Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Computer statt Versuchskaninchen
"Tierversuche bringen eine falsche Sicherheit"

Tierversuche in der Medizin könnten durch moderne wissenschaftliche Verfahren ersetzt werden, sagte Kristina Wagner vom Deutschen Tierschutzbund im Dlf. Doch das Problem sei, dass man gerade bei Behörden und Ministerien noch gegen Windmühlen kämpfen müsse.

Kristina Wagner im Gespräch mit Sandra Pfister | 17.11.2020
Ein Schwein steht am 30.01.2015 in der Klinik für kleine Klauentiere in der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) in Hannover (Niedersachsen).
Viele Institute suchen nach Möglichkeiten, mit weniger oder gar keinen Tierversuchen auszukommen (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
Es sind Bilder von Kaninchen oder Katzen, die mit rot entzündeten Augen im Tierlabor saßen – Tiere, denen Creme oder Shampoo in die Augen geträufelt wurde. Solche Tierversuche für Kosmetik, die sind seit sieben Jahren EU-weit verboten. Aber Medikamente, gerade aktuelle, oder bestimmte Komponenten werden immer noch an Tieren getestet. Oft sind diese Tierversuche vom Gesetzgeber sogar vorgeschrieben.
Es müssten endlich mehr Finanzmittel bereitgestellt werden, um eine tierversuchsfreie Forschung, Lehre und Ausbildung zu ermöglichen. sagte Kristina Wagner, Leiterin des Referats für Alternativmethoden zu Tierversuchen beim Deutschen Tierschutzbund, im Dlf.

