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Commonwealth Games in Birmingham
Sportliches Relikt der Kolonialzeit

Sportler aus 72 Ländern und Territorien nehmen an der aktuellen Ausgabe der Commonwealth Games teil. Die meisten kommen aus ehemaligen britischen Kolonien. Auch die Idee für die Spiele stammt aus der Hochzeit des Kolonialismus Wie gehen die Commonwealth Games mit diesem Erbe heute um?

Von Ronny Blaschke | 06.08.2022
Eröffnungsfeier der Commonwealth Games 2022 in Birmingham am 28. Juli 2022 im Alexander Stadium.
Eröffnungsfeier der Commonwealth Games 2022 in Birmingham am 28. Juli 2022 im Alexander Stadium. (IMAGO/Action Plus)
Die Innenstadt von Birmingham gleicht einem Festivalcampus. Straßenkonzerte, Jugendliche in Sportklamotten, und immer wieder große Plakate zu den Commonwealth Games. Ein beliebter Ort während der Spiele ist das „Pride House“, ein Treffpunkt von queeren Athleten und Fans. Eine Ausstellung erläutert dort auch, dass Homosexualität in 35 Staaten des Commonwealth noch immer kriminalisiert wird.
Der Aktivist Jon Holmes hat an der Ausstellung mitgewirkt und sagt: „Das Pride House ist relevant für die Commonwealth Games. Wenn wir in der Geschichte zurückblicken: Oft war es die britische Kolonialmacht, die Anti-LGBT-Gesetze in den Ländern verankert hat. Es ging um viktorianische Moralvorstellungen, um Religion. Nach dem Rückzug der Briten blieben diese Gesetze vielfach in Kraft, zum Teil bis heute. Und selbst dort, wo Gesetze aufgehoben wurden, kommt es zu Diskriminierungen.“

Fokus auf gesellschaftliches Vermächtnis

Geschichte und Gegenwart: In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Commonwealth Games. Das wird schon bei der Eröffnungsfeier im Alexander-Stadion von Birmingham deutlich. In den Choreografien gibt es Anspielungen auf Sklaverei und Ausbeutung des britischen Imperiums. Es ist dann der offen schwul lebende Wasserspringer Tom Daley, der den symbolischen Staffelstab ins Stadion trägt.

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Und auch außerhalb der Sportstätten werben die Gastgeber für inklusive und nachhaltige Spiele. Einer von ihnen ist Geoff Thompson, der stellvertretende Verwaltungsratschef der Commonwealth Games: „Es gibt einen starken Fokus auf das gesellschaftliche Vermächtnis. Es sind die ersten klimaneutralen Spiele. Wir haben Wettbewerbe für Menschen mit und ohne Behinderung im Programm. Und wir möchten die Leute im Alltag zu mehr Bewegung animieren. Ich denke, dass der Sport kulturelle Brücken bauen kann.“

Sport als Mittel der "Erziehung"

Um den Wandel der Commonwealth Games nachzuvollziehen, muss man in der Geschichte mehr als 100 Jahre zurückgehen: Anfang des 20. Jahrhunderts erstreckt sich das britische Imperium auf ein Viertel der weltweiten Landfläche. Britische Missionare, Beamte und Lehrer nutzen in den Kolonien auch ihre Sportarten Fußball, Cricket oder Rugby als Mittel der Erziehung. Der anglikanische Geistliche John Astley Cooper fordert ein Festival für Sport und Kultur, zur Förderung „männlicher Eigenschaften“.
In einem Interview mit dem Observer sagt er 1929: „Wenn man nicht - wie ich - unter Schwarzen gelebt hat, kann man sich keine Vorstellung davon machen, welch wunderbare moralische und disziplinarische Wirkung Cricket auf die uns anvertrauten Schwarzen hat.“
1930 steigt im kanadischen Hamilton die Premiere der „British Empire Games“. Der König fordert Loyalität der Athleten zur Krone. Nach dem Zweiten Weltkrieg wachsen die Spiele rasant. In den Sechziger Jahren erklären in Afrika zahlreiche Länder ihre Unabhängigkeit. Der Bezug zur britischen Monarchie geht zurück. Aus den British Empire Games werden bis 1978 die Commonwealth Games. Bei den Eröffnungsfeiern sprechen die Königin oder ihr Sohn Prinz Charles von „gemeinsamen Werten“.

Programm soll kleiner werden

Von der gemeinsamen, oft brutalen Geschichte ist seltener die Rede, sagt der Sportsoziologe Stefan Lawrence von der Newman-Universität Birmingham:

Es gibt eine Abneigung, über das Imperium zu sprechen. Einige Medien schreiben sogar, dass die Geschichte gar nicht so schlimm war, schließlich haben die Briten in Afrika ja auch Zugschienen gebaut. Tatsächlich geht der internationale Einfluss Großbritanniens seit Jahren zurück. Eine Interpretation ist, dass die Commonwealth Games die alten Beziehungen zum so genannten ,Mutterland‘ aufrechthalten. Aber es liegt auch an uns: Wir haben mit Studierenden die Commonwealth Games zum Anlass genommen, um auch über die dunkle Geschichte des Imperiums zu sprechen.

In diesem Jahr sollten die Commonwealth Games erstmals auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden. Doch Durban in Südafrika gab den Zuschlag aus Kostengründen zurück. Zuletzt hatten sich vergleichsweise wenige Städte um die Spiele beworben.
Auch wegen der Kosten soll das Sportprogramm kleiner werden. Die nächsten Commonwealh Games sollen 2026 im australischen Bundesstaat Victoria stattfinden. Benannt nach der britischen Königin aus dem 19. Jahrhundert, als das Empire auf dem Höhepunkt seiner Macht war.