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Corona
Die Front Ukraine

Die Ukraine hatte früh und erfolgreich mit strengen Auflagen die Corona-Pandemie in Schranken gehalten. Seit die Regeln gelockert wurden, steigen die Zahlen allerdings drastisch. Vor allem spitzt sich die Lage in der weiterhin umkämpften Ost-Ukraine zu.

Von Florian Kellermann | 30.06.2020
Ohne Maske: Dichtgedrängte Zuschauermenge bei einer Militärparade am 24.06.2020 anlässlich des Sieges über Nazi-Deutschland in der ostukrainischen Stadt Donezk.
Ohne Maske: Dichtgedrängte Zuschauermenge bei einer Militärparade am 24.06.2020 anlässlich des Sieges über Nazi-Deutschland in der ostukrainischen Stadt Donezk. Die Gefahr des Virus ist im Donezbecken lange unterschätzt worden. (dpa / Valentin Sprinchak)
Besonders stark betroffen ist der Regierungsbezirk Lemberg in der Westukraine mit täglich zwischen 150 und 200 Neuinfektionen. Trotzdem will die Stadt die Beschränkungen weiter lockern. Unter anderem Restaurants sollen bald wieder öffnen dürfen.
Gegen den Willen der Regierung in Kiew. Taras Hren von der staatlichen Verwaltung für den Bezirk Lemberg sagte am Wochenende bei einer Diskussions-Veranstaltung:
"Auch wenn diese Meinung nicht populär ist: Ich fürchte, dass wir bald nicht 200, sondern 300 Neuinfektionen täglich in der Region haben werden. Dem müssen wir doch verbeugen und nicht sagen: Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist."
Boykott in der Bevölkerung
Doch damit stößt die Regierung immer öfter auf taube Ohren. Viele Ukrainer boykottieren schlicht die Anti-Corona-Maßnahmen, um ihrem Beruf nachzugehen.
Dazu trägt bei, dass viele weder dem Staat noch den Medien vertrauen. Verschwörungstheorien greifen um sich, wie Umfragen zeigen. So glaubt mehr als jeder dritte Ukrainer, das Virus sei absichtlich in Labors geschaffen worden, um die Weltbevölkerung zu dezimieren.
Solche Verschwörungstheorien würden besonders von den russischen Medien verbreitet, meinen Experten.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Deshalb seien sie auch in den Gebieten der Ostukraine besonders populär, wo von Russland gesteuerte sogenannte Separatisten das Sagen haben.
Dort, im Donezbecken, sei die Gefahr des Virus zudem lange unterschätzt worden, sagt Pawel Lysjanskyj, Vertreter der ukrainischen Ombudsfrau für Menschenrechte für den Donbass:
"Als die offizielle Ukraine einschneidende Maßnahmen ergriff, hieß es dort, bei ihnen gebe es kein Coronavirus, nur die Schweinegrippe. Und überhaupt sei das Coronavirus nur eine Erfindung von US-Geheimdiensten, um fremde Staaten zu schwächen."
Eingeständnis durch die Separatisten
Das hat sich geändert. Inzwischen räumen die sogenannten Separatisten in Donezk und Luhansk ein, dass es bei ihnen insgesamt bisher zu rund 1.600 Infektionen gekommen sei. Eine Zahl, die Pawel Lysjanskyj für weit untertrieben hält. Das zeige das Verhalten der selbsternannten Volksrepubliken.
"Sie haben zum ersten Mal seit vielen Jahren humanitäre Hilfe vom Roten Kreuz und vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen angenommen. Unter anderem Desinfektionsmittel wurden geliefert. Einfach deshalb, weil es dort an allem mangelte. Die Hilfe, die aus Russland kam, reichte nicht aus. Die Situation war dramatisch."
Er wisse das von privaten Hilfsorganisationen, die heimlich auf dem Separatisten-Gebiet tätig seien, so Lysjanskyj.
Offiziell gelten in den Separatistengebieten zwar Anti-Corona-Maßnahmen. Dennoch finden immer wieder Großveranstaltungen statt, so vor einer Woche eine Militärparade. Videoaufnahmen zeigen, dass kaum einer der Teilnehmer oder der Zuschauer eine Schutzmaske trug.
Die Ukraine geht davon aus, dass in den Separatistengebieten auch deutlich mehr Menschen durch das Virus sterben, als dies offiziell angegeben wird. Pawel Lysjanskyj:
"Die Krankenhäuser sind nicht überfüllt, weil Menschen, die Symptome einer Covid-19-Infektion zeigen, einfach nach Hause geschickt werden. Zur Selbstisolation, wie es heißt. Dass sie sich auch daran halten, kontrolliert der Geheimdienst, und Kranke bleiben ohne die notwendige Versorgung."
Denn auch an Ärzten mangelt es. Ende des vergangenen Jahres räumte sogar die Gesundheitsministerin der sogenannten Donezker Volksrepublik ein, dass in der Region rund 6.000 Ärzte fehlen.
Doch trotz aller Probleme mit dem Coronavirus in der Ukraine und auch in den Separatistengebieten: Die Kämpfe an der Frontlinie im Donezbecken gehen weiter. Fast täglich gibt es Artilleriegefechte. In der vergangenen Woche starb dabei ein ukrainischer Soldat, mehrere wurden verletzt.