Engels: Wie sehen Ihre nächsten Reformschritte 2003 aus?
Clement: Das ist eine Fülle von Maßnahmen, die notwendig sind. Das eine ist, was Sie schon angesprochen haben, nämlich dass der Arbeitsmarkt weiter in Bewegung gebracht werden muss. Wir sind ja jetzt erst am Anfang. Es folgt der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit, gewissermaßen dem großen Dienstleister für Arbeit. Es geht um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, soweit es um erwerbsfähige Arbeitnehmer geht. Es geht auch um das Kleingewerbe, das gefördert werden soll und für das wir eine Minimalsteuer schaffen wollen. Das sind die Maßnahmen, die den Arbeitsmarkt weiter in Bewegung bringen werden. Das Zweite ist, dass wir natürlich ein wirtschaftliches Wachstum brauchen, das die Wirtschaft wieder voll in Gang bringt. Das hat natürlich weltwirtschaftliche, aber auch nationale Aspekte. Das heißt, der Reformprozess, der die sozialen Sicherungssysteme betrifft, muss insgesamt weitergehen. Drittens müssen wir den Mittelstand weiter fördern. Das geschieht unter anderem dadurch, dass wir kleine und Gründungsunternehmen fördern und die Bürokratie abzubauen versuchen. Das sind alles Mittel und Instrumente, um die Kräfte zu entfesseln und freizusetzen, um die Wirtschaft in Gang zu bringen.
Engels: Das Wichtigste für den Arbeitsmarkt wird ja auch die Senkung der Lohnnebenkosten sein. Da sind sich ja alle Experten einig. Andererseits ist die Abgabenlast für die Bürger mit Beginn des Jahres wieder gestiegen. Das heißt, dass die Krankenkassenbeiträge in vielen Fällen klettern, ebenso der Rentenbeitrag. Dazu steigen auch die Beitragsbemessungsgrenzen. Das passt ja eigentlich nicht zu dem Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken.
Clement: Ja, das ist wohl wahr. Aber das sind Folgen der wirtschaftlichen Situation, die wiederum hauptsächlich weltwirtschaftliche Ursachen hat. Das sind Folgen der Situation am Arbeitsmarkt. Wir müssen den Arbeitsmarkt in Ordnung bringen, soweit wir das mit eigenen Kräften können. Da sind wir auf dem Weg, und ich glaube, wir sind da nicht ohne Erfolgsaussichten. Ich teile auch nicht die Auffassung, dass wir im nächsten Jahr über 4 Millionen Arbeitslose haben werden. Das hängt ja auch sehr davon ab, inwieweit sich die verantwortlichen Kräfte zusammentun, um den Arbeitsmarkt in die positive Richtung zu entwickeln. Wir haben uns leider angewöhnt, alles ins Negative fortzuschreiben. Wir müssen den Trend umkehren. Erste Anzeichen sprechen dafür, dass wir das schaffen. Aber wir müssen natürlich auch jede Chance nutzen, die es gibt. Wir haben Chancen. Ich komme ja gerade mit dem Bundeskanzler aus China zurück. Wir haben dort den Transrapid präsentiert. Wir sind dort mit der deutschen Wirtschaft in einer herausragend guten Position, nicht zuletzt im Bereich der Verkehrstechnik. Wir müssen auf diesen Feldern überall Platz eins erreichen. Das muss unser Ehrgeiz sein. Die Chancen, das zu schaffen, stehen nicht schlecht. Wir sollten uns allerdings hüten, uns ständig in den Keller zu reden.
Engels: Aus der Wirtschaft kommen ja konkrete Vorschläge, was sich gerade am Arbeitsmarkt noch tun muss. IHK-Chef Braun fordert zum Beispiel eine Lockerung des Kündigungsschutzes, gerade bei Kleinbetrieben bis zwanzig Angestellten.
Clement: Ja, jeder hat seine Vorschläge. Gut wäre, wenn sie zusammenpassten. Was den Arbeitsmarkt und den Kündigungsschutz angeht, sind wir mit den Instrumenten, die wir jetzt eingesetzt haben, Leiharbeit, Zeitarbeit, Minijobs, Förderung von Kleingewerbebetreibenden, auf dem richtigen Weg. Die Leih- und Zeitarbeit ist die wichtigste Antwort, um die Flexibilität in den Unternehmen zu erreichen. Das ist vernünftiger, als jetzt am Kündigungsschutz herumzubasteln. Das lehren jedenfalls alle Beispiele aus den Nachbarstaaten, nicht jetzt zuletzt aus den Niederlanden. Die Leih- und Zeitarbeit ist ja genau der Weg, die Flexibilität in den Unternehmen zu heben und gleichzeitig dem Arbeitnehmer eine Sicherheit am Arbeitsplatz zu verschaffen. Genau dieses Kunststück müssen wir ja fertig bringen. Da nutzt es wenig, wenn wir die Interessen der einen Seite gegen die der anderen setzen. Sondern wir müssen versuchen, die Interessen über eine Leiste zu bringen. Das haben wir mit der Leih- und Zeitarbeit, glaube ich, auf einen vernünftigen Weg gebracht.
Engels: Stichwort: Hartz-Reformen! Das sind ja auch mit dem Jahreswechsel Maßnahmen in Kraft getreten. Es soll jetzt die Arbeitsvermittlung durch Personal Service Agenturen verbessert werden. Kommt das denn voran?
Clement: Selbstverständlich wird das in Gang kommen. Wir sind ja schon in vielen Gemeinden und Städten der Bundesrepublik Deutschland dabei, solche Personal Service Agenturen aufzubauen. An vielen Stellen gibt es sie schon. Die Arbeitsverwaltung ist auf dem Weg, dies zu tun. Das ist ein Instrument. Über diesen Weg können wir die Leih- und Zeitarbeit forcieren. Ich hoffe und vermute auch, dass das gelingt. Dazu gehört, dass die Arbeitsverwaltung mit den Kommunen und mit denen, die Verantwortung tragen und die sich mit verantwortlich fühlen, auch tatsächlich diesen Prozess anschieben. Das geht nicht, indem man das per Gesetz verkündet und dann die Hände in den Schoss legt. Es ist schon notwendig, dass sich alle aktiven in der Bundesrepublik zusammen tun. Das ist ja dass, was Peter Hartz mit der Hartz-Kommission ununterbrochen gefordert hat. Die Profis der Nation müssen ran. Wir haben mindestens sechs Millionen Menschen in Deutschland, die an diesem Werk mitarbeiten können. Das ist jetzt gefordert.
Engels: Aus Sachsen werden dabei beispielsweise Probleme gemeldet. Dort kündigt man an, dass die Umsetzung dieser Arbeitsvermittlungswege frühestens erst ab dem zweiten Quartal beginnen kann. Hören Sie solche Meldungen auch aus anderen Bundesländern?
Clement: Nein, aber dass in Deutschland die Bedenkenträger und diejenigen, die nicht vorankommen, das erste Wort haben, das weiß ich. Ich kenne sehr positive Nachrichten, die sind mir lieber. Die kenne ich beispielsweise aus Nordrhein-Westfalen und auch aus Ostdeutschland, nämlich dass solche Personal Service Agenturen schon vor in Kraft setzen in die Tat umgesetzt werden. Jedenfalls werden dazu die Vorbereitungen getroffen. Solche sind mir lieber als diejenigen, die verkünden, wann sie etwas nicht erreichen können.
Engels: Gucken wir nach vorne. Der IHK-Chef Braun hat angemahnt, dass man auch mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit unter Umgehung der großen Institutionen anstreben soll. Was sagen Sie dazu? Sie planen ja wieder das Bündnis für Arbeit auf Bundesebene.
