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Clever: Politik darf Sachverstand nicht in den Wind schlagen

Der Vize-Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit (BA), Peter Clever, hat den Vorstoß von SPD-Chef Kurt Beck für einen längeren Bezug von Arbeitslosengeld für Ältere scharf kritisiert. Dies sei ein Schritt in die falsche Richtung, mit dem Fehler aus den 80er Jahren wiederholt würden. Man müsse die momentanen Spielräume nutzen, um für eine mögliche Rezession Vorsorge zu treffen. Er forderte, die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung deutlich zu senken.

Moderation: Dirk Müller |
    Müller: Kaum verlässt die SPD die Agenda 2010, geht es ihr in den Umfragen deutlich besser. Erstmals seit Monaten hat sie gegenüber der Union Punkte gut gemacht, wobei vom Verlassen der Agenda zu sprechen, wie das viele Kommentatoren tun und höchstens in den eigenen Reihen noch Franz Müntefering tut, davon will Kurt Beck nichts wissen. "Wir halten Kurs und wir werden das Profil gegenüber der CDU/CSU deutlich schärfen", sagte der SPD-Chef gestern im Deutschlandfunk. Das Arbeitslosengeld I soll also reformiert werden, verändert werden. Ältere Arbeitnehmer sollen demnächst länger Arbeitslosengeld bekommen. Kostenpunkt: 800 Millionen Euro, sagen die Sozialdemokraten.
    Am Telefon begrüße ich nun Peter Clever. Er vertritt die Arbeitgeber bei der Bundesagentur für Arbeit, ist dort stellvertretender Verwaltungsratschef. Guten Morgen!

    Clever: Guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Clever, sind Sie neuerdings ein Freund von Franz Müntefering?

    Clever: Wo Franz Müntefering Recht hat, da muss er unterstützt werden und der Weg weg von der Agenda 2010 durch Verlängerung des Arbeitslosengeldes, der darf nicht Realität werden. Wir wollen auch für ältere, dass sie in Beschäftigung kommen, und uns nicht damit beschäftigen, dass sie möglichst lange Arbeitslosengeld bekommen. Es muss hier eine vernünftige Balance hergestellt bleiben, und die ist mit der Agenda 2010 in die richtige Richtung bewegt worden. Hier ist eine Rolle rückwärts der falsche Weg.

    Müller: Ist diese kleine marginale Korrektur, wie Kurt Beck sagt, tatsächlich ein weg?

    Clever: Es ist im Gesamtkontext natürlich ein weg, weil es nämlich den Fehler, der in den 80er Jahren sukzessive gemacht wurde, nun ein zweites Mal macht. Wir haben ja die reale Erfahrung, dass durch längere Bezugszeiten auch die Arbeitslosigkeit älterer massiv nach oben gegangen ist. Dank Agenda 2010, aber auch dank der Konjunktur haben sich hier die Werte deutlich verbessert. Viel mehr ältere Menschen sind in Arbeit gekommen und diesen Erfolg, Menschen in Beschäftigung zu bringen, wollen wir nicht dadurch gefährden, dass wir wieder die Sozialsysteme zusätzlich belasten.

    Und gerade weil Sie auch die Umfragewerte ansprechen. Was ja besonders traurig an dieser Rolle rückwärts ist: sie wird ihre volle negative Wirkung ja gerade dann entfalten, wenn es der Wirtschaft wieder schlechter gehen wird. Wir wollen aber eine nachhaltige Politik machen und deshalb auch das richtige tun, was in schwierigen Wirtschaftszeiten richtig ist und nicht in guten Zeiten sich blenden lassen durch Überschüsse und die regelrecht verpulvern.

    Müller: Herr Clever, also demnach wird nicht nur alles teurer, sondern wir bekommen auch wieder mehr Arbeitslose?

    Clever: Ja. Es ist völlig klar: Das ist eine Belastung des Faktors Arbeit und die Bundesagentur selbst weiß, dass die in die Welt gesetzte Zahl von 800 Millionen eine Wunschzahl ist, um zu behaupten, das sei nur eine marginale Änderung. Abgesehen von der Grundrichtung, die nun wirklich in die entgegengesetzte eingeschlagen wird, die Bundesagentur rechnet mindestens mit Kosten zwischen einer und zwei Milliarden und sie schließt sogar 2,9 Milliarden im extremen Fall einer stärkeren Rezession nicht aus. Das ist eine Belastung des Faktors Arbeit, die das Gegenteil von dem ist, was die Wirtschaft benötigt.

