"Die ist extrem in die Breite geschossen", sagt Autor Mawil über die deutsche Comicszene. "Es wird noch ewig dauern, bis das so wie in Frankreich ist oder in Amerika, aber zumindest sind wir auf nem super super gutem Weg, und viele andere europäische Länder sind da neidisch drauf. "
Man schrieb das Jahr 2005. Alan Moores "Watchmen" wurde in als erster Comic in "Time" ist in die Liste der 100 besten Romane aufgenommen.
Der Cartoon-Zeichner Bill Watterson meldete sich mit der Gesamtausgabe von "Calvin und Hobbes" aus dem Ruhestand zurück, und auch der Berliner Comiczeichner Markus Witzel, kurz Mawil, war schon gut im Geschäft. Wenn auch im bescheideneren Rahmen der damals noch jungen deutschen Comicszene:
"Wir haben damals noch kleine Schwarz-weiß-Heftchen kopiert, haben die im Jahr auf den zwei drei Comicfestivals verkauft, wo eh nur die Comic-Nerds waren und dann haben wir uns tierisch gefreut, wenn zwei drei Jahre später uns mal jemand angesprochen hat: 'Hey, ich hab deinen Comic bei einem Kumpel auf dem WG-Klo liegen sehen'."
Das alles sollte sich ändern, als ihm eine große Tageszeitung ein Angebot machte, das er nicht ablehnen konnte. Jede Woche ein Comic auf einer ganzen, großformatigen Seite.
"Ich hab mich tierisch gefreut, weil - das war halt die Chance durch dieses offizielle Format neue Leute für das Medium Comic und für die eigenen Comics zu gewinnen. Und, 'wo veröffentlichst du' - wenn du da sagen kannst 'Tagesspiegel', dann ist klar, das muss ja was Offizielles sein, das muss ja gut sein."
Bekanntes und Unbekanntes
"The Singles Collection" - hinter dem Titel versteckt sich eine Sammlung der besten Mawil-Einseiter aus zehn Jahren "Tagesspiegel". Und auch ein paar, die damals nicht den redaktionellen Segen bekommen haben.
"Da mach ich so'n bisschen Werbung für mein neues Buch, was damals rauskam. Da haben sie dann angerufen und gesagt, nee, das geht jetzt nicht mehr, das ist jetzt 'n bisschen too much."
Mawils gezeichnete Anzeige für seine Graphic Novel war aber eine von wenigen Ausnahmen. In den meisten Fällen konnte er in seiner wöchentlichen Comic-Kolumne machen, was er wollte. Neben traditionellen Comicstrips, manchmal autobiografisch und gemäß dem Titel oft über Musik, durfte das auch schon einmal einfach eine Sammlung bemalter Post-its sein, ein Adventskalender, oder sogar eine Suchanzeige:
"Ich wollte eigentlich einen Comic zeichnen, und dann wurde mir halt das Fahrrad geklaut, was seit 40 Jahren im Familienbesitz war. Da war ich wirklich entrüstet und musste einfach mal ein paar Emotionen Luft lassen."
Eine der kreativsten "Singles" ist im Krankenhaus entstanden - die Momentaufnahme aus dem Krankenbett hat Mawil auf Notizzetteln und Arztrezepten skizziert.
Gezeichnete Wundertüte
Ein solcher künstlerischer Volltreffer wartet zwar nicht auf jeder Seite, aber dafür ist "Singles Collection" eine gezeichnete Wundertüte voller Überraschungen. Comics sind in Deutschland gewaltig im Aufwind- Trotzdem ist der Band auch eine Reminiszenz an eine verflossene Zeit. Denn wie vor Musik und Büchern macht die Digitale Revolution auch vor Comics nicht halt. Papier war gestern. Für die neue Generation ist das mehr Segen als Fluch, sagt Mawil.
"Die haben alle begonnen mit nem Webblog, wo sie in regelmäßigen Abständen kleine gute Sachen veröffentlicht haben. Du musst natürlich auch gefunden werden im Netz, aber wenn du verlinkt bist, wenn du gute Sachen machst und weiterempfohlen wirst, ist das einfach für dich viel viel leichter. "
Mehr als eine Fundgrube für Mawil-Fans
"The Singles Collection" ist aber nicht nur eine Fundgrube für Comic-Fans; auch für Mawil selbst war es eine Erfahrung, Eindrücke aus zehn Jahren seines Lebens wie im Zeitraffer durchzublättern.
"Bei vielen wusst ich noch die Stimmung, in der ich mich da gerade befand. So'n Comic wie "Zehn Tipps gegen Winterdepression"; da war ich gerade in der ungemütlichen Jahreszeit todunglücklich verliebt. Und das sind so Sachen, die einem dann wieder einfallen. "
In den vergangenen Jahren rücken immer mehr die Graphic Novels ins Rampenlicht - Mawil selbst hat mit "Kinderland" eine der besten der jüngeren Zeit geschrieben. Der Comic Strip kommt dabei ein wenig unter die Räder. Der Trend geht klar zum Album. "The Singles Collection", der Rückblick auf zehn Jahre Mawil, zeigt aber, dass auch die Single noch lange nicht ausgedient hat.