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Clever: Künstliche Beschäftigung mit in die Arbeitslosenstatistik rechnen

Der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit, Peter Clever, hat für Änderungen bei der Arbeitslosenstatistik plädiert. Auch Menschen in Qualifizierungsmaßnahmen und Beschäftigte auf dem zweiten Arbeitsmarkt müssten erfasst werden. Dadurch würde sich die Zahl der Erwerbslosen um gut eine halbe Million erhöhen. Dadurch könnte auch die Arbeitsmarktpolitik zielorientierter gestaltet werden, sagte Clever.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Die Zahl der Arbeitslosen wird heute offiziell bekannt gegeben für den Monat Mai und sie könnte erneut um rund 160.000 zurückgegangen sein gegenüber April. Das berichten die Nachrichtenagenturen wie an diesen Tagen am Morgen üblich. Im entscheidenden Vergleich zum Vorjahr könnte es sich um einen Rückgang um eine halbe Million handeln.
    Am Telefon begrüße ich Peter Clever, stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Guten Morgen Herr Clever!

    Peter Clever: Guten Morgen Frau Klein!

    Klein: Haben Sie die aktuellen Zahlen für Mai bereits für uns?

    Clever: Die Zahlen wird der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit Herr Weise heute bekannt geben und das werde ich jetzt nicht vorwegnehmen. Ich habe aber natürlich intensive Gespräche geführt und eines deutete sich ja auch in Ihrem Beitrag eben und im April an: Die Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt hält an, aber sie verlangsamt sich. Und ich erwarte, dass die Reduzierung der Arbeitslosigkeit nicht so stark sein wird, wie es von den Auguren prognostiziert wurde. Ich glaube nicht, dass es diese 160.000 sein werden. Es wird deutlich weniger sein. Also die Lage stabilisiert sich, verbessert sich, aber die Besserungsgeschwindigkeit am Arbeitsmarkt scheint deutlich abzunehmen.

    Klein: Was ist der entscheidende Hintergrund dafür aus Ihrer Sicht?

    Clever: Die Konjunkturlage ist in Deutschland gemessen an der Weltwirtschaftskonjunktur noch relativ stabil, aber es schlagen natürlich massiv die hohen Energiepreise durch. Der starke Euro schlägt durch. Die Finanzkrise in den USA, die Subprime-Krise. Das sind alles Themen, von denen sich der deutsche Arbeitsmarkt und die deutsche Wirtschaft nicht abschotten können. Das hinterlässt jetzt auch Spuren.

    Wir als Arbeitgeber werden vor allen Dingen sehr genau darauf achten, wie sich bei den so genannten Problemgruppen, also denen, wo wir deutlich mehr Beschäftigung wünschen, etwa bei Älteren, die Arbeitslosigkeit entwickelt oder die Beschäftigung entwickelt. Ich befürchte, dass die Abnahme gerade der Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmern auch an Kraft verliert, und das würde darauf hindeuten, dass die politischen Signale mit Leistungsausweitungen genau den von uns befürchteten Effekt haben, nämlich nicht dazu anzuspornen, alles zu tun, wieder in Beschäftigung zu kommen, sondern sich in der trügerischen Sicherheit einer guten sozialen Absicherung zu wähnen.

    Klein: Welche Signale genau meinen Sie?

    Clever: Ich meine die Signale der Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere. Hier hat der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens eine ganz ungute Entwicklung für unser Land vorgezeichnet und eingeleitet, die auch weit über den eigentlichen Effekt, Arbeitslosengeld für Ältere länger auszuzahlen, negative Wirkungen haben wird, weil sie nämlich ablenkt von unserer zentralen Aufgabe, Einstieg in Beschäftigung zu organisieren und dann Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen. Das muss die Orientierung sein.

    Klein: Was wären denn wünschenswerte Signale aus Ihrer Sicht? Sie haben jetzt noch mal drei Krisenstichworte genannt, nämlich Energiepreise, der Euro-Kurs, die internationale Finanzkrise. Inwiefern sähen Sie denn politischen Handlungsbedarf?

    Clever: Wir sehen Handlungsbedarf natürlich weiterhin im Bereich der Lohnzusatzkosten. Das ist eine Thematik, der sich ja die Koalition verschrieben hat.

    Klein: Es gab gerade einen Vorstoß der SPD dazu: Absenkung der Lohnnebenkosten.

    Clever: Wir glauben, dass die Zielrichtung "Absenkung der Lohnzusatzkosten" richtig ist. Das könnte die Konjunktur stabilisieren. Man darf natürlich das Thema der heimlichen Steuererhöhungen, also des Zugriffs des Staates auf das Portemonnaie von mittleren Einkommensbeziehern und auch leicht über der geringen Einkommenshöhe liegenden Personen nicht unterschätzen, aber der Ansatz, Lohnzusatzkosten zu reduzieren, ist der, der sich am besten in der Beschäftigung niederschlägt. Die Bundesagentur hat ja mit ihrer drastischen Reduzierung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags hier auch schon ganz Beachtliches geleistet und ich finde die Signale aus der SPD gehen in die richtige Richtung.

    Klein: In den vergangenen Monaten gaben die Arbeitsmarktdaten eher Anlass zum Optimismus, zumindest im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren. Das Forschungsinstitut der Bundesagentur selbst allerdings rechnet vor: Rund 1,5 Millionen Menschen tauchen in der Statistik überhaupt nicht auf, obwohl sie arbeitslos sind. Was haben wir von schön gerechneten Zahlen?

    Clever: Wir haben gar nichts von schön gerechneten Zahlen. Ich würde aber die Thematik auch nicht zum Skandal jetzt hochstilisieren. Es gibt Handlungsbedarf in der Arbeitslosenstatistik. Das ist glaube ich unbezweifelbar.

    Klein: Inwiefern?

    Clever: Insbesondere glauben wir, dass es völlig falsch ist, Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt, künstliche Beschäftigung also, nicht die normale Wirtschaftstätigkeit hervorruft, sondern die künstlich politisch herbeigeführt wird, zu behandeln wie ganz normale Beschäftigung. Das sind immerhin über 300.000 Beschäftigungsverhältnisse in unserem Land, die wir so behandeln, obwohl sie künstlich eingeleitet werden und nicht wirklich eine Fundierung im Markt haben. Die werden behandelt wie jede normale Beschäftigung. Ich glaube das ist falsch.

    Wir sollten auch durchaus diejenigen, die in Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesagentur sind - auch da rede ich über eine Größenordnung von etwa 250.000 Menschen -, nicht mehr zu den Nichtarbeitslosen zählen. Sie sind natürlich in einer Beschäftigung, in einer Qualifizierung, aber doch mit dem Ziel, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden und nicht um in einer Maßnahme zu sein. Deshalb hat ja die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände seit langem gesagt, wir wollen, dass insbesondere diese beiden Gruppen, die wir schon mit über einer halben Million bei aktuellen Zahlen zusammenzählen können, auf jeden Fall zu den offiziell ausgewiesenen Arbeitslosen gezählt werden.

    Dann bedarf es natürlich auch immer eines Blickes auf die so genannte stille Reserve. Hier haben wir gute Instrumente.

    Klein: Also Menschen, die sich gar nicht mehr bei den Arbeitsagenturen melden, weil sie sich für sich selbst kaum noch Chancen ausrechnen.

    Clever: Das ist richtig und wir wissen auch, dass die stille Reserve, also genau diese Menschen, die Sie beschrieben haben, bei hohen Arbeitslosenzahlen, also schlechter Arbeitsmarktlage auch relativ hoch sind, weil die Menschen dann stärker resignieren, dass sie runtergehen, wenn sich die Arbeitsmarktlage bessert. Dann nimmt der Optimismus zu. Man meldet sich wieder. Das ist eine schwankende Größe, aber wir müssen sie im Blick haben, weil wir langfristig in Deutschland gerade diese Menschen brauchen. Hier sind insbesondere Frauen ganz überproportional beteiligt und wir müssen das Potenzial von Frauen viel stärker in den Blick nehmen, die im Prinzip arbeiten wollen, und nicht nur die Frauen, die als arbeitslos gemeldet sind.

