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Corona-Hilfsfonds für EU-Länder
Ökonom sieht Merkel-Macron-Vorschlag kritisch

Beim vorgeschlagenen 500-Milliarden-Hilfsplan für Europa sei vieles noch unklar, sagte Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Bert Van Roosebeke im Dlf. Man werde „höllisch aufpassen müssen“, dass das Corona-Programm fortgesetzt werde – und man am Ende nicht doch bei Eurobonds lande.

Bert Van Roosebeke im Gespräch mit Dirk Müller | 19.05.2020
French President Emmanuel Macron speaks while German Chancellor Angela Merkel listens during a joint video press conference at the Elysee Palace, on May 18, 2020, in Paris.
Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron hatten am Montag ein Programm zur wirtschaftlichen Erholung im Umfang von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen (AFP / Francois Mori)
Es gibt einen gemeinsamen Vorstoß von Deutschland und Frankreich für einen 500 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds. In der Coronakrise soll damit besonders schwer getroffenen EU-Staaten geholfen werden. Der Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Bert Van Roosebeke vom Centrum für Europäische Politik in Freiburg geht nicht davon aus, dass Deutschland zu den großen Profiteuren dieses Fonds gehören wird - davon könne man sicher nicht ausgehen. Er merkt an, die genauen Kriterien des Plans seien bislang unklar.

Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Hat Deutschland Geld zu verschenken?
Bert Van Roosebeke: Das werden wir nach vielen, vielen Jahren wissen, das kann ich Ihnen heute noch nicht beantworten, die Frage, weil viele Details, die wirklich sehr wichtig sind, sind nach der gestrigen Ankündigung gar nicht klar. Wir wissen zum Beispiel gar nicht, wer nach welchen Kriterien von diesen 500 Milliarden profitieren soll, und wir wissen auch noch nicht so recht, welche Länder sich wie intensiv an der Rückzahlung dieser Mittel beteiligen sollen. Sprich, die Nettoposition, wenn man das so sagen will, Deutschlands oder auch jedes anderen Lands der EU ist im Moment mitnichten klar.
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Müller: Gehen Sie davon aus, dass die Kanzlerin das weiß, was Sie nicht wissen?
Van Roosebeke: Ich vermute, die Kanzlerin weiß da ganz genau, was sie macht, da bin ich mir eigentlich relativ sicher, und das ist natürlich auch Teil sozusagen der politischen Übung. Im Moment liegt eine Idee, sag ich jetzt mal, aus Paris und Brüssel auf dem Tisch, die primär Frau von der Leyen unterstützen soll, die es seit mehreren Wochen offensichtlich nicht hinkriegt, die notwendige Unterstützung dafür zu kriegen, was sie eigentlich machen soll, sprich, eine Mehrheit oder mehr sogar eine Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten generieren für diesen Plan.
Mit dieser Idee aus Berlin und Paris wird das sicher sehr viel einfacher werden, aber wie gesagt, viele Fragen, die sehr wichtig sind, sind sicher bewusst offengelassen und können auch dazu beitragen, dass Länder wie die Niederlande, Schweden et cetera sich vielleicht doch noch in der Lage sehen, dem Ganzen zuzustimmen.
"Darüber werden sich einige nordeuropäische Staaten schon mal freuen"
Müller: Aber warum, muss ich jetzt fragen, Herr Van Roosebeke, warum ist das jetzt einfacher, wie Sie sagen? Es handelt sich um die doppelte Summe, erst waren 250 Milliarden im Gespräch, jetzt haben wir 500 Milliarden, die doppelte Summe. Dann soll das alles, wenn ich das richtig verstanden habe, über den EU-Haushalt gehen, der muss dafür Kredite, Anleihen aufnehmen, er macht neue Schulden – in einer Dimension, die rechtlich sogar umstritten ist, wenn wir das wiederum richtig verstanden haben. Und dann ist nicht ganz klar, ob das Geld von den Empfängern jemals zurückgezahlt werden kann, also kann es sein, dass wir den Mezzogiorno in Italien subventionieren, wenn ich das so formulieren darf, und die Deutschen nachher die Zeche zahlen.
Van Roosebeke: Einfacher ist in diesen Zeiten relativ - was ist einfacher geworden? Es gab ja ganz andere Vorstellungen auch in Südeuropa und in Brüssel über die Höhe des Fonds - jetzt sagen Berlin und Paris 500 Milliarden. Das ist schon mal eine Obergrenze, und darüber werden sich einige nordeuropäische Staaten schon mal freuen, dass es nicht mehr wird als das, alles relativ.
German Chancellor Angela Merkel listens during a joint press conference with French President Emmanuel Macron, who attends via video link, at the Chancellery in Berlin, Germany, on May 18, 2020 on the effects of the novel coronavirus COVID-19 pandemic. Kay NIETFELD / POOL / AFP
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In der Coronakrise hat die EU einen dringend benötigten Impuls aus Berlin und Paris erhalten, meint Peter Kapern. Der neue Vorschlag räume aber längst nicht alle Zweifel aus.
Zweites Argument: die Rolle der Kommission in dem Ganzen. Die Gelder sollen ja verteilt werden nach Kriterien, und zumindest soll die Europäische Kommission da was zu sagen haben, soll sich richten nach den länderspezifischen Empfehlungen aus dem europäischen Semester. Jetzt kann man lange drüber streiten, inwieweit die dann sinnvoll sind und durchgesetzt werden, aber dass das Geld blind verschenkt wird, danach schaut es erst mal nicht aus. Auch darüber könnten sich Länder wie die Niederlande, Schweden oder auch Dänemark relativ freuen, sage ich jetzt mal.
Müller: Aber wenn ich hier einhaken darf, ganz kurz bitte, also mit verschenkt meinen die Kritiker ja, dass es Zuschüsse sind, das heißt, es werden keine Kredite aufgenommen, und diejenigen, die das tun, müssen sich nicht anstrengen, das wieder zurückzuzahlen.
Van Roosebeke: Ja, das ist sicher richtig und sehr kritisch, und ich sehe das auch sehr kritisch, weil bisher haben wir alle Hilfezahlungen über den ESM und eine strikte Konditionalität vergeben, also es ist sicher eine sehr, sehr große Änderung, die hier vorgeschlagen wird. Aber man darf nicht vergessen, auch ein Land wie Deutschland, die Niederlande et cetera, auch die werden sehr wahrscheinlich Gelder aus diesem 500-Milliarden-Topf bekommen, die Frage ist, wie viel bekommen sie davon. Und zweitens: Wie viel oder in welchem Ausmaß sind sie am Ende über den europäischen Haushalt verpflichtet sozusagen, auch zurückzuzahlen? Diese Frage kann Ihnen heute kein Mensch beantworten, weil wir haben keinerlei Ahnung, wie die Nettoposition der Niederlande, Deutschlands oder auch Polens im Jahre 2028 aussehen wird, weil erst dann werden wir anfangen zurückzuzahlen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Müller: Aber zur gleichen Zeit haben wir gestern ja auch aus Brüssel und am Wochenende Signale bekommen, die da sagen, wir müssen aufpassen, einige Länder kommen ganz gut damit zurecht – dann werden immer Deutschland und die Niederlande, auch die Dänen genannt, und andere wiederum haben ganz große Probleme, die südeuropäischen Länder. Die Frage jetzt an Sie, das ist gestern auch gesagt worden, angedeutet worden: Wenn die Deutschen Hilfen bekommen, ins Ruhrgebiet, wo auch immer hin, dort, wo es auch nicht ganz so gut läuft, ist das mehr als Kosmetik?
Van Roosebeke: Sie meinen, ob es realistisch ist, dass Deutschland Gelder aus diesem Fonds bekommt?
Kritik an unklaren Kriterien für Mittelvergabe
Müller: Ja, vermutlich passiert das ja, um zu sagen, was wollt ihr eigentlich, die Deutschen haben ja auch was bekommen. Meine Frage an Sie: Ist das mehr als ein Symbol, als Kosmetik, oder ist das Substanz?
Van Roosebeke: Ich gehe nicht davon aus, dass Deutschland zu den großen Profiteuren dieses Fonds gehören wird, davon kann man sicher nicht ausgehen, aber wie gesagt, die genauen Kriterien sind unklar. Es steht zum Beispiel ganz klar auch in dem Papier aus Paris und Berlin drin, dass man jetzt die Gelegenheit nutzen will, auch die Nachhaltigkeit der Wirtschaft, der Digitalisierung et cetera zu befördern. Gleichzeitig ist zum Beispiel Holland ein sehr großer Befürworter davon, die Zahlungen solcher Mittel auch an die neue Nachhaltigkeitsdefinition der Europäischen Union zu verknüpfen. Warum? Weil die Ökonomie, die Wirtschaft, in den Niederlanden viel fortschrittlicher ist, was das angeht, und vielleicht eher in der Lage ist, sich für die Bedingungen zu qualifizieren, um diese Gelder in Anspruch zu nehmen. Sprich: Kosmetik ja, aber es ist einfach heute nicht klar, nach welchen Kriterien die Mittel vergeben werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), vor einem Bildschirm, auf dem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron per Video zu einer Pressekonferenz zugeschaltet ist. 
