Die spanische Fotojournalistin Isabel Permuy erinnert sich gut an den 14. März. Es war der Tag, an dem die Regierung über ganz Spanien den Alarmzustand verhängte. Die Menschen durften ihre Wohnungen nur noch zum Arbeiten und Einkaufen verlassen. Die Pandemie spielte sich weniger auf der Straße ab als in den Krankenhäusern. Aber darüber konnte Isabel Permuy nicht berichten.
"Wir hatten keine Aufträge mehr. Als die Krankenhäuser immer voller wurden und es auch immer mehr Fälle aus Altenheimen gab, durften wir nicht rein. Später gab es Genehmigungen, aber da war die Situation schon eine andere. Bilder von überfüllten Krankenhäusern hätten die Dimension und das Ausmaß dieser Pandemie dargestellt."
Auch andere Fotografinnen und Fotografen in Spanien beschwerten sich über erschwerte Arbeitsbedingungen unter Corona. Selten, so Isabel Permuy, habe es konkrete Absagen gegeben, vielmehr seien sie und ihre Kollegen von einer zur anderen Pressestelle verwiesen, Besuchstermine immer wieder verschoben worden. Nur über private Kanäle hätten einige Fotografen letztlich Zugang zu den Krankenhäusern bekommen. Dadurch seien der spanischen Bevölkerung wichtige Informationen verloren gegangen.
"Was man nicht sieht, existiert nicht. Nur darüber zu schreiben, reicht nicht. Ein Bild verbreitet sich leicht weiter, ohne ein Bild glauben Dir manche Menschen nicht. Diese mangelnde Sensibilisierung hat letztlich dazu geführt, dass die Leute wieder in den Parks feierten, oder auch private Fiestas bei sich zu Hause organisierten, Hochzeiten mit 200 Gästen, all die Dinge, die die Infektionszahlen jetzt wieder ansteigen lassen."
"Das wollte man nicht zeigen"
Einige Krankenhäuser in Madrid erklärten auf Anfrage: Die Journalistinnen und Journalisten hätten zu Beginn der Pandemie die Behandlung stören können, Schutzanzüge für das Pflegepersonal seien knapp gewesen - da hätte man keine für Medienbesuche abtreten können. Und bei vielen Kranken wäre es unmöglich gewesen, sie um ihr Einverständnis zu bitten. Vor dem Mikro wollte kein Vertreter der Krankenhäuser dazu offiziell Stellung beziehen. Charbel Maroun Eid, Arzt in der Notaufnahme von La Paz, dem größten Krankenhaus in Madrid, spricht hingegen ganz offen von Zensur:
"Am Anfang der Pandemie, im März, war das Chaos bei uns so groß, wir kamen angesichts der vielen Kranken einfach nicht mehr hinterher. Das sollte man wohl nicht sehen: Patienten starben in den Rollstühlen in der Notaufnahme, lagen acht Stunden lang tot im Bett neben lebenden Patientinnen, weil der für die Toten vorgesehene Kühlraum überfüllt war. In Räumen, die eigentlich Platz für 12 Personen bieten, waren 25 oder 30 Schwerkranke untergebracht. Ein Arzt kümmerte sich um 80 Menschen. Das alles war unmenschlich, das wollte man nicht zeigen, um Schlimmeres zu verhindern."
Weil von all dem nichts gezeigt wurde, habe man die Zustände im spanischen Gesundheitssystems bewusst kaschiert, glaubt der Arzt, der mehrmals betont, aus rein persönlicher Sicht zu sprechen. Ohne diesen Hinweis müsste er wohl auch mit Ärger rechnen.
Ruf nach mehr Transparenz
Letztlich hatte die Zensur keinen Erfolg. Das Chaos der ersten Wochen in den Krankenhäusern ist heute allgemein bekannt. Fotos von Menschen, die in den Krankenhäusern einsam verstarben, habe es dafür gar nicht bedurft, meint Maroun. Allerdings: Nach wie vor sind es die Daten über Fallzahlen und Krankenhausbelegungen, die die Berichterstattung in den spanischen Medien beherrschen. So spiegelt zum Beispiel die offizielle Information, die Covid-Betten seien in Madrid nur zu einem Viertel belegt, nur schlecht den Alltag wider, von dem Maroun berichtet.
"In den letzten 48 Stunden sind wir von einem enormen Zustrom von Covid-Patienten überrascht worden. Uns fehlen zudem Ärzte und Pfleger für diese Patienten, viele sind selbst krank oder noch im Urlaub. Wir sind längst wieder überfordert. Es ist noch nicht wie im März, aber wir sind auf dem Weg dorthin. Wir arbeiten mit dem wenigen, das wir haben."
Isabel Permuy ist weiterhin von der Macht ihrer Bilder überzeugt. Mehr Transparenz, meint sie, wäre bei der Bekämpfung der Pandemie einfach hilfreich:
"Ja, das ist eine alarmierende Situation. In allen Bereichen, wirtschaftlich wie gesundheitlich. Je schneller sich das ändert, umso früher geht es uns auch wirtschaftlich besser, können wir uns wieder anfassen und normale soziale Verhältnisse zueinander pflegen."