Freitag, 29. März 2024

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Corona-Krise im Plattenladen
"Eine Platte kann einen Konzertbesuch auffangen"

Zu den Corona-Geschädigten in der Kulturbranche gehören auch die Plattenläden: Stöbern ist untersagt - und die Kunden müssen sparen. "Manchmal reicht aber auch eine nette E-Mail, um durchzuhalten", sagte Christian Meier-Oehlke vom Kölner Laden Parallel Schallplatten im Dlf.

Christian Meier-Oehlke im Corsogespräch mit Bernd Lechler | 28.03.2020
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Parallel Schallplatten: Christian Meier-Ohlke im Kölner Shop (Christian Meier-Oehlke)
Bernd Lechler: Das Corso Musikmagazin am Samstagnachmittag, mitten in der Corona Krise, die ja auch die Kulturbranche schwer beutelt, und das betrifft im Musikbereich nicht nur Bands, Musiker, Veranstalter, Roadies, Techniker, sondern unter anderem auch: die Plattenläden. Zum Stöbern kommen darf keiner mehr, den Kunden sitzt vielleicht das Geld eh nicht mehr so locker, und Rücklagen haben in diesen ohnehin schwierigen digitalen Zeiten die wenigsten. Zum Gespräch begrüße ich Christian Meier-Oehlke von Parallel Schallplatten in Köln. Hallo!
Christian Meier-Oehlke: Hallo, guten Tag.
Lechler: Die jüngste Hiobsbotschaft war: Der alljährliche Record Store Day ist verschoben worden, von Mitte April auf dem 20. Juni - vorläufig, man weiß es ja nicht. Was bedeutet das für die Plattenläden?
Meier-Oehlke: Das bedeutet nur, dass der Weg zum anvisierten Termin gar nicht hätte stattfinden können und man jetzt zwei Monate Aufschub hat. Ob dann in zwei Monaten zum einen die Geschäfte wieder aufhaben können, zum anderen die Leute genügend Geld haben, sich mit mehr oder weniger, sagen wir: nicht essenziellen Artikeln einzudecken, ist natürlich fraglich.
Lechler: Heißt es, sie haben schon quasi eine bestimmte Summe im Kopf gehabt, mit der sie geplant haben?
Meier-Oehlke: Wir haben eigentlich immer ein gewisses Budget, das wir sozusagen zu den Record Store Days anvisieren und haben an dem Tag halt auch DJs und eine Band. Das heißt, dass es auch noch zusätzliche Kosten gibt, die allerdings vom Kulturamt der Stadt Köln netterweise ein wenig abgefedert werden. Aber natürlich haben wir eine eine gewisse Umsatzmarge eingerechnet. Das ist klar, die fällt jetzt weg. Aber grundsätzlich fallen ja die stationären Umsätze gerade komplett weg.
Wichtige Titel werden verschoben
Lechler: Wie spielt Corona denn sonst noch ins Geschäft rein? Werden zum Beispiel auch Veröffentlichungstermine verschoben, so dass es weniger Neues gibt?
Meier-Oehlke: Veröffentlichungstermine werden nicht nur im Kino verschoben, wie der neue James Bond beispielsweise, sondern natürlich auch bei Schallplatten. Es gibt ganz klar die Tendenz jetzt, wichtige Titel also wirklich Charts-Titel auf den späten Sommer oder Herbst zu verschieben, das ist das eine. Das andere ist natürlich auch die Auslieferung. Wenn man überhaupt noch Neuware jetzt bestellen möchte, weil man beispielsweise Online-Handel betreibt, oder weil man Stammkunden versorgen möchte, unkompliziert, dann ist das zumindest bei der Sony gerade ein Problem, weil es da im Lager in Frankreich einen Corona-Fall gibt. Das heißt, es wird nichts ausgeliefert
Der Online-Verkauf rettet nur zehn bis 15 Prozent
Lechler: Das heißt, zum Beispiel der Onlinestore - den Sie auch haben, den viele Plattenläden haben -, der kann das auch nur bedingt auffangen, was durch den Ladenverkauf im Moment verloren geht?
Meier-Oehlke: Ich sag mal, der Online-Store und der Stammkunden-Unterstützungs-Kauf federt unsere Umsätze so zu zehn bis 15 Prozent ab. Das ist nicht viel, aber immerhin etwas, weil man vor allem auch von vielen liebgewonnenen Stammkunden sehr aufmunternde Worte sozusagen erfahren hat. Es muss ja nicht immer Geld werden oder ein Stützungskauf, sondern eine nette E-Mail reicht ja dann auch, um durchzuhalten.
Lechler: Was schreiben die?
Meier-Oehlke: Die schreiben irgendwie, dass sie momentan erst mal ihre Plattensammlung wieder durchhören und sich dann irgendwie auf Neues konzentrieren und sich auf die-und-die Platte, die-und-die Neuerscheinung schon freuen. Und dass sie uns alles Gute wünschen.
Präsenz zeigen im Netz
Lechler: Optimal Records in München stellt Videos aus dem Laden auf Facebook. Da werden dann aktuelle LPs angespielt und vorgestellt, die man dann bestellen kann. Und ich sah: Michelle Records in Hamburg, da fahren zweimal die Woche Lieferanten quasi die Plattenbestellungen in der Stadt aus. Und die Band der Ladenbetreiber spielt im Geschäft und postet die Videos, um Präsenz zu zeigen. Überlegen Sie sich auch etwas in der Art?
Meier-Oehlke: Wir haben auch einen Auslieferungsdienst, wir liefern im Kölner Stadtgebiet Platten aus. Also ab einer Platte liefern wir. Ansonsten haben wir aktuell die Zeit genutzt bislang, um eigentlich aufzuräumen, das Lager mal zu durchforsten, Dinge vielleicht, die wir seit Ewigkeiten haben, billiger zu machen und dann auch bei Discogs, einer Online-Verkaufsplattformen für Schallplatten, etwas günstiger vielleicht anzubieten et cetera. Das heißt, wenn wir eben, sagen wir, in vier bis sechs Wochen wieder eröffnen sollten, also wieder aufmachen dürfen, werden die Kunden und Kundinnen ein doch rundum erneuertes Sortiment präsentiert bekommen. Das ist der Vorteil. Ansonsten überlegen wir uns diesem Optimal-Schallplatten-Beispiel sicherlich zu folgen. Aber das ist so toll, das kann man eigentlich gar nicht kopieren. Also, ich habe das jetzt zwei Mal gesehen, was Christos da macