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Conrad: Pringsheimer wurde das Werk verfolgungsbedingt entzogen

Die Staatsgalerie Stuttgart hat den Pringsheim-Fries restaurieren lassen und präsentiert ihn nun der Öffentlichkeit. Das Werk gehörte einst zu einer größeren Sammlung des jüdischstämmigen Mathematikprofessor Alfred Pringsheim. Dieser verkaufte der Stadt Stuttgart verfolgungsbedingt in der Nazizeit den Fries unter Preis.

Von Christian Gampert | 26.04.2013
    Der Münchner Mathematik-Professor Alfred Pringsheim liebte Richard Wagner. Selber ein begabter Pianist, schrieb Pringsheim kammermusikalische Wagner-Bearbeitungen für daheim, die Liebesnacht aus "Tristan und Isolde" zum Beispiel. Und er liebte die Kunst und die Selbst-Inszenierung: Dein im Stil der Neorenaissance in der Arcis-Straße errichtete Palais war ab den 1890er-Jahren gesellschaftlicher Treffpunkt des gehobenen Münchner Bürgertums. 1904 kam Thomas Mann zu Besuch und ehelichte als bald Pringsheims jüngste Tochter Katia.

    1891 bestellte Pringsheim bei dem damals marktgängigen Künstler Hans Thoma einen Fries als Dekoration seines Salons. Die 14 ziemlich großen Tempera-Gemälde (mit zwölf schmalen Ornamentbändern) sind vom Bildprogramm her nichts wirklich Umwerfendes, eher eine hübsche Beigabe zu abendlichen Empfängen: unter der vergoldeten Kassettendecke im Hause Pringsheim sah man beidseits zwei Wächter-Figuren, dann linker Hand mit Lendenschurz angetane Barbaren, die, umgeben von Ziegen und Enten, dem Sänger Orpheus lauschen, welcher bekanntlich auch die Steine erweichen konnte. Dazu Blumen, Wälder, ein freundlicher Hain, oben ziehen die Kraniche. Rechter Hand tut sich eine etwas zivilisiertere, freilich auch leicht angekitschte Welt in antikisierender Landschaft mit renaissanceartigen Ausblicken auf; Hirtenknaben blasen die Schalmei, Jungfrauen tanzen Ringelpietz, Jünglinge zeigen ihren nackten Körper, Mädchen bringen Blumen und schlagen die Laute.

    Dieser Fries, der nun in der Stuttgarter Staatsgalerie ausgestellt ist, erfüllte jahrelang vorbildlich seine repräsentative Funktion – bis die Nazis an die Macht kamen. Pringsheim musste seinen Palast 1933 weit unter Preis verkaufen, er wurde abgerissen, und genau dort, wo er gestanden hatte, bauten die Nazis ihre Parteizentrale. Der Fries kam als Leihgabe in die Stuttgarter Staatsgalerie, die ihn 1935 – ebenfalls weit unter Preis – aufkaufte. Kurator Christopher Conrad sieht das kritisch.

    "'"Es ist zweifellos so, dass Alfred und Hedwig Pringsheim den Fries freiwillig verkauft und dafür auch Geld gesehen haben. Allerdings waren sie in dieser Zeit bereits insofern als Verfolgte zu betrachten, als sie Deutschland nicht verlassen durften, als sie die Kunstwerke, die ihnen gehörten, nicht frei handeln durften, und sie hätten sicher in dieser Zeit für ein so umfassendes Werk von Hans Thoma einen wesentlich höheren Preis erzielt als den, den die Staatsgalerie schließlich bezahlt hat. Was der Fries damals gekostet hat, entsprach ungefähr dem Betrag, den ein einzelnes Leinwandgemälde von Thoma damals kostete.""

    Alfred Pringsheim war als Jude offenbar unter Druck, und Stuttgart hat eine komplette Raumausstattung für einen lächerlichen Betrag gekauft.

    Christopher Conrad:
    "Und deswegen betrachten wir ihn heute durchaus als verfolgungsbedingt entzogen beziehungsweise den Verkauf keineswegs als freiwilligen Akt, wie er in einem freien Land möglich gewesen wäre."

    Die Staatsgalerie hat diesen großen, raumumspannenden Fries nun in voller Farbenpracht restaurieren lassen und präsentiert ihn in einer schönen, die Türen des Salons andeutenden Raum-Anmutung, die seiner ursprünglichen Darbietung im Palais Pringsheim entspricht. Außerdem haben die Stuttgarter den Fries unter "Lost Art" der "Koordinierungsstelle für die Rückgabe von verfolgungsbedingtem Kulturgut" gemeldet. Dass die Gemäldefolge, die heute einen Schätzwert von etwa 300.000 Euro hat, tatsächlich zurückgegeben werden muss, ist jedoch äußerst unwahrscheinlich. Die Familie Mann-Pringsheim ist äußerst zahlreich und weit verstreut, zum Teil lebt man in Japan. Die innerfamiliäre Meinungsbildung erscheint schwierig. Der Stuttgarter Staatsgalerie ist das natürlich bekannt – und sie hat überhaupt nichts dagegen, den Fries auch weiterhin zu behalten.