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Cognac vor dem Matchball

Zu einer Zeit, als Damensport noch ein Schattendasein führte, trafen im Tennis zwei Spielerinnen aufeinander, die bis heute als Wegbereiterinnen der Emanzipation im Sport gelten. Am 16. Februar 1926 kam es in Cannes zur legendären und einzigen Begegnung zwischen den beiden Tennis-Primadonnen Suzanne Lenglen aus Frankreich und der Amerikanerin Hellen Wills.

Von Hartmut Goege |
    "Die Französin Suzanne Lenglen bleibt dank ihres 6:3 und 8:6 Sieges über Helen Wills aus den Vereinigten Staaten die unbestrittene Tenniskönigin. Eines der dramatischsten Spiele der Tennisgeschichte endete heute mit der völligen Erschöpfung beider Kontrahentinnen."

    Es war die Top-Meldung des Tages, die der Korrespondent der "New York Times" am 16. Februar 1926 von der französischen Cote Azur über den Großen Teich telegrafierte. Seit Wochen hatte die Sport-Welt diesem Match in Cannes entgegengefiebert. Die Mittelmeerstadt glich einer Karnevalshochburg. Nie zuvor hatte es ein Damen-Tennisspiel gegeben, das weltweit ein solches Aufsehen erregt hätte. Immerhin zählten Suzanne Lenglen und Helen Wills in den 20er Jahren zu den populärsten Sportidolen auf beiden Seiten des Atlantiks, bekannter als mancher Filmstar. Die Niederlage der Amerikanerin kommentierte die Pariser Zeitung "L´Echo" höhnisch:

    "Man kann durchaus sagen, dass Helen Wills die größte Tennisspielerin der Welt ist - aber erst nach Suzanne Lenglen."

    Dabei sollte das Spiel in Cannes nur ein Schaukampf sein. Beide Frauen galten als Tennis-Primadonnen. Beiden ging der Ruf voraus, ehrgeizig und unschlagbar zu sein. Und sie waren bisher nie aufeinandergetroffen. Für die Presse die Story schlechthin. Sportreporter wie der US-Korrespondent Paul Gallico heizten die Stimmung an:

    "Die schöne Helen kämpft für die Kraft der Jugend, für das Licht, für Demokratie und Recht, gegen eine unattraktive Suzanne. Lenglen verkörpert die dunkle Seite, das Männliche, das Bedrohliche."

    Das Match wurde zum inoffiziellen Kampf um die Weltmeisterschaft erklärt und 70 Jahre vor Martina Navratilova und Steffi Graf zum Jahrhundert-Duell hochstilisiert. Ausgiebig diskutierte die Öffentlichkeit die bisherigen sportlichen Erfolge der beiden. Suzanne Lenglen, 1899 geboren, hatte es 1920 als erste Frau geschafft, Wimbledon in allen drei Konkurrenzen - Einzel, Doppel und Mixed - zu gewinnen. Dieses Kunststück wiederholte sie 1922 und 1925. Insgesamt gewann sie 15 Wimbledontitel und 10 Weltmeisterschaften. Nebenher schrieb sie Tennislehrbücher, mit denen sie speziell um mehr Frauen für den weißen Sport warb:

    "Ist Tennis etwa der Hingabe eines gut gebauten Mädchens unwürdig? Ist es etwa unwürdig, weil Frauen, und viele Frauen tun es, manche Männer dabei schlagen? Bedroht es etwa die physische Tauglichkeit der jungen Männer, weil man, um sich vollkommene Gewandtheit anzueignen, unaufhörliche Übung braucht?"

    Die Französin war das sportliche Vorbild für die sechs Jahre jüngere Helen Wills. 1923 gewann Wills mit gerade 17 Jahren die Internationale US-Meisterschaft. Und ein Jahr später stand sie, mit 18, erstmals im Wimbledonfinale. Beide Damen stammten aus wohlhabenden Familien und wurden von ehrgeizigen Vätern trainiert. Lenglen galt als extravagant. Im offenen Langpelz betrat sie den Platz und bestritt das Spiel mit gewagtem Dekollete, immer stark geschminkt. Wills dagegen galt als unnahbare Lady, korrekt gekleidet, diszipliniert, aber stumm. Mit ihren Gegnerinnen sprach sie kein Wort, Schieds- und Linienrichter würdigte sie keines Blickes. Zur Begrüßung in Cannes soll sie ihrer Gegnerin vor 6000 Zuschauern zumindest ein Lächeln angedeutet haben.

    Nach Spielbeginn erweist sich die Amerikanerin zunächst als die Stärkere. Doch in einem hochdramatischen Schlagabtausch wendet Suzanne Lenglen schließlich ihre bekannte Erschöpfungstaktik an: Den Wechsel zwischen kurzen und scharfen langen Bällen. Als das Spiel für die Französin noch einmal zu kippen droht, bedient sie sich eines französischen Hausmittels. Nach einem ordentlichen Schluck Cognac gewinnt sie das Spiel am Ende souverän.

    Die amerikanische Presse tröstete sich mit der Aussicht auf eine Revanche.

    "San Francisco Chronicle":"Es war eine Niederlage. Aber ein hart umkämpftes Spiel, das gezeigt hat, mit welchem wunderbaren Einsatz unsere kleine Miss aus Berkley gekämpft hat. Früher oder später, das ist ganz sicher, wird Helen Wills die amerikanische Flagge wieder ganz hoch halten."

    Es blieb das einzige Match der beiden. Lenglen trat aus gesundheitlichen Gründen bald von der Tennisbühne ab, Helen Wills aber entwickelte sich zur erfolgreichsten Tennisspielerin der 20er und 30er Jahre mit acht Einzeltiteln in Wimbledon.