vergleich mit dem Vorjahr um diese Zeit. Das heißt, wir müssen noch zulegen, aber der Prozess des Aufholens ist im Gang. Es gibt viele Institutionen, die das tun. Ich erlebe das sehr positiv, wir selbst werden auch noch einmal, ich selbst werde auch noch einmal mehr tun als bisher, das heißt, ich gehe am Montag mit einem Ausbildungstag auf die Reise und werde versuchen, das Thema so in den Mittelpunkt zu kriegen, dass wir in den nächsten zwei Monaten noch mindestens die Zahl erreichen, die wir im letzten Jahr um diese Zeit hatten. Die war dann auch noch nicht voll befriedigend, aber wir sind dann in der Lage, in den letzten Monaten des Jahres die Menschen, die jungen Leute in Ausbildungsplätze zu bringen.
Birke: Sie denken aber nicht an eine Ausbildungsplatzabgabe für nicht ausbildende Betriebe, um diese gesellschaftliche Aufgabe auf die Schultern gleichmäßiger zu verteilen?
Clement: Ich denke, dass es besser ist, wenn das freiwillig geschieht. Alles, was ohne gesetzlichen Zwang geschieht, ist ja besser, jedenfalls ist das meine Überzeugung und deshalb sollten wir jetzt alles daran setzen, dass dies noch gelingt. Im Übrigen glaube ich, dass die Industrie, dass die Wirtschaft insgesamt, die Verbände auch der Wirtschaft, in der Lage sind, gegebenenfalls durch freiwillige Selbstverpflichtungen weiter zu kommen. Wir sind da noch lange nicht am Ende des Lateins und ich bedaure auch sehr, dass das solche Spannungen in diesem Jahr noch einmal verursacht hat. Wir waren ja in den Vorjahren schon deutlich besser geworden, aber das hat natürlich auch mit der Konjunkturlage zu tun. Ich setze auf eine Anspannung aller Kräfte, aller gut gemeinten, gutwilligen Kräfte, und ich glaube, dass dies noch gelingen kann.
Birke: Herr Minister, Sie haben ja eben Harz 3 und Harz 4, also die weiteren Reformen des Arbeitslosengeldes auf dem Arbeitsmarkt angesprochen, sie sollen nächste Woche im Kabinett verabschiedet werden. Es geht ja da auch um die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie um die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelung. Wenn der arbeitslose Lehrer aus Berlin jetzt gezwungen werden soll, künftig einen Job bei der Müllabfuhr in Böblingen anzunehmen, macht das denn Sinn, wenn man bei 4,3 Millionen Arbeitslosen überhaupt nur 300.000 offene Stellen hat?
Clement: Also zunächst einmal, selbstverständlich macht das Sinn. Wir arbeiten ja nicht von heute auf morgen, sondern wir arbeiten auf eine Verbesserungen der Arbeitsmarktsituation hin. Wir sind darauf angewiesen, dass alle Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme genutzt werden. Das hat auch etwas zu tun mit einem Mentalitätswandel, den wir dazu in Deutschland brauchen. Der Bundeskanzler hat dies deutlich gemacht und ich will dies in aller Klarheit unterstreichen: Wir sind auch darauf angewiesen, dass Solidarität wirklich als eine wechselseitige, eine gegenseitige Aufgabe und Verpflichtung angesehen wird, das heißt, dass die Gemeinschaft zur Verfügung steht, wenn jemand in Not ist, beispielsweise keine Arbeitsplatz hat, dass aber derjenige oder diejenige, die einen Arbeitsplatz annehmen können, auch tatsächlich einen Arbeitsplatz annehmen, darum geht es. Nicht, um diese berühmten Beispiel jetzt alle durchzubuchstabieren, ob ein Lehrer bei der Müllabfuhr arbeiten kann. Andere Länder zeigen uns jedenfalls, dass sie in der Vermittlung von Arbeit bisher sehr viel erfolgreicher sind als wir, und dass wir uns aus der Vorstellung lösen müssen, der Staat beziehungsweise die Beitragszahler könnten jegliche Situation finanzieren. Dies geht in der internationalen Konkurrenzlage nur noch - das muss ich sehr deutlich sagen - wenn alle sich bemühen, das zu tun. Ich bin aber weit davon entfernt, Arbeitslosen jetzt die Schuld für die Arbeitsmarktlage zuzuschieben, wie ich jetzt zunehmend lese oder höre, sondern mir geht es nur um die Anspannung aller Kräfte. Gleichzeitig haben wir neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen. Allein im Bereich des Dienstleistungssektors, auch des niedrig qualifizierten Dienstleistungssektors, um das klar anzusprechen, haben wir eine Menge an potenziellen Arbeitsplätzen, die bisher in Deutschland ungenutzt sind. Wir haben dort weniger Nutzung des Dienstleitungssektors grad bei den gering Qualifizierten, als das andere Länder haben, ob Großbritannien, Niederlande, Frankreich oder andere. Es gibt Schätzungen, die sehen dort, das zeigt sich auch in den hohen Daten der Schwarzarbeit in Deutschland, die sehen dort ein Arbeitsplatzpotenzial von zwei Millionen. Das müssen wir mobilisieren. Wir haben fünf bis sechs Millionen, so sind ja die Schätzungen, an Arbeitsplätzen in der Schwarzarbeit. Es ist nicht angängig, wir können uns das nicht mehr leisten. Und es ist auch nicht gut für die Menschen, für niemanden gut, wenn wir das so laufen lassen, sondern wir müssen aus dieser Situation heraus kommen. Also, es sind ja nicht Bestrafungsaktionen. Und zum dritten setze ich natürlich auch eine Belebung der Konjunktur. Wir haben mehr Handlungsmöglichkeiten, die wir auf allen Feldern nutzen, und das ist auch notwendig.
Birke: Sie haben Handlungsmöglichkeiten, Herr Minister, noch ein Wort in dem Sinne, werden Sie dann auch Ihre Handlungsmöglichkeiten bei der Gemeindefinanzreform noch nutzen. Es gab ja da erhebliche Kritik an Ihrem Konzept, wenn Sie vielleicht dann doch die ertragsunabhängigen Elemente doch noch besteuern?
Clement: Nein. Das wäre eindeutig falsch in der gegenwärtigen Situation. Gegebenenfalls noch ein Unternehmen, das in der Verlustzone ist, noch mit einer Besteuerung zu belegen, das wäre doch nun wirklich unsinnig, das kommt auch nicht in Frage. Und das denke ich, hat auch weitgehend Zustimmung. Wie ich überhaupt wahrnehme, dass sich die erste Kritik, die ja immer in Deutschland wohlfeil ist, sehr rasch legt. Wenn der Bund in der Lage ist - wir sind nicht einmal die ersten, die gefordert sind - 4,5 und dann fortlaufend fünf Milliarden Euro (früher nannte man das zehn Milliarden DM, fünf Milliarden Euro) zu mobilisieren, um die Finanzkraft der Kommunen zu stärken, dann empfinde ich das nicht als einen Pappenstiel. Ich glaube, dass es ein richtiges Paket ist, das wir hingelegt haben. Wer besseres will, muss besseres anbieten. Aber ich glaube, es gibt niemanden, der darauf verzichten kann, die Investitionen in den Kommunen zu fördern, die Kommunen wieder investitionsfähig zu machen. Das ist für die Kommunen wichtig, für die Bürger wichtig und insbesondere für den Mittelstand wichtig.
Birke: Vielen Dank. Das war der Bundeswirtschafts- und -arbeitminister Wolfgang Clement.
Link: Interview als RealAudio