Dienstag, 19. März 2024

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Corona-Konjunkturpaket
"Gesundheitsschutz und -förderung mitdenken"

Wirtschaftshilfen zur Bewältigung der Coronakrise nutzen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern – das fordert die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit. Dies sei etwa bei der Stadtplanung möglich, erläuterte deren stellvertretende Vorsitzende Sylvia Hartmann im Dlf.

Sylvia Hartmann im Gespräch mit Jule Reimer | 03.06.2020
Mann markiert einen temporären Radverkehrsstreifen auf dem Kottbusser Damm in Berlin
Menschen durch fahrradfreundliche Verkehrsplanung zum Radfahren animieren - das ist einer der Vorschläge von KLUG (dpa/Jörg Carstensen)
Nicht nur in Deutschland fordern Unternehmen und Organisationen, Hilfspakte zur Bewältigung der Coronakrise sollten immer auch den Klimaschutz mitberücksichtigen. Auch in anderen Bereichen könnten dadurch positive Effekt erzielt werden, etwa bei der Gesundheit. Mehr als 40 Millionen Ärzte, Krankenpfleger und andere Beschäftigte aus dem Gesundheitssektor riefen daher in einem Brief an die G20-Staaten dazu auf, den Moment zu nutzen, gesundheitliche Risiken wie die Luftverschmutzung abzusenken.
Hierzulande engagiert sich die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) für dieses Ziel. Bei KLUG handelt es sich um ein Netzwerk von Einzelpersonen, Organisationen und Verbänden aus dem gesamten Gesundheitsbereich. Im Interview mit dem Dlf erläuterte die stellvertretende Vorsitzend von KLUG, in welchen Sektoren es wichtig wäre Investitionen und Gesundheitsschutz beziehungsweise Gesundheitsförderung zusammenzudenken.
FDP-Politiker Otto Fricke spricht im Bundestag
Fricke (FDP): Autokaufprämie "ist eine falsche Subvention"
Der FDP-Politiker Otto Fricke hat sich gegen den Vorschlag einer Kaufprämie für Autos ausgesprochen. "Dieser gefährliche Versuch einer Lenkungswirkung ist falsch", sagte Fricke im Dlf.
Jule Reimer: Sylvia Hartmann, Sie sind deren stellvertretende Vorsitzende. Wo können Gesundheit und Wirtschaft stärker zusammengedacht werden?
Sylvia Hartmann: Ja, genau! – Es ist jetzt ganz wichtig, dadurch, dass die Investitionen, die jetzt getätigt werden, nicht nur die nächsten Jahre, sondern eher die nächsten Jahrzehnte mit gestalten werden, dass wir bei diesen Investitionen Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung immer mitdenken und in den Mittelpunkt stellen. Da sind vier Sektoren besonders wichtig, und zwar das Gesundheitswesen, der Verkehrssektor, Energie und auch die Landwirtschaft.
"Städte generell neu denken"
Reimer: Gucken wir erst mal kurz auf den Verkehr, weil da wird ja hitzig über eine Abwrackprämie für Autos diskutiert und ob der Verkauf von abgasärmeren Verbrennern noch gefördert werden sollte. Dass Sie Verbrenner als Klimaallianz wahrscheinlich nicht gut finden, setze ich schon mal voraus. Würden Sie denn Autos überhaupt fördern?
Hartmann: Wir würden tatsächlich sagen, dass die Städte generell neu denken müssen, dass sie mehr hin zu gesundheitsfördernden Städten müssen. Einige Städte haben jetzt teilweise Straßen gesperrt und für Fahrradfahrer zum Beispiel zur Verfügung gestellt. Unsere Idee wäre, dass das einfach für die Zukunft auch so bleibt, dass man dadurch, dass man Menschen animiert, auch mehr mit dem Fahrrad zu fahren, einerseits die Luftqualität verbessert, was ja gerade auch im Zusammenhang mit COVID von Interesse ist - Menschen, die schon Lungenerkrankungen haben, sind anfälliger für diese Erkrankung -, aber gleichzeitig sich Menschen auch dadurch in ihrem Alltag viel mehr bewegen und wir andere Zivilisationserkrankungen damit angehen können.
Hofreiter (Grüne): "Die Automobilindustrie muss dringend gestützt werden"
Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat sich für Konjunkturmaßnahmen für die deutsche Automobilindustrie ausgesprochen. Es ergebe aber keinen Sinn, dabei nur auf die alten Technologien zu setzen.
Reimer: Welche?
Hartmann: Zum Beispiel Übergewicht, Diabetes, aber auch alles, was mit dem Herzen zu tun hat, oder Risikofaktoren, die zum Schlaganfall führen, werden minimiert durch tagtägliche Bewegung. Da reichen tatsächlich 30 Minuten pro Tag. Das ist das, was die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt pro Tag. Wenn man die Anreize setzt, dass Menschen sich sicherer fühlen auf der Straße, und es auch nicht so laut ist, dann würden wir das schaffen, dass Menschen das tagtäglich so einbauen.
"Datteln IV ist das falsche Signal"
Reimer: Bezogen auf den Energiesektor: Die Kraftwerke haben ja mittlerweile alle, vor allen Dingen, wenn sie jüngeren Datums sind, sehr gute Abgasfilterungen. Wie stark ist da noch die Belastung über Luftverschmutzung? Welche Belastungen sehen Sie da?
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Hartmann: Da sind trotzdem noch die Belastungen, einerseits durch Feinstaub, aber andererseits auch durch Schwermetalle. Vor zwei Tagen ging Datteln IV ans Netzwerk und da sagen wir, dass ist trotzdem das falsche Signal. Es gibt genug Faktoren, die zeigen, wir brauchen jetzt die Energiewende, wir dürfen keine neuen Kohlekraftwerke mehr ans Netz binden – einerseits aufgrund der Emissionen -, aber gleichzeitig: Jedes Kohlekraftwerk, was neu angeschlossen wird, schadet auch der Gesundheit – einerseits für Menschen, die direkt im Umfeld wohnen, aber auch weiter. Die Emissionen oder dieser Feinstaub wird sehr viele Kilometer weitergetragen als nur ins nahe Umfeld.
Reimer: Welche Schwermetalle sind da im Spiel?
Hartmann: Das ist zum Beispiel Quecksilber oder Kobalt.
Flächen in der Landwirtschaft effektiver nutzen
Reimer: Sie sagten, die Landwirtschaft ist auch ein wichtiger Bereich. Wo spielt da die Luftqualität eine Rolle?
Hartmann: In der Landwirtschaft ist es nicht vorrangig die Luftqualität, sondern da geht es darum: Die Frage ist, es geht um den Zusammenhang mit COVID und die Reinvestitionen. COVID ist ja dadurch aufgekommen, dass diese Erreger von Tieren auf den Menschen übergesprungen sind. In der Art und Weise, wie wir jetzt landwirtschaften, befördern wir, dass genau solche Infektionserkrankungen wieder neu auftreten, weil wir extrem viel Landfläche brauchen für den vor allem enormen Bedarf an tierischen Produkten.
Das heißt: Wenn wir da einerseits eine planetare Diät mehr umsetzen – und die muss nicht vegan sein; die ist auch nicht vegan laut der Empfehlung, sondern hat einfach einen reduzierten Anteil an tierischen Produkten -, könnten wir die Landfläche sehr viel effektiver nutzen und würden damit auch das Risiko minimieren, dass wieder solche neu auftretenden Infektionserkrankungen auf den Menschen übertreten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.