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Corona, Börsencrash und Ölpreisverfall
Der "Graue Schwan" im Anflug auf die deutsche Wirtschaft

Die Auswirkungen des Coronavirus werden immer mehr zu einer Bedrohung für die Wirtschaft. An diesem Montag verzeichneten die Börsen weltweit massive Verluste, der Ölpreis befindet sich im freien Fall. Das könnte die wirtschaftlichen Aussichten Deutschlands für dieses Jahr weiter verschlechtern.

Von Klemens Kindermann | 09.03.2020
Coronavirus - Dax bricht ein: Ein Aktienhändler reibt sich auf dem Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse die Augen. Die Börsen weltweit reagieren mit großen Verlusten auf den Absturz des Ölpreises und die Sorgen um die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Epidemie
Entsetzen auf dem Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse: Der deutsche Aktienindex Dax verlor zeitweise 8 Prozent (dpa/Arne Dedert)
Stehen wir vor einer neuen Finanz- und Wirtschaftskrise?
Die heutigen Panik-Verkäufe erinnern an die Kursrückgänge nach dem Platzen der Dotcom-Blase vor mehr als 18 Jahren und an die Folgen der Lehman-Pleite und der anschließenden Weltfinanzkrise 2008/2009.
Es ist der Höhepunkt einer Entwicklung an den Finanzmärkten, die schon seit Tagen anhält: Immer wieder gab es sehr starke Kursrückgänge bei den Aktien an allen wichtigen Finanzplätzen der Welt. Im Gegenzug flüchten die Anleger in sichere Staatspapiere, abzulesen an den Renditen, die die Papiere noch bringen: Diese gehen stark zurück. Der Goldpreis dagegen steigt und steigt.
Händler stehen am 02.03.2020 an der Wall auf dem Parkett der Wall Street in New York und blicken auf die Aktienkurse auf den Bildschirmen.
Folgen des Coronavirus für die Wirtschaft
Messen werden abgesagt, Unternehmen haben Lieferschwierigkeiten und Aktienmärkte geraten unter Druck. Das Coronavirus wirkt sich weltweit auf die Wirtschaft aus. Was sind die Folgen und welche Maßnahmen werden ergriffen? Ein Überblick.
Die Nerven der Anleger liegen blank: Der sogenannte VDax, das ist ein Barometer, das die Nervosität der Anleger misst, ist um fast 60 Prozent nach oben geschossen, der größte Anstieg, seitdem überhaupt gemessen wird. Viele an den Märkten sprechen bereits von einem "Schwarzen Montag" der Finanzgeschichte.
Ist der "Lehman-Moment" gekommen?
Eine gewisse Vergleichbarkeit ist schon da. Denn damals, vor der Finanzkrise 2008, hätte auch niemand gedacht, dass der Staat die Bank Lehman Brothers fallen lassen würde. Das Undenkbare, das Unerwartete, das ist das, was die Panik an den Finanzmärkten verursacht.
Klimaanlagen-Produktion im chinesischen Qingdao am 24. Februar 2020
Ökonom erwartet "Lehman-Brüder-Moment" durch Coronavirus-Krise
Globale Lieferketten seien nicht so robust wie angenommen, so Gabriel Felbermayr, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Durch das Coronavirus könne es zu einem ähnlichen Umdenken kommen wie 2008 die Lehman-Brothers-Pleite.
Der Publizist und Börsenhändler Nassim Nicholas Taleb hat dafür das Bild des "Schwarzen Schwans" erfunden, also die Macht eines höchst unwahrscheinlichen Ereignisses, das die Börsen abstürzen lässt. Heute könnten wir zumindest von einem "Grauen Schwan" sprechen, weil es auch ein so völlig unerwartetes Ereignis gab, das dem Aktieneinbruch vorausging: nämlich der Absturz des Ölpreises um 30 Prozent.
Warum ist der Ölpreis so stark eingebrochen?
Weil sich die Organisation erdölexportierender Länder OPEC und Russland nicht auf eine Drosselung der Ölförderung einigen konnten. Wegen der Coronakrise und der gesunkenen Nachfrage insbesondere aus China ist der Ölpreis stark unter Druck. Saudi-Arabien wollte den Preis durch eine Drosselung wieder nach oben treiben, Russland dagegen nicht, weil die Russen Marktanteile gewinnen und lieber noch mehr Öl liefern wollen.
Coronavirus
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Völlig überraschend und irrational hat Saudi-Arabien dann gestern, am Sonntag, angekündigt, die Ölpreise zu senken, um bis zu sechs Dollar pro Barrel (das sind 159 Liter Rohöl), und die Produktion hochzufahren. Das brachte den Ölpreis in den freien Fall und führte zum stärksten Einbruch am Ölmarkt seit dem Golfkrieg 1991.
Wird es eine Rezession in Deutschland geben?
Viele Volkswirte gehen inzwischen davon aus, der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt davor. Seit heute gibt es nochmals eine neue Lage. Denn einerseits werden sich Autofahrer freuen, wenn sie in den nächsten Tagen sinkende Preise an den Zapfsäulen sehen. Aber ein derart niedriger Ölpreis - manche erwarten sogar schon ein Niveau von 20 Dollar - wird massive Probleme in der Öl- und Gasindustrie verursachen, allen voran beim größten Ölproduzenten der Welt, den USA.
Die brauchen eigentlich für ihre kostendeckende Ölförderung – das Fracking aus Schieferöl - ein Niveau von 70, 80 Dollar. Russland und Saudi-Arabien könnten Probleme mit ihren Staatshaushalten bekommen: Saudi-Arabien braucht eigentlich ein Ölpreisniveau von 80 Dollar, beim russischen Staatshaushalt ist ein Niveau über 50 Dollar eingestellt.
Durch den niedrigen Ölpreis drohen zusätzlich erhebliche Verwerfungen in der Weltwirtschaft, die auf Deutschland als Exportland zurückfallen können. Der "Graue Schwan" heute hat also ganz viel mit den Aussichten für die Wirtschaft in Deutschland zu tun.