Sandra Pfister: Bisher war es ja so, dass die Regulierungsbehörden Alternativen zu Tierversuchen nicht zugelassen haben, weil sie wenig zuverlässig waren. Halten Sie die Verfahren jetzt für zuverlässig genug?
Kristina Wagner: Wir sagen nicht, die Tierversuche müssen weitergehen oder wir können jetzt noch nicht auf Tierversuche verzichten, sondern wir sagen einfach, das Problem an der ganzen Sache, warum man jetzt nicht komplett auf tierversuchsfreie Methoden umstellen kann, ist wirklich, dass es da noch sehr viel an Investitionen und an Vertrauen braucht, um tierversuchsfreie Methoden zu entwickeln, weiterzuentwickeln, mehr von diesen Methoden zur Verfügung zu stellen, dass die wirklich in allen Bereichen angewendet werden können. Von daher ist das eine Frage nicht unbedingt des Wanns, sondern wann beginnen wir wirklich damit oder wann beginnen die Regierungen wirklich damit, ausreichend Finanzierung in diesen Forschungsbereich zu stecken, in die tierversuchsfreie Forschung, Lehre und Ausbildung.
Tierversuche, "weil es nichts anderes gab"
Pfister: Ein Punkt, den Sie ansprechen, ist, dass die staatlichen Regulierungsbehörden bislang Alternativen zu Tierversuchen gar nicht zugelassen haben, weil sie zu wenig zuverlässig waren. Halten Sie denn die Verfahren schon für zuverlässig genug?
Wagner: Ja, in jedem Fall. Es ist auch immer, finde ich, interessant, dass der Aspekt weggelassen wird in dieser ganzen Diskussion, dass Tierversuche jetzt nicht angewendet werden, weil sie so wahnsinnig aussagekräftig sind oder weil sie wissenschaftlich so fortschrittlich sind, sondern dass sich das einfach etabliert hat über fast 100 Jahre. Es ist einfach so: Tierversuche wurden damals eingesetzt, weil es nichts anderes gab, weil damals die ethischen Standards auch anders waren als heute, weil mittlerweile unsere Beziehung zu Tieren ganz anders ist, weil unsere ethische Wahrnehmung, wie wir Tiere schützen müssen sollen, ganz anders ist. Und es gab damals die technischen Möglichkeiten noch gar nicht.
Alternative zu Tierversuchen - Automatisierte Wirkstoffforschung
Bei der Suche nach neuen Arzneistoffen werden potentielle Wirkstoffe aufwendig im Labor getestet. Dazu züchten Forscher aus Stammzellen dreidimensionale organähnliche Gewebestrukturen, sogenannte Organoide.
Mittlerweile sind wir so weit: Es gibt wirklich so faszinierende und überwältigende Forschungsmöglichkeiten von Computersimulationen, Organe auf dem Chip, dass daran gearbeitet wird, den ganzen Menschen auf einem Chipformat nachzubauen. Organe können kultiviert werden, Zellen können kultiviert werden. Man braucht einfach diese Methode des Tierversuchs nicht. Diese Frage wird aus unserer Sicht viel zu wenig gestellt.
"Einfach die Stoffwechselwege simulieren"
Pfister: Lassen Sie uns die mal kurz durchdeklinieren. Computersimulation, damit haben Sie angefangen. Mit denen kann man was tun? Voraussehen, wie Substanzen wirken?
Wagner: Ja, nicht nur, wie Substanzen wirken. Wenn wir Bezug auf gerade die Corona-Pandemie nehmen, wäre das zum Beispiel die Frage, wie können Medikamente, wie können Wirkstoffe, wie wirken die wirklich im Körper. Da kann man einfach die Stoffwechselwege simulieren, nachbilden, wie der Stoff sich wohl verhalten wird im Körper, was der da auslöst. Anders kann man natürlich auch, ohne jetzt einen Wirkstoff dazuzunehmen, praktisch nachbilden, wie das Immunsystem reagieren würde. Da geht es viel darum, einfach im Computer zu simulieren – das macht man ja in anderen Bereichen heutzutage auch schon standardmäßig -, was wird wohl passieren, wenn das Immunsystem mit einem bestimmten Krankheitserreger konfrontiert wird, und auch Wirkstoffe zu prüfen.
Pfister: Aber im Endeffekt wird, wie man jetzt bei den Corona-Impfstoffen sieht, dann doch am lebendigen Lebewesen getestet?
Wagner: Ja, wobei man da auch immer sagen muss, es wird im Endeffekt in der klinischen Phase dann auch an freiwilligen Testpersonen und Patienten getestet, oder man nimmt das als Sicherheitsstufe, dass vorher im Tierversuch in der präklinischen Phase getestet wird. Wir sehen aber natürlich an den ganzen Medikamentenrücknahmen, wir sehen an unerwartet auftretenden Nebenwirkungen von Medikamenten, die eigentlich schon auf dem Markt sind, dass diese Tierversuche eine falsche Sicherheit bringen. Die wägen uns in der Sicherheit, aha, das hat ja die präklinische Phase durchlaufen und da hat es ja funktioniert, aber was wir eigentlich danach nur wissen ist, dass es im Tiermodell funktioniert hat. Deshalb ist es dann später auch noch verpflichtend, dass es dann in der klinischen Phase auch an Patienten und freiwilligen Testpersonen getestet wird.
Wagner: Was Sie eben noch erwähnten war Organe nachbilden, statt sie mit Kälberserum wachsen zu lassen. Geht es da um 3D-Drucker?
Wagner: Es gibt jetzt mittlerweile ja wirklich schon Verfahren mit dem 3D-Druck, wo man ganze Organe mit solchen Biotinten nachdrucken kann. Das finde ich auch wahnsinnig faszinierend. Das ist gerade noch im Aufbau. Was man aber vor oder außerhalb von 3D-Druckverfahren auch macht ist, einfach in Kulturgefäßen Organe oder auch Miniorgane nachzuzüchten. Ich habe gerade gestern einen Vortrag gehört über Miniherzen, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen praktisch gezüchtet wurden, wo man auch Medikamente für Erkrankungen am Herzen testen kann.
"Zeithorizont von ein paar Jahrzehnten"
Pfister: Sie machen jetzt eine Tagung dazu, wo es genau darum geht, eine Bestandsaufnahme zu machen, was geht schon an Techniken, an Versuchen, mit denen wir Tierversuche ersetzen könnten, was geht noch nicht. Von welchem Zeithorizont reden wir?
Wagner: Man muss wahrscheinlich schon von einem Zeithorizont von ein bis zwei Jahrzehnten noch sprechen, weil es jetzt nicht unbedingt an der Leistungsfähigkeit von den Methoden, die schon da sind, liegt, sondern auch daran, dass ein Umdenken stattfinden muss. Da mahlen die Mühlen wirklich sehr langsam.
Wir haben immer noch das Problem, dass gerade in Behördenkreisen, in Ministerienkreisen man da wirklich das Gefühl hat, gegen Windmühlen zu kämpfen und immer wieder wiederholen muss, wie zukunftsträchtig diese Methoden eigentlich sind, und das muss einfach anerkannt werden. Ich denke, das ist das Problem, was lange dauert. Es ist sicherlich nicht das Problem, dort wissenschaftlich was zu entwickeln, weil dafür haben wir wirklich fantastische Wissenschaftler, die daran arbeiten. Es muss nur wirklich dann auch durchgesetzt werden, dass das angewendet werden kann, dass die Forscher, die daran arbeiten, die nötigen finanziellen Mittel bekommen und dass davon weggegangen wird, Geld weiter in Tierversuche zu investieren.
Pfister: Dennoch sind Tierversuche auch in vielen Fällen gesetzlich vorgeschrieben, weil es an alternativen Tests fehlt beziehungsweise deren Wirksamkeit nicht letztgültig nachgewiesen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.