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ControlCOVID-Strategie des RKI
Wie können Öffnungen verantwortlich gelingen?

Der Druck vor dem nächsten Bund-Länder-Treffen ist hoch, die Forderungen nach einem Plan für mögliche Corona-Lockerungen mehren sich. Das Robert Koch-Institut hat dazu einen Vier-Stufen-Plan entworfen. Die Bundesregierung will einen ähnlichen Entwurf vorstellen.

Von Volkart Wildermuth | 26.02.2021
Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Institut (RKI)
Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) (dpa/ picture alliance/ Michael Kappeler)

Was ist die ControlCOVID-Strategie ?

Die ControlCOVID-Strategie des Robert Koch-Institutes will für die Öffnungen vor allem auf die Intensivstationen blicken. Je geringer der Anteil der COVID-19-Patienten unter allen Intensivpatienten, desto weiter soll die Öffnung gehen. Aktuell liegt der Anteil bei rund 14 Prozent. Ein erster Öffnungsschritt wäre zu verantworten, wenn die 12 Prozent unterschritten werden, das dürfte bald erreicht sein. Auch weil die Impfungen bei den älteren Personen bereits spürbar greifen. Die Inzidenz bei den über Achtzigjährigen ist dramatisch gesunken, sie erkranken kaum noch schwer. Und dann, so schlägt das RKI vor, könnte man Theater und Kinos mit Maske und verminderter Personenzahl öffnen – und auch Geschäfte, je nach Fläche mit begrenzter Kundenzahl. Hotels sollte der Betrieb ermöglicht werden, aber Restaurants zum Beispiel sollten nach wie vor nur als "Take away" arbeiten. Und an einen Bar- oder Clubbesuch wäre nicht zu denken.
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Wann sind nächste Schritte denkbar?

Die nächsten Stufen sind an recht ambitionierte Ziele gekoppelt: Weniger als fünf oder sogar nur drei Prozent COVID-Patienten auf den Intensivstationen. Das zu erreichen, ist schwierig. Zwar sind die Älteren geimpft, aber auch jüngere Personen können sehr schwer erkranken und das schlägt auch auf die Intensivstationen durch, wenn sich die Infektionszahlen nicht generell verringern. Wenn diese Werte jedoch unterschritten werden, dann könnte im Grunde alles öffnen, aber mit entsprechenden Schutzkonzepten. Ohne Maske dichtgedrängt, das wird auch auf längere Zeit nicht möglich sein. Als Beschränkung bliebe vor allem, dass in Innenräumen die Zahl der Personen begrenzt bliebe auf zunächst 50 und dann 100.

Was schlägt das RKI bei steigenden Inzidenzen vor?

Dann müssten die Öffnungen wieder zurückgenommen werden. Das ist das Neue an all den Stufenkonzepten, die das RKI aber auch SPD- oder CDU- geführte Länder vorgelegt haben. Sie enthalten konkrete Kriterien, um Beschränkungen wieder einzuführen. Die Situation aus dem Herbst: die Zahlen steigen, man reagiert ein bisschen, wartet ab, wartet nochmal ab und hat dann mit explodierenden Infektionen zu kämpfen - das soll in jedem Fall vermieden werden. Da orientieren sich alle Vorschläge an den Inzidenzwerten, da führt kein Weg vorbei. Das ist einfach die Zahl, die am schnellsten auf die Ausbreitung reagiert. Wenn man wartet, bis sich auf den Intensivstationen etwas bewegt, dann ist es im Grunde zu spät, dann sind wir wieder in einem exponentiellen Anstieg. Sobald die Inzidenz wieder über 35 steigt oder sogar über 50, muss schnell gegengesteuert werden, bzw. müssen die Beschränkungen der Stufe vorher wieder in Kraft gesetzt werden. Was auch klar ist: Das kann nicht bundesweit geregelt werden. Es gibt zwischen den Ländern und auch innerhalb der Länder in den Regionen sehr große Unterschiede - und darauf wollen die Konzepte auch reagieren. Bei den Öffnungen, aber auch bei erneuten Beschränkungen. Ob das dann auf der Ebene der Landkreise geschieht oder in größeren Regionen, ist offen. Aber im Idealfall liegen die Regeln auf dem Tisch und jede und jeder kann sich darauf einstellen, was passiert, wenn sich in der eigenen Region die Zahlen verändern.

Worin unterscheidet sich der RKI-Vorschlag von den politischen Vorstößen?

Es gibt Unterschiede im Detail. Soll zuerst der Einzelhandel öffnen oder die Sportvereine? Aber es gibt auch einen wichtigen Unterschied in der Gesamtstrategie. ControlCOVID vom RKI zielt im Grunde darauf ab, nach und nach über mehrere Stufen eine Inzidenz von unter 10 zu erreichen. Da ließe sich das Virus dauerhaft kontrollieren. Der Berliner Senat schlägt für die SPD-geführten Länder eine etwas andere Strategie vor, die nicht immer niedrigere Werte erreichen will, sondern die einen stabilen Zustand anstrebt, unter einer Inzidenz von 35 Infektionen in der Woche pro 100.000 Personen. Je länger dieser Wert unterschritten bleibt, desto weiter kann auch geöffnet werden, auch wenn die Zahlen nicht weiter sinken. Der entscheidende Unterschied wirklich: gibt man sich mit einer Inzidenz von unter 35 zufrieden, oder strebt man deutlich niedrigere Werte an.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Wie geht es jetzt weiter?

Das ist ein wenig in der Schwebe. Bis zur vergangenen Woche gab es einen positiven Trend, dieser Trend ist gebrochen, vor allem auch aufgrund der ansteckenderen Virusvariante B.1.1.7. Auch bei den Intensivstationen werden zwar bundesweit jeden Tag weniger Covid-Patienten versorgt, aber in Thüringen und Schleswig-Holstein sind die Zahlen in den letzten Tagen leicht gestiegen. Ob die Kriterien für die Lockerungen in den verschiedenen Konzepten überhaupt erreicht werden, ist gerade offen.

Hier ist auch das Prognosemodell der Intensivmediziner spannend. Über die Details kann man streiten, aber sie rechnen mit deutlich mehr Patienten, wenn schon im März breit gelockert wird. Eine Lockerung im April hätte in diesem Modell erheblich weniger Folgen. Und das liegt vor allem daran, dass in dieser Zeit geimpft wird und die Impfungen verhindern die schlimmen Konsequenzen der SARS-CoV-2-Infektion. Wenn jetzt etwas abgewartet wird, dann schlägt dieser Effekt durch und deshalb plädieren alle Vorschläge für Öffnungen - aber sehr, sehr vorsichtig. Und das heißt: Ja, es wird Öffnungsperspektiven geben, aber das heißt nicht automatisch, dass es nach den Bund-Länder-Gesprächen auch tatsächlich direkt viel mehr Freiheiten geben wird. Denn als erstes, da sind sich im Grunde alle einig, müssen die Zahlen weiter sinken.