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Commerzbank-Chefvolkswirt befürchtet weiteren Schritt zur Transferunion

Spanien und Italien hätten hoch gepokert - und gewonnen. Der EU-Kompromiss "nimmt natürlich Druck von ihnen, die notwendigen Hausarbeiten zu machen", beschreibt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Insbesondere in Italien können Sie sehen, wie dort die Reformanstrengungen ja wirklich erschlafft sind."

Jörg Krämer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 29.06.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: "Eurobonds wird es nicht geben, solange ich lebe" – Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in einer internen Sitzung der FDP-Fraktion dieser Tage hartleibig gezeigt. Auf europäischer Ebene aber scheint, ihre Macht zu schwinden. Das hat die Nachtsitzung beim EU-Gipfel in Brüssel gezeigt. Zwar wird es auch in näherer Zukunft Eurobonds nicht geben, aber in anderen wichtigen Punkten musste Merkel Zugeständnisse machen.

    Es ist nicht das erste Mal, dass die Abgeordneten des Bundestages kaum wissen, über was sie kurze Zeit später genau abzustimmen haben. Auch diesmal ist der Zeitplan äußerst eng gestrickt. Erst um 5 Uhr morgens haben die Staats- und Regierungschefs ihre Verhandlungsergebnisse bekannt gegeben. Angela Merkel musste in mehreren Punkten ihren Kritikern entgegenkommen, wie gerade gehört. Und das ausgerechnet vor den entscheidenden Abstimmungen zu Fiskalpakt und Euro-Rettungsschirm ESM heute Abend in den Sondersitzungen von Bundestag und Bundesrat.

    - Am Telefon begrüße ich Jörg Krämer, er ist Chefvolkswirt der Commerzbank. Schönen guten Tag, Herr Krämer.

    Jörg Krämer: Ja, guten Tag.

    Heckmann: Herr Krämer, Krisenstaaten wie Italien oder Spanien können in Zukunft Geld aus den Rettungsschirmen EFSF und ESM erhalten, ohne dass sie zusätzliche Sparprogramme eingehen müssen. Ist also die Sparpolitik auf europäischer Ebene endgültig am Ende?

    Krämer: Also, es gilt nicht für alle Hilfsinstrumente, aber Sie haben Recht: Im Rahmen dieser zwei wichtigen Hilfsinstrumente können Länder Hilfen bekommen, ohne ein übliches striktes Spar- und Reformprogramm auf sich nehmen zu müssen, ohne auch alle drei Monate von der Troika kontrolliert zu werden daraufhin. Das heißt, die Länder haben hoch gepokert und sie kommen jetzt leichter an Hilfen heran. Das nimmt natürlich Druck von ihnen, die notwendigen Hausarbeiten zu machen. Insbesondere in Italien können Sie sehen, wie dort die Reformanstrengungen ja wirklich erschlafft sind.

    Heckmann: Mit welchen Folgen?

    Krämer: Monti ist als großer Reformer angetreten, von vielen wird er ja noch so gesehen. Er hat eine sehr gute Rentenreform gemacht. Aber die entscheidende Arbeitsmarktreform verdient diesen Namen nicht. In Italien werden die Löhne in den kommenden Jahren vermutlich weiter viel stärker steigen als die Produktivität. Die Wettbewerbsfähigkeit des Landes wird weiter sinken und damit ist die Steuerbasis nicht gegeben in Italien und es ist keine echte Lösung da. Aber ohne eine Lösung in Italien, ohne Fortschritte in Italien werden wir die Staatsschuldenkrise nicht lösen.

    Heckmann: Und die Entscheidung von heute Nacht in Brüssel wird diese Tendenz nicht nur in Italien verstärken, dass eben die Reformbereitschaft nachlässt?

    Krämer: Ja, die Reformbereitschaft hat absolut nachgelassen. Das Problem Deutschlands ist natürlich, dass sich Deutschland in der Minderheit befindet. Wir haben die Peripherieländer, wir haben Frankreich, der heimliche Anführer der Peripherieländer, diese Länder stellen eine Mehrheit. Und das erklärt die Schwierigkeiten der Bundesregierung auch, sich da durchzusetzen mit dem ökonomisch Richtigen. Die Mehrheiten stehen einfach gegen Deutschland! Heute haben Spanien und Italien hoch gepokert und sie haben dort, ich sage mal, davon leider profitiert.

    Heckmann: Das heißt, die deutschen Steuerzahler werden am Ende noch mehr zahlen müssen?