Die Regierungschefs Merkel und Macron wollen gemeinsam gegen die Corona-Krise vorgehen (Kay Nietfeld/dpa-Pool/dpa)
Politik wird sicher eine große Rolle spielen, aber - letzter Punkt, wenn ich darf - es wird auch gleichzeitig betont, dass man sich nicht nur anschauen wird, welche Länder sozusagen gesundheitlich am stärksten betroffen sind von der Corona-Pandemie, sondern auch und vor allem, wo die wirtschaftlichen Folgen am größten sind. Das muss nicht immer deckungsgleich sein.
"Grundlegende Problematik der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit"
Müller: Das muss nicht immer deckungsgleich sein, aber vermutlich ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr hoch, dass diejenigen und diejenigen Regionen, die ohnehin immer Schwierigkeiten hatten in den zurückliegenden Jahren, die keine Reformen gemacht haben, keine Strukturreformen gemacht haben, die immer wieder von Europa Geld haben wollten, gerade jetzt auch wieder Geld von Europa haben wollen. Ist das ein Teufelskreis, der niemals endet, wenn man immer weitermacht?
Van Roosebeke: Die Gefahr ist definitiv da. Ich gebe Ihnen recht, das wird hier keine neutrale Übung sein, und die Länder, an die wir alle denken, werden sehr wahrscheinlich netto profitieren. Wir werden sehen müssen, inwieweit wir in der Lage sind, die Mittel zur Rückzahlung der Darlehen überhaupt zu generieren. Da gibt es mehrere Möglichkeiten, daran denken sicher auch Länder wie Holland und Schweden: Man kann zum Beispiel sagen, wir reservieren x Prozent des EU-Haushalts zur Rückzahlung dieser Mittel. Dann hat man schon mal dem Haushalt der EU implizit einen Deckel verpasst, das ist natürlich ein politisch wichtiges Anliegen in diesen Ländern, das könnte diesen Ländern zugutekommen. Aber ob diese Darlehen – nicht Darlehen dieser Zuschüsse gerade eben – das grundlegende Problem in einigen Ländern, vor allem der Eurozone, der südlichen Eurozone lösen werden, da bin ich sehr, sehr, sehr kritisch, weil ich sehe es nicht, weshalb dieser Fonds die grundlegende Problematik der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit lösen wird.
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Müller: Aber dann ist das ein Strohfeuer, weil Sie keine Reformen sehen, unterstelle ich jetzt, das haben Sie damit gemeint. Das heißt, es wird ein bisschen geholfen, ein paar Monate reicht das dann, und danach ist das alte Dilemma wieder da.
Van Roosebeke: Das alte Dilemma wird dadurch nicht gelöst werden, und wir werden natürlich höllisch aufpassen müssen, dass nicht im Anschluss letztlich eine Erneuerung, eine Neuauflage des Programms auf den Tisch gelegt wird und vorgeschlagen wird. Und dann müssen wir natürlich aufpassen, dass diese unklare Haftung, die derzeit besteht an dem vorgeschlagenen Programm, dann nicht geändert wird und wir am Ende tatsächlich doch bei Corona-Bonds oder Eurobonds landen.
Müller: Jetzt haben wir nur noch wenig Zeit, Herr Van Roosebeke, ich möchte Sie das trotzdem noch mal fragen: Sie sind Belgier, kein Niederländer…
Van Roosebeke: Richtig.
Müller: …Belgien hat keine Regierung, Sie können dafür jetzt einspringen, für den Ministerpräsidenten bei uns. Würden Sie jetzt, nachdem, was wir jetzt auch besprochen haben, nachdem wir Ihre Haltung kennengelernt haben, würden Sie in Brüssel zustimmen?
Van Roosebeke: Ich würde nicht zustimmen, weil ich denke, dass Konditionalität sehr wichtig ist, dass man eine allgemeine Akzeptanz in der gesamten EU für solche Mittel braucht. Und ich glaube, dass eine faire Konditionalität dafür sehr wichtig ist, und die sehe ich hier nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.