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Cohn-Bendit: Europa muss Scherben seiner Politik verantworten

Die UNO müsse eine Flugverbotszone über Libyen einrichten und die Übergangsregierung anerkennen, sagt Daniel Cohn-Bendit, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Europaparlament. Schon die Bereitschaft der UNO zu einem Militäreinsatz könne Diktator Gaddafi wohlmöglich dazu bringen, "zu einer Lösung zu finden".

Daniel Cohn-Bendit im Gespräch mit Peter Kapern | 07.03.2011
    Peter Kapern: Was genau derzeit in Libyen geschieht, kann wohl niemand so richtig beurteilen, zu verworren ist die Lage in dem Bürgerkriegsland. Zwei Dinge allerdings scheinen festzustehen: Zum einen nehmen die Kämpfe an Heftigkeit zu, die Zahl der Opfer steigt immer schneller, und zum anderen sieht es so aus, als komme Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi langsam, aber sicher aus der Defensive. Seine Truppen setzen zu immer mehr Angriffen auf Städte und Ortschaften an, die bereits von den Aufständischen kontrolliert wurden. Was kann der Westen, was kann Europa jetzt tun – Fragen, die wir mit Daniel Cohn-Bendit erörtern wollen, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Europaparlament. Guten Morgen!

    Daniel Cohn-Bendit: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Cohn-Bendit, eine der seit Tagen heftig umkämpften Städte heißt az-Zawiya. Mein Kollege Peter Steffe hat am Samstag einen Einwohner aus der Stadt ans Telefon bekommen, und der hat ihm unter anderem dies hier gesagt:

    O-Ton Einwohner: Keiner kann jetzt sagen, wie viele Tote und Verletzte es gibt, keiner kann momentan zum Platz, wo gekämpft wird. Aber wir wissen, dass diese Schlacht ganz schlimm sein wird, ich erwarte Tausende Tote und Verletzte. Wir bitten um Hilfe, wir brauchen die Hilfe in dieser Stadt, die Welt soll wissen, dass es ein Massaker, ein Morden, einen regelrechten Vernichtungskrieg hier gibt, den die Welt bislang noch nicht gesehen hat, das, was hier in az-Zawiya passiert.

    Kapern: Ein Einwohner der Stadt az-Zawiya in Libyen. Herr Cohn-Bendit, welche Antwort haben Europas Politiker auf diesen Hilferuf?

    Cohn-Bendit: Na ja, welche Antworten haben Europas Politiker! Erst mal haben sie die Scherben ihrer Politik zu verantworten, denn sie haben ja den verrückten Diktator Gaddafi auch zum Teil groß gemacht. Ich meine, jetzt muss man auch sehr vorsichtig sein, aber im Grunde genommen gibt es zwei mög ... Entwicklungen, die man parallel betreiben muss. Die eine: Ich bin absolut dafür, dass von der UNO eine Flugverbotszone eingerichtet wird über Libyen. Es geht um Flugverbot nicht nur, um die Kampfflugzeuge, nicht nur auch versuchen zu verhindern gegen die Bevölkerung zu fliegen, sondern auch zu verhindern, dass Gaddafi aus Kenia und anderen Ländern Zöllner anheuert – Geld hat er –, die er in die Schlacht schlägt. Es sollen in der Wüste bis zu 10.000 Kenianer im Moment ausgebildet werden, um in die Schlacht zu ziehen. Das zu verhindern, wäre im Grunde genommen mit einer Flugverbotszone zu erreichen. Zweitens: Gaddafi soll angekündigt haben, dass er bereit ist, UNO- und EU-Beobachter ins Land zu schicken, also zu versuchen eine Situation zu stabilisieren, um im Grunde genommen dann darauf zu drängen, dass es innerhalb einiger Monate zu einer Wahl kommt, dass man diese Entscheidung weg von dem Militär hin zu einer politischen Entscheidung führt. Dies kann man aber nur machen, wenn man gleichzeitig bereit ist, militärisch bereit zu sein. Allein die Bereitschaft schon ist, meiner Meinung nach, kann Gaddafi dazu bringen ja im Grunde genommen zu einer Lösung zu finden. Die Übergangsregierung in Bengasi hat schon lange gebeten, jetzt eine Flugverbotszone einzurichten. Sie müssen einfach sehen: Wenn man einfach nur sagt, ja das müssen die Libyer selber entscheiden, wir leisten humanitäre Hilfe, wir fliegen die Flüchtlinge weg (…) (Anm. d. Red.: Auslassung, da schwer verständlich) Grenze, das ist richtig, das bedeutet, dass Gaddafi die Zeit gegeben wird, das Land wieder zu erobern und die Stadt Bengasi wieder einzunehmen. Und das wird natürlich zu einem furchtbaren Gemetzel führen.

    Kapern: Nun gibt es ja gewichtige Gründe gegen eine solche Flugverbotszone, der US-Verteidigungsminister Robert Gates beispielsweise sagt, man dürfe sich da nichts vormachen, die Errichtung einer Flugverbotszone erfordert Krieg, die libysche Luftabwehr muss mit Luftangriffen ausgeschaltet werden.