    Klein: Aber Herr Clever, ich höre jetzt ein ganz starkes Plädoyer Ihrerseits dafür zu sagen, ehrlicher wäre es, weiter dabei zu bleiben, wir haben eigentlich immer noch knapp fünf Millionen Arbeitslose und die Statistik sollte wieder so umgestellt werden wie sie vielleicht mal war.

    Clever: Ich glaube das ist eine Überinterpretation. Die Statistik hat immer schon diese Menschen in Maßnahmen und in Beschäftigung schaffenden Maßnahmen, in Qualifizierungsmaßnahmen nicht zu den offiziellen Arbeitslosen gezählt. Deshalb glaube ich wäre es falsch, ein Signal zu geben, wir haben in Wirklichkeit eine Million registrierte Arbeitslose mehr und wir sollten etwa die Gruppe auch der stillen Reserve in die registrierte Arbeitslosigkeit hineinrechnen. Das wäre glaube ich der falsche Weg.

    Insgesamt haben wir eine recht transparente Arbeitslosenstatistik in Deutschland. Wenn man das im internationalen Vergleich sich mal ansieht: Die Niederlande haben 8,8 Prozent Erwerbsunfähigkeitsrenten aller Menschen zwischen 15 und 64 Jahren, also im erwerbsfähigen Alter. Großbritannien: 7,7 Prozent Erwerbsunfähigkeitsrenten. Das ist ein viel schlimmerer Effekt, Arbeitslosigkeit zu verstecken, als in Deutschland, wo dieser Anteil nur 3,1 Prozent beträgt, weil wir strengere Maßstäbe an die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt anlegen. Ich glaube wir sind hier im internationalen Vergleich vernünftig aufgestellt. Es gibt keinen Grund, Skandal zu rufen. Aber die von mir genannten Punkte, Menschen in Qualifizierungsmaßnahmen und in künstlichen Beschäftigungsmaßnahmen, die sollten wir in die registrierte Arbeitslosigkeit mit hineinrechnen. Das würde ein Stück mehr Ehrlichkeit bringen und auch die Arbeitsmarktpolitik zielorientierter gestalten lassen.

    Klein: Ist Vollbeschäftigung ein Ziel, an dem wir festhalten sollten?

    Clever: Wir sind froh, dass die Politik endlich wieder über Vollbeschäftigung redet. Ich bin jetzt kürzlich in Bayern gewesen. Man ist dort sehr erfolgreich. Vier Arbeitsagenturbezirke haben bereits eine Zwei vorne. Man ist auf dem Sprung, vielleicht auch die Drei insgesamt für das Land zu kriegen.

    Klein: Drei Millionen Arbeitslose dann aber immerhin?

    Clever: In Deutschland haben wir dann immer noch drei Millionen Arbeitslose und deshalb sage ich auch, wenn man sagt, bei zwei Prozent könnte man von Vollbeschäftigung reden, ich glaube jeder Mensch, der arbeiten möchte und keine Arbeit findet, ist einer zu viel. Deshalb sind das alles Überlegungen, die nicht dazu taugen, den Menschen eine Sicherheit zu geben, die sie jetzt nicht haben. Aber ich glaube, dass wir insgesamt auf einem guten Weg sind und dass die Politik angespornt sein muss, wirklich auf Vollbeschäftigung hin ihre Rahmenbedingungen auszurichten. Das bedeutet für uns: Einstieg in Arbeit, das muss die absolute Priorität haben, und Aufstieg durch Bildung, denn in der Bildung geschieht die eigentliche Sozialpolitik. Da muss mehr getan werden in Deutschland.

    Klein: Peter Clever war das. Er vertritt die Arbeitgeberseite im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Clever!

    Klein: Sehr gerne. Auf Wiederhören!