    Krämer: Na ja, es geht noch nicht um Zahlungen. Es geht hier um Garantien im Wesentlichen, um Eventualverbindlichkeiten. Die Tendenz, in die Transfer- und Haftungsunion zu gehen, diese Tendenz besteht weiter und wir sind heute Nacht leider wieder einen Weg dort hingegangen, eben weil die Mehrheiten in Europa so klar sind. Und die Länder verwenden weniger Energie darauf, ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen. Und verwenden mehr Energie darauf, Hilfen von anderen Ländern, Deutschland, Österreich, Niederlande, zu organisieren.

    Heckmann: Herr Krämer, auch notleidende Banken sollen in Zukunft direkt Geld erhalten können von den Rettungsschirmen. Sie haben da ja so ein bisschen Erfahrung von der Commerzbank mit Schwierigkeiten. Union und FDP, die hatten das immer abgelehnt, denn bisher galt der Grundsatz, nur die Länder erhalten die Hilfe und die geben das Geld dann wiederum weiter, müssen sich dann aber im Gegenzug strikten Kontrollen unterwerfen. Werden jetzt nicht alle Schleusen geöffnet, werden jetzt nicht Fehlspekulationen von Banken durch die Steuerzahler bezahlt?

    Krämer: Ja, bisher war es so, dass der Rettungsfonds den Banken im Süden helfen durfte, aber das Geld wurde ausgezahlt an Italien, Spanien etc., die das Geld dann weiterleiten sollten. Das hat auch Sinn gemacht, denn die Probleme der Banken im Süden hängen sehr stark mit den Problemen der Staaten zusammen. Und wenn Sie den Banken helfen, dann müssen Sie auch sicherstellen, dass sich das in der Zukunft nicht wiederholt. Das heißt, Sie müssen Auflagen an die Staaten durchbringen. Und das wird bei dem geänderten Verfahren jetzt nicht mehr möglich sein. Insofern wird der Reformdruck dort weiter zurückgenommen.

    Heckmann: Wer profitiert von dieser neuen Regelung?

    Krämer: Ja, natürlich die Staaten im Süden, die Politiker in Spanien und Italien, die ihren Wählern jetzt nicht mehr so sehr reinen Wein einschenken müssen, nicht mehr so viel abverlangen müssen. Und die stehen dann relativ besser da. Sie haben das ja auch an den Gesichtern heute Morgen gesehen in der Pressekonferenz.

    Heckmann: Herr Krämer, blicken wir noch nach Berlin, wo ja wichtige Entscheidungen heute anstehen zu ESM und Fiskalpakt. Wolfgang Bosbach von der CDU, der meinte heute früh im Deutschlandfunk, mit diesem Rettungsschirm ESM komme praktisch die Transferunion. Und er hat erhebliche Zweifel daran geäußert, dass dieser Fiskalpakt überhaupt funktioniert, der ja zur Haushaltsstabilität beitragen soll, sonst bräuchte man ja diesen Rettungsschirm ESM nicht. Ist sein Misstrauen berechtigt?

    Krämer: Ja, ich denke, Bosbach spricht etwas aus, was viele spüren. Und Europa, der Euro-Raum bewegt sich unter dem Druck der Peripherieländer, unter dem Druck Frankreichs leider in die Richtung der Peripherieländer. Die Anleihen, die der Rettungsfonds jetzt ja selber schon herausbringt, um sich Geld zu besorgen, kann man ja schon interpretieren als eine Form der gemeinsamen Anleihe. Und ich denke, wir werden uns, ich prognostiziere, dass wir uns in diese Richtung weiter bewegen werden, auch wenn ich die Probleme natürlich ganz klar sehe und das letztlich nicht für eine Lösung halte. Die eigentliche Lösung kann nicht von Rettungspaketen kommen, die eigentliche Lösung muss aus den Peripherieländern selber kommen. Und es geht auch nicht nur um Sparen, wie immer behauptet wird, es geht um einen Neuaufbau der staatlichen Tätigkeit dort. Es geht um Finanzämter, die konsistent Steuern erheben, es geht um Gerichte, die hinreichend schnell urteilen, es geht in Italien auch um organisierte Verbrechen etc. Das heißt, es geht um einen Neuaufbau, um eine Reform der gesamten Staatstätigkeit dort, um eben dort eine hinreichend starke Wirtschaft zu haben, die dann auch genug Steuern zahlen kann, damit eben Italien, Spanien und andere Länder aus diesen Finanzproblemen herauskommen.

    Heckmann: Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, war das live hier im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Gespräch.

    Krämer: Bitte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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