Clement: Also, betriebliche Bündnisse für Arbeit sind aus meiner Sicht falsch, soweit sie meinen, die Gewerkschaften zurückdrängen zu können. Betriebliche Bündnisse für Arbeit, die einbeziehen, dass wir Gott sei dank Gewerkschaften in Deutschland haben, die die soziale Stabilität mit gewährleisten, haben wir zu Hauf und in vielen Unternehmen. Ich kann Ihnen auch aus der Hand viele Unternehmen benennen, in denen durch Vereinbarungen zwischen den Betriebsräten und der Unternehmensleitung Sonderkonditionen geschaffen werden. Das heißt zu deutsch, es werden auch mindere Entgelte für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart, wenn das in dem Interesse des Unternehmens geboten ist. Das ist das, was wir erreichen müssen. Das ist das, was auch in Deutschland stattfindet und wozu auch die Gewerkschaften bereit sind. Ich habe allerdings den Eindruck, dass zur Zeit zu viele Diskussionen gegeneinander geführt werden. Das gilt etwa unter dem Stichwort betriebliche Bündnisse mit dem Hintergedanken, die Gewerkschaften zurückzudrängen. Das macht keinen Sinn. Seit Ludwig Erhard wissen wir, dass wir auf die Tarifautonomie setzen sollen, dass dies vernünftig ist, dass wir auf die freien Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen und auch auf die Vernunft der Beteiligten setzen müssen. Wir brauchen für bestimmte Branchen und Betriebe Sonderkonditionen, wenn dies beispielsweise der Weltmarkt erfordert.
Engels: Bleiben wir bei den Tarifverhandlungen. Heute wird in Bremen weiterhin an einem Schlichterspruch für den Öffentlichen Dienst gefeilt. Was erwarten Sie?
Clement: Ich hoffe auf einen Abschluss zwischen den beiden Seiten, was allerdings, wie wir alle wissen, außerordentlich schwierig ist, auch in Anbetracht der öffentlichen Kassen. Ich hoffe natürlich, dass es zu einer Vereinbarung kommt, die einen Arbeitskampf überflüssig macht und die auf die öffentlichen Kassen Rücksicht nimmt. Die Situation der öffentlichen Kassen ist ja allen geläufig.
Engels: Erwarten Sie für dieses Jahr spürbare Verbesserungen am Arbeitsmarkt?
Clement: Ich gehe davon aus, dass wir das schaffen können. Die Bedingungen sind nicht einfach. Wir haben eine weltwirtschaftliche Situation, die sehr schwierig ist. Wir haben auch eine weltpolitische Situation durch den Irak und die Nahostpolitik, die die großen Unternehmen, die Finanzmärkte und die Weltwirtschaft insgesamt abbremst. Das alles sind keine besonders guten Konditionen. Dennoch gehe ich davon aus, dass wir mit den aktiven Maßnahmen am Arbeitsmarkt und den weiteren Reformschritten, die wir erzielen können, den Arbeitsmarkt schon beeinflussen können und dass es uns gelingen kann, die Arbeitslosigkeit in Deutschland in diesem Jahr unter vier Millionen zu bringen.
Engels: Aber die 3,5 Millionen, die der Kanzler einmal angemahnt hatte, trauen Sie sich nicht zu.
Clement: Ich erwarte, dass wir diese zu einem Zeitpunkt X erreichen. Kein Mensch kann Ihnen sagen, wann das der Fall sein wird. Wir haben ja alle gelernt, dass die weltwirtschaftliche Lage auf Deutschland mehr Einfluss hat, als auf alle anderen Länder, weil wir mehr in die Weltwirtschaft eingebunden sind als alle anderen Staaten. Also werden wir dies in unsere Vorstellungen einbeziehen müssen. Aber das Ziel, die Arbeitslosigkeit weiter zu verringern, haben wir. Die Hartz-Kommission hat das ja sehr mutig benannt. Das waren ja auch keine freischwebenden Künstler, die das getan haben. Sondern das sind ja Fachleute, die dies entworfen haben. Wenn alle mitarbeiten und die Arbeitslosigkeit nicht nur als ein Schlagwort begreifen, wenn sich die Fachleute in jeder Stadt und Gemeinde zusammentun und dies als das Hauptziel erkennen und dieses Hauptziel auch mit gemeinsamen Interessen zu erreichen versuchen, indem jeder Unternehmer sich fragt, ob er noch jemanden beschäftigen kann, wie das in der öffentlichen Verwaltung aussieht und wie er mit Leih- und Zeitarbeit vorankommen kann. Man sollte sich auch fragen, ob man ein Unternehmen mit den Förderinstrumenten, die jetzt zur Verfügung stehen, selbst gründen kann, auch als jemand der aus der Arbeitslosigkeit kommt. Wenn ich das alles nehme, dann glaube ich, können wir gewaltige Schritte nach vorn machen.
Link: Interview als RealAudio