    Cohn-Bendit: Es stimmt, das sind aber ... Ja, es gibt auch gewichtige Gründe zu sagen, dass man was machen muss. Ich ... noch einmal: Sie haben ja jetzt auch diesen Telefonanruf gesehen und Gaddafi wird natürlich nicht es dabei belassen, dass sein Land gespalten ist. Das heißt, er wird verlorenes Terrain zurückgewinnen, und – und das ist das Hauptproblem – wenn man nicht entscheidend zeigt, dass man bereit ist auch – zugegeben militärisch kompliziert, ich bin auch kein Verteidigungsminister – etwas zu machen, dann wird Gaddafi zum Beispiel zum Einnehmen der Stadt Bengasi bereit sein zum Beispiel Giftgas anzuwenden. Und dann, was sagen wir dann? Hätten wir gewusst? Ich weiß, es ist immer schwierig, bevor das Schlimmste geschehen ist, einzugreifen. Aber wenn das Schlimmste geschehen ist, dann werden alle sagen, warum haben wir das abgewartet? Es ist ...

    Kapern: ... ein anderes Argument gegen die Flugverbotszone lautet ja, dass das mal wieder in die arabische Welt die Botschaft aussenden würde, da kommt der Westen, und alles, was er tut, tut er nur um sich die Ölquellen zu sichern.

    Cohn-Bendit: Also man muss meiner Meinung nach das so machen, also muss man so machen, kann man so machen: Man müsste diese Übergangsregierung auch anerkennen. Die sollte man einladen nach New-York, einen Vertreter, der soll mal vor der UN, vor dem Sicherheitsrat mal begründen, warum Flugverbotszo ... , die sollte man, Al Dschasira würde das übertragen. Das heißt, die arabische Welt würde sagen, dass die arabischen Schwestern und Brüder das verlangen in Bengasi. Und die Massen, die in Ägypten, die in Tunesien ja ihren Diktator verjagt haben, werden doch nicht jetzt so bekloppt sein und sind sie auch nicht, dass sie jetzt für Gaddafi sind, wenn ... Und zweitens könnte man eine Flugverbotszone dann weiter durchsetzen mithilfe der Tunesier, vor allem mithilfe der Ägypter, die auch zum Teil diese Möglichkeit haben. Aber man kann die arabischen, die sich befreienden Gesellschaften mit einbeziehen in die Verteidigung der Menschen von Libyen.

    Kapern: Auch die Europäer, auch Deutschland?

    Cohn-Bendit: Ja was heißt auch Deutschland? Entweder entscheidet der UN-Sicherheitsrat, ja, und das ist der UN-Sicherheitsrat, wo Deutschland auch ist, oder entscheidet nicht. Auch Deutschland, auch Frankreich ... Ich finde, das Problem ist Folgendes: Wir haben Wochen gewartet, bis man den Flüchtlingen hilft! Man hat, die einzige Reaktion, die man zu Libyen – das hatte man schon zu Tunesien gehabt –, toll, dass ihr frei sein wollt, aber bleibt bitte, wo ihr seid, keiner kommt zu uns! Man muss sich mal vorstellen: Die Europäische Union mit Deutschland, mit Deutschland, mit Deutschland hat es zugelassen, dass Lager organisiert werden in Libyen, wo Flüchtlinge zurückgeführt wurden. Niemand hat sich dafür interessiert, nur ein paar Spinner wie die Grünen im Europäischen Parlament und andere, wie es den Menschen dort in den Lagern ergeht, welche Rechte sie überhaupt ... Das hat niemanden interessiert, Hauptsache, sie sind weg! Irgendwie dieses Argument, auch Deutschland, bedeutet: Egal was passiert, Hauptsache, bei uns boomt die Wirtschaft!

    Kapern: Catherine Ashton, die EU-Außenministerin, hat jetzt eine Delegation der EU nach Libyen, nach Tripolis geschickt. Ist das richtig, jetzt bei Gaddafi noch Klinken zu putzen?

    Cohn-Bendit: Das Problem ist, das kommt darauf an, was die machen. Sie müssen natürlich in Tripolis gehen und dann freie Reise durchsetzen. Die müssen sich ansehen, wie im Land, was im Land passiert. Wenn sie natürlich nur mit Gaddafi verhandeln, ist es ein Skandal. Diese Delegation muss von Tripolis dann rüber nach Bengasi, und das muss sie durchsetzen bei Gaddafi, sonst muss sie sofort abreisen.

    Kapern: Haben Sie den Eindruck, dass die Europäer das versuchen werden?

    Cohn-Bendit: Ach, ich habe keinen Eindruck mehr über die Europäer. Übrigens, das kann ich auch nicht mehr hören, Entschuldigung, das ist die Frau Ashton, und nicht die Europäer. Und das, diese ... von den europäischen Staaten, Regierungen, auch Deutschland, Sozialdemokraten und Christdemokraten haben diese Frau auf diesen Sessel gehoben. Und die ist immer einfach zu spät oder sie hat überhaupt keine Initiativen. Also großes Vertrauen in Frau Ashton habe ich heute nicht. Aber wenn sie jetzt beschließt dann selber, dies müsste sie selber hingehen, dann müsste sie aber demonstrativ nicht nur einfach Gaddafi besuchen, sondern demonstrativ sich von ihm abwenden und verlangen, dass sie frei durch Libyen reisen kann und diese Delegation sehen, wie ist die Situation vor Ort!

    Kapern: Daniel Cohn-Bendit war das, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Cohn-Bendit, danke für das Gespräch, Wiederhören!

    Cohn-Bendit: Bitte sehr, tschüss!