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Computerspieler sind schockiert über Erfurt, wehren sich aber gegen ein Verbot ihres Hobbys

Engels: Nach dem gezielten Massenmord, den der 19-jährige Robert Steinhäuser im Erfurter Gutenberg Gymnasium angerichtet hat, hat eine Debatte über die Verschärfung von Gesetzen eingesetzt. Diskutiert werden nicht nur schärfere Waffengesetze oder Beschränkungen von Gewaltszenen im Fernsehen. In die Kritik geraten sind auch Computerspiele, in denen der Spieler als Schütze auf virtuelle Gegner anlegt. Das wurde auch gestern Abend am Rande des Treffens von Bundeskanzler Schröder mit Fernsehvertretern deutlich. Am Telefon begrüße ich nun Thomas von Treichel. Er ist Sprecher des Vereins "Dark Breed", einer Organisation, die die Interessen von Computerspielern vertritt und Menschen den einfacheren Umgang mit Computern vermitteln will. Guten Morgen.

03.05.2002
    Von Treichel: Guten Morgen.

    Engels: Herr von Treichel, wie reagieren denn Ihre Mitglieder und Anhänger von Computerspielen auf die Ereignisse von Erfurt?

    Von Treichel: Nun, zunächst bedauern wir dieses ganze Ereignis natürlich sehr stark, und es gibt sehr heftige Reaktionen aus der Szene und aus der Community. Das beste Beispiel ist wohl, dass es eigentlich dieses Wochenende in Erfurt ein Computer-Event mit 2000 Teilnehmern geben sollte, die sich von Freitag bis Sonntag treffen wollten, um diverse Wettbewerbe durchzuführen - das ist ungefähr so wie die Olympiade im Computerspiel. Das Event wurde aufgrund der aktuellen Ereignisse abgesagt, um auch zu zeigen, dass man mit den Angehörigen trauert. Ganz klar kochen bei uns immer die Diskussionen dann auch über diese Thematik hoch.

    Engels: Können Sie denn nach den Geschehnissen von Erfurt noch guten Gewissens die Verbreitung von Spielen wie "Counterstrike" verteidigen, einem Spiel, in dem man virtuell auf Gegner schießt? Dieses Spiel hat ja auch der Amokschütze gespielt.

    Von Treichel: Dieses Spiel hat zwar auch der Amokschütze gespielt, allerdings ist dieses Spiel eigentlich ein sehr schlechtes Beispiel dafür, dass Computerspiele zu solchen Gewalttaten führen, da er es kaum so gespielt haben kann, wie es eigentlich gedacht ist. Counterstrike ist ein Spiel, das von Spielern entwickelt wurde und der Community kostenlose zur Verfügung steht, welches explizit auf Teamplay ausgelegt wurde. Das heißt, dieses Spiel trainiert Zusammenarbeit, trainiert Koordination, und alleine habe ich in diesem Spiel keine Chance, was eigentlich keine Parallele zu dem Attentat ist, weil der Attentäter alleine war und einen Alleingang gemacht hat. Des weiteren ist Counterstrike eigentlich nur über Internet zu spielen, und nach aktuellen Angaben hatte der Attentäter noch nicht einmal Internet zu Hause. Das heißt, eigentlich konnte er nur alleine durch die Level rennen, weil es einfach keine virtuellen Mitspieler gibt.

    Engels: Nun ja, das ist ja ein Nebenaspekt, wenn Sie sagen, es geht um die Teamfähigkeit. De facto geht es ja darum, dass sich, auch wenn nur virtuell Blut in solchen Spielen fließt, Strategie und Schnelligkeit auch bei anderen Spielen trainieren lassen würden. Braucht man diese Spiele oder sollte man Forderungen nachgeben, wie der niedersächsische Justizminister Pfeiffer sie aufgeworfen hat, solche Spiele mit exzessiven Gewaltdarstellungen, egal in welcher Form, egal in welchem Team, einfach zu verbieten?

    Von Treichel: Gut, die Frage, ob man solche Spiele braucht, ist natürlich immer zu stellen. Auf der anderen Seite kann man in einem Land nicht alles, was zu Gewalttaten führen kann, verbieten. Es sterben mehr Leute im Straßenverkehr, es sterben mehr Leute durch Alkohol, es sterben mehr Leute durch Zigaretten als durch Computerspiele, und trotzdem wird das alles nicht verboten. Warum? Weil man davon ausgeht, dass die heutige Gesellschaft einfach im Normalfall damit umgehen kann, indem eben die Eltern Werte vermitteln, indem man einfach erklärt und sich mit der Thematik auseinandersetzt. Das Problem ist: Computerspiele sind ein sehr junges Hobby, das es erst seit 15 Jahren gibt. Die aktuelle Generation wächst damit auf, und Eltern sind leider häufig mit der Thematik überfordert. Auf der anderen Seite ist das Problem, dass gerade im Internetzeitalter ein Verbot eigentlich nichts bringt, weil ich mir einfach über das Internet jegliche Software oder jegliches Produkt weltweit organisieren kann.

    Engels: Das heißt, der Vorschlag, den jetzt Bundeskanzler Schröder aufgeworfen hat, dass auch Internetprovider in den von ihm angekündigten Runden Tisch zum Umgang mit Gewaltdarstellungen einbezogen werden sollen, bringt letztlich nichts?

    Von Treichel: Der Internetprovider kann am Ende nicht feststellen, ob ich bei amazon.com ein amerikanisches Buch oder ein Computerspiel bestelle, welches in Deutschland unter Umständen verboten ist.

    Engels: Also bringt das vergleichsweise wenig. Kommen wir noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen. Sie sagen natürlich zum einen, dass andere Menschen in Deutschland durch Alkohol und andere Dinge zu Tode kommen. Aber blicken wir speziell auf die Wirkung, die Psychologen ja auch aufgrund dieser Spiele ausmachen. Kaum jemand sagt, sie seien die Ursache für Gewalt, aber viele fürchten, dass durch diese Gewaltspiele die Abstumpfung bei den Spielern beschleunigt wird. Was könnten Sie denn dem entgegenhalten?

    Von Treichel: Das ist natürlich ein generelles Problem der Medien: Ich spiele Computerspiele, ich gucke Nachrichten, wo genauso Gewalt vorkommt. Ich denke, dass ist einfach eine Sache der aktuellen Gesellschaft, dass Gewalt ein wesentlich stärkeres Thema ist als früher. Man muss auch ganz klar sehen, dass mit Sicherheit die Gewaltbereitschaft in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen ist, was auch daran liegt, dass es Deutschland einfach nicht mehr so gut geht, wie noch vor ein paar Jahren und einfach auch das soziale Netz teilweise fehlt, und eben Computerspiele oder auch Fernseher doch häufig als Babysitter missbraucht werden. Das ist halt immer noch so, auch bei Jugendlichen, und es fehlt einfach der Background.

    Engels: Blicken wir noch auf den Aspekt, den Ihr Verein auch versucht umzusetzen. Sie informieren unter anderem auch Eltern über Computerspiele. Haben denn die Eltern Möglichkeiten, ihren Kindern effektiv den Zugang zu brutalen Internetspielen zu verwähren, wenn das über Internetprovider, wie eben angesprochen, nicht geht?

    Von Treichel: Das Problem ist, dass man sich als Elternteil mit diesem Thema Computer beschäftigen muss, was teilweise sehr schwer ist, vor allem auch, weil man als Elternteil normalerweise irgendwo Hemmungen hat, sich von seinen Kindern was zeigen oder erklären zu lassen. Es gibt zum Beispiel bei der aktuellen Software in Deutschland eine Altersempfehlung, die auf der Packung aufgedruckt ist. Die ist rechtlich nicht bindend. Da haben sich die Software-Hersteller zusammengetan. Die ist ähnlich für die Filmindustrie. Das heißt, das ist etwas, wonach man gehen kann. Die gibt es dann für 6 Jahre, für 12 Jahre und so weiter, damit man sich einfach mal damit auseinandersetzt: "Was hat mein Kind eigentlich auf dem Rechner? Was spielt es so?" -, und dass man dann über die Thematik einmal redet.

    Engels: Wir sprachen mit Thomas von Treichel, Sprecher des Vereins von "Dark Breed", einer Organisation, die sich mit den Interessen von Computerspielern befasst. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio