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Clubkultur
Techno in Corona-Zeiten

Die Corona-Krise sorgt nicht nur für leere Cafés und Restaurants, auch die Clubs sind von ihr betroffen. Alles ist geschlossen, abgesagt oder verschoben worden. Aber dann eben doch nicht alles – die Szene zeigt sich in der Not erfinderisch.

Von Martin Böttcher | 21.03.2020
Menschen stehen in einer langen Schlange vor dem Berliner Club Berghain - aufgenommen am 04.09.2012.
Schlange stehen vor dem Berghain - das war einmal: Wegen Corona müssen alle Clubs deutschlandweit schließen (imago / Imagebroker)
Wir kennen die Bilder: Menschen stehen auf ihren Balkons und machen gemeinsam Musik: Quarantäne in Italien. Jetzt geht ein anderes Video herum: ein DJ unterhält die Nachbarschaft.
Angeblich, so hieß es schnell, mit dem Song "Rhythm of the Night" einer italienischen 90er-Jahre-Eurodance-Truppe namens, Achtung: Corona. Ich habe gesucht und gesucht, aber in allen Versionen dieses Videos, die ich finden konnte, spielte er etwas ganz anderes. Musikalisch auch schlimm, aber mit Message: "Baila Conmigo" – tanz mit mir.
Der digitale Club
Das mit dem Tanzen ist ja gerade so eine Sache, haben sie in der selbsterklärten Club-Hauptstadt Berlin festgestellt. Wenn nicht aufgemacht werden darf, kommt natürlich niemand. Aber wir leben ja nicht mehr im 20. Jahrhundert, sondern sind alle vernetzt! Und so haben sich die Berliner Clubs zusammengetan und betreiben die Streamingplattform "Unitedwestream". Der digitale Club, der mit Unterstützung von Arte nach Hause kommt. Jeden Tag mit DJ-Sets, Live-Musik und Performances aus unterschiedlichen Locations. Und Gesprächsrunden, Vorträge und Filme rund um clubkulturelle Themen soll es auch geben.
Wir sollen uns für diese Aktion revanchieren und spenden – das Geld geht an die Clubs, die nicht allzu lange ohne Hilfen durchhalten werden, an die Künstler – und an den Stiftungsfond Zivile Seenotrettung. Denn woanders sind Menschen in noch mal krasseren Situationen.
Save our Scene
Was auch ganz gut zum Thema passt: Resident Advisor, die Webseite für ernsthafte Clubmusik, hat einige Punkte zusammengetragen, wie man sich innerhalb der Szene helfen kann: Spenden. An Streaming-Events beteiligen. Petitionen unterzeichnen. Und nicht zuletzt: Musik kaufen!
Das ist gar nicht so einfach, weil auch in der Clubszene vieles verschoben wird. Und vielleicht weiß man ja auch gar nicht, was man sich so kaufen soll. Da hätte ich noch drei Tipps für Alben, die perfekt in die heutige Krisenzeit passen:
Es pocht und pulsiert und schwingt
Pantha Du Prince zum Beispiel hat gerade sein Album "Conference of Trees" veröffentlicht. Unglaublich meditative Tracks, die eine Tiefenentspannung möglich machen, wenn man sich auf sie einlässt. Es pocht und pulsiert und schwingt - Hendrik Weber alias Pantha Du Prince ist nicht nur ein sehr guter Musiker, er ist auch ein spiritueller Mensch, wie man hier hören kann:
Punkig und funkig
Wer sich zu Hause nicht verkriechen oder in Traumwelten abdriften will, der ist dagegen besser mit Joey Anderson bedient. Joey Anderson kommt aus New Jersey und war früher professioneller Tänzer in House-Clubs. Die Tracks auf seinem neuen Album "Rainbow Doll" sind nervöse, manchmal auch schön nach alter House-Schule klingende Stücke, durch die der Körper zu allerlei Zuckungen aufgefordert wird. Aber Joey Anderson singt nicht so kitschig-glitschig, wie es House-Musiker oft tun – da ist auch was Punkig-Funkiges in ihm.
Und zum Schluss noch das hier als Empfehlung: Der angolanische Produzent Nazar, der mittlerweile in Manchester lebt und tolle Sachen mit geloopten Stimmen und Samples macht.
So klingt Musik im Jahr 2020, wenn die Katastrophe an die Tür klopft. Ob wir sie reinlassen, liegt ja tatsächlich noch ein Stück weit bei uns – und unserem Ausgehverhalten. Mein Tipp: Nazar rein, Kopfhörer auf und staunen, was passiert.