    Müller: Nun haben Sie dieses Szenario ja beschrieben: 2,9 Milliarden im extremen Fall. Nach einer solchen Rezession sieht es allerdings nicht aus?

    Clever: Nein, es sieht jetzt nicht nach einer Rezession aus und wir wollen auch alles tun, dass wir möglichst die Konjunktur jetzt positiv gestalten. Dazu gehört es, den Faktor Arbeit deutlich zu entlasten und gleichzeitig aber der Bundesagentur für Arbeit keine Vorbelastungen für schwierigere wirtschaftliche Zeiten jetzt zusätzlich aufzubürden. Deshalb sagen die Arbeitgeber in Deutschland, bitte nutzt die Spielräume, die Beitragssätze deutlich nach unten zu fahren. 3,2 Prozent ist möglich. Dann hat die Bundesagentur trotzdem 2011 noch ein Polster von annähernd 15 Milliarden Euro und damit kann man durchaus auch eine gewisse wirtschaftliche Abkühlung abfedern. Was jetzt das Falsche wäre, wäre sich wie die Ökonomen sagen prozyklisch zu verhalten. Deshalb hat ja auch der Sachverständigenrat in einer ganz deutlichen Stellungnahme diesen Weg als kontraproduktiv bezeichnet und ich finde die Politik ist gut beraten, den Sachverstand nicht in den Wind zu schlagen.

    Müller: Herr Clever, reden wir noch einmal über Kurt Beck. Der hat ja nun gerade gesagt, dass diese geplante Beitragssenkung der Arbeitslosenversicherung von 4,2 auf 3,5 - das ist ja das, was aktuell in der Koalition gefordert und diskutiert wird - eben dazu führt, dass unter dem Strich alles nicht teurer wird. Hat er damit Recht?

    Clever: Es ist richtig, den Beitragssatz nach unten zu fahren, aber wir sind der festen Überzeugung, dass wir mehr Spielraum haben, um die Konjunktur zu stützen, und dieser Spielraum soll jetzt nicht für alte Klamotten der Arbeitsmarktpolitik, etwa wieder Geld auf Probleme zu schmeißen, verwendet werden. Es wird ja vorgeschlagen, einfach die Zahl eine Milliarde Euro in die Welt gesetzt. Die soll man jetzt in die aktive Arbeitsmarktpolitik zusätzlich reinstecken. Das ist der falsche Weg. Wir wollen nicht Geld verpulvern, Geld verbrennen, sondern die Spielräume für die größtmögliche Beitragssenkung zu nutzen, die am Ende aber der BA auch in schlechten Zeiten noch ein Polster gibt. Das ist bei 3,2 Prozent genau richtig.

    Müller: Herr Clever, von einer Milliarde war zunächst die Rede. Dann hat man gesagt 800 Millionen, damit sich das nicht ganz so schlimm anhört. Wenn Kurt Beck mit dieser Zahl offiziell und öffentlich operiert, sagt er dann mehr als er weiß?

    Clever: Es gibt natürlich immer Möglichkeiten, Konditionen zu setzen, die dann schlicht und einfach rein rechnerisch eine solche Zahl ergeben. Da hätte man auch 500 Millionen oder 300 Millionen ansetzen können. Ich halte mich an die Fachleute in der Bundesagentur für Arbeit, die als Minimum 1,1 bis 1,2 Milliarden, aber als ein unrealistisches Minimum ansehen und die realistisch eine Größenordnung von eins bis zwei schätzen und in der Rezession sogar ein Ansteigen der Kosten auf drei Milliarden nicht für ausgeschlossen halten. Das heißt hier ist Beitragssenkung durch unnötige Ausgaben wieder vorprogrammiert und das ist das Gegenteil von vorsorgender und nachhaltiger Politik. Das ist purer Populismus und Herr Beck sollte sich wirklich überlegen, ob er die ordnungspolitische Orientierung, die wir mit Agenda 2010 bekommen haben, jetzt leichtfertig aufs Spiel setzen möchte.

    Müller: Was aber streng genommen, Herr Clever, nicht nur für die SPD-Führung, für Kurt Beck gilt, sondern auch für die Unionsparteien?

    Clever: Wir haben dies ganz deutlich kritisiert, auch im Zusammenhang mit den Aktivitäten des selbst ernannten Arbeiterführers Jürgen Rüttgers. Der ist genauso auf dem Holzweg und wenn er quasi das Startsignal gegeben hat, einen als Fehler erkannten Politikansatz nun erneut zum Leben zu erwecken, wird damit dieser Fehler nicht besser. Wir kritisieren hier Jürgen Rüttgers genauso wie wir Kurt Beck kritisieren.

    Müller: Die Kanzlerin heißt aber Angela Merkel. Die will auch mitmachen.

    Clever: Die Kanzlerin glaube ich hat sich hier bisher jedenfalls noch sibyllinisch geäußert. Sie hat sicherlich beim Parteitag die Hoffnung gehabt, dass die SPD die Orientierung 2010 nicht aufgibt, und sie ist jetzt in einer gewissen Klemme. Aber Politik heißt eben auch führen und das heißt ordnungspolitisch richtig führen und die Kanzlerin ist gut beraten, hier nicht einen Schwenk zum Populismus zu machen.

    Müller: Aber sie führt? Sie sind schon der Meinung, dass sie führt?

    Clever: Sie soll führen. Ich habe gesagt, dass sie sich bisher sibyllinisch geäußert hat. Die Kanzlerin ist hier wirklich aufgefordert, ordnungspolitische Orientierung zu geben. Das ist das, was die Menschen von ihr erwarten. Das erwartet auch die Wirtschaft von ihr. Ordnungspolitische Orientierung heißt, kein Rütteln an der Agenda 2010: weder im Hinblick auf die Arbeitsmarktpolitik, dass wieder Geld rausgeschmissen wird, noch die Verlängerung von Sozialleistungen. Wir wollen, dass die Menschen Arbeit bekommen, und uns nicht den Kopf zerbrechen, Arbeitslosigkeit möglichst lange zu alimentieren.

    Müller: Wir haben, Herr Clever, von der Kanzlerin gehört, dass sie die ganze Sache durchaus sympathisch findet, wenn alles kostenneutral zu finanzieren wäre beziehungsweise unter dem Strich eben kein Geld kostet. Ist das realistisch? Kann man das in der Praxis umsetzen?

    Clever: Man kann alles. Man kann ja auch politischen Unsinn in die Praxis umsetzen. Jede Verlängerung des Arbeitslosengeldes ist ein Schritt in die falsche Richtung und wer Kostenneutralität sagt, wird den Menschen nahe treten müssen, jungen Familien, die wenn sie arbeitslos werden in einer vielleicht im Einzelfall sogar noch schwierigeren Situation sind als ältere Menschen, die ihre Kinder bereits versorgt wissen, die bestimmte Belastungen nicht tragen müssen. Es ist deshalb auch verteilungspolitisch der falsche Weg, hier die jungen Familien zu belasten. Das hat vor einem Jahr übrigens Kurt Beck auch der Union zurecht ins Stammbuch geschrieben. Warum jetzt auf einmal die Politik die Rolle rückwärts macht, mit oder ohne Kostenneutralität, ist völlig unverständlich und es zeugt von mangelndem ordnungspolitischem Kompass. Den muss die Bundesregierung zurückfinden und die Kanzlerin ist hier als erste gefordert.

    Müller: Könnte man unter dem Strich sagen, Ihnen fehlt Gerhard Schröder?

    Clever: Man kann nicht sagen, dass Gerhard Schröder fehlt, weil Gerhard Schröder ja zu Beginn seiner Regierungszeit auch ordnungspolitisch schwere Fehler begangen hat. Er hat in der Rente den Demographiefaktor abgeschafft, der dann mit Mühe nach einer Legislaturperiode wieder eingeführt werden musste. Ich glaube die Politik insgesamt hat zu einem vernünftigen Reformkurs gefunden, bei dem die Agenda 2010 eine wichtige Katalysator-Funktion hatte. Dieser Reformkurs darf jetzt nicht abgeschwächt werden; er muss verstärkt werden. Wir waren auf einem guten Weg und die Politik sollte diesen guten Weg jetzt auch wirklich als Orientierung für die Menschen nicht verlassen.

    Müller: Vielen Dank Peter Clever, stellvertretender Verwaltungsratschef der Bundesagentur für Arbeit. Auf Wiederhören!

    Clever: Guten Morgen Herr Müller. Auf Wiederhören!