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Clubkultur und Islam
Eine Zukunftsvision der Popmusik im Iran

Der iranische Medienkünstler Bijan Moosavi beschäftigt sich mit der Frage: Wohin entwickelt sich iranische Popmusik unter den Vorzeichen des westlichen Turbokapitalismus? Beim Forecast Forum in Berlin, das Nachwuchs-Künstler*innen aus aller Welt zusammenbringt, stellt er sein Projekt "Disco Islam" vor.

Von Franziska Buhre | 04.07.2019
Bijan Moosavi, Disco Islam
Bijan Moosavis "Disco Islam" ((c) Bijan Moosavi)
Im Iran der Gegenwart ist das Tanzen in der Öffentlichkeit verboten. In privaten Räumen hingegen wird ausgiebig getanzt. Die Geschlechtertrennung zieht sich jedoch wie ein Geschwür durch die iranische Gesellschaft. Hier setzt das neue Kunstprojekt des iranischen Klangkünstlers Bijan Moosavi aus London an. Seine fiktive "Disco Islam" bietet dank neuester Technologien die perfekte, keusche Lösung für die Begegnung der Geschlechter in der Öffentlichkeit:
"Rein physisch wird nicht viel getanzt werden. Männer und Frauen werden in getrennten Räumen in Sesseln sitzen und Virtual-Reality-Brillen tragen. So werden sie zu geschlechtslosen Avataren, die dann im virtuellen Raum tanzen. Das kann nicht lange gut gehen. Weshalb sollte überhaupt noch eine Disko oder ein Club existieren, wenn alle Faktoren, die diesen Ort menschlich machen, getilgt sind und alles auf Zahlen, Handel und Profit reduziert wird?"
Ein islamischer Futurist
Bijan Moosavi schlüpft in die Rolle eines muslimischen Geschäftsmanns und nennt sich "islamischer Futurist". So präsentiert er seine "Disco Islam" als Werbeclip für zukünftige Investoren. Zwischen den bunten Bildern, Fahrstuhlmusik und Loops aus Versatzstücken iranischer Popsongs lauert auch Sprengstoff: denn die Disco Islam entsteht im ausgetrockneten Urmia-See im Nordwesten Irans - das Gebiet gilt als eines der größten Umweltdesaster im Iran, von der Regierung verursacht.
Moosavis fiktiver Nachtclub aber erhält großzügige staatliche Unterstützung: "In meinem Entwurf folgt die Regierung also den neoliberalen Grundsätzen der Privatisierung: sie verkauft einen See, dessen Austrocknung sie selbst verursacht hat. Genau dort wurde dann die Disco Islam gebaut."
Clubkultur und künstliche Intelligenz
Das Freiheitsversprechen der Clubkultur wird aber auch nicht durch künstliche Intelligenz in Einklang mit islamischer Lebensführung zu bringen sein. Dem Konsum sind Grenzen gesetzt, und wenn die Musikindustrie menschliche Kreativität durch autonome Technologien ersetzt, implodiert sie. Als künstlerische Utopie zeigt Moosavis "Disco Islam", woran die iranische Gesellschaft krankt und stellt entscheidende Fragen an die Gegenwart. Vor allem: Wohin steuert der Iran unter den kapitalistischen Vorgaben des Westens?
"Solange im Westen Regierungen der politischen Mitte an der Macht sind, wird das Atomabkommen der einzige Weg sein, mit dem Iran zu verhandeln. Deshalb werden sich neoliberale Tendenzen auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft weiter ausbreiten, in diesem Fall in der Kultur, der Kunst und Musik."
Eine düstere Analyse. Doch Bijan Moosavi sieht einen Ausweg. Wenn westliche Regierungen nämlich die Vorzeichen, unter denen sie an den Iran herantreten, ändern, gibt es die Chance für alternative Gesellschafts- und Geschäftsmodelle, und somit auch für den Austausch von Musikkulturen.
"Ich möchte mir die Hoffnung bewahren, dass die Welt in der Lage ist zu erkennen, dass es an der Zeit ist, unsere Ideen von Effizienz und hartem Kapitalismus einmal beiseite zu lassen und uns mehr dem Sozialismus zuzuwenden. Wenn das im Westen passiert, fällt es im Iran auf fruchtbaren Boden, daran habe ich keine Zweifel. Denn es gibt dort diese Saat, die Raum gewinnt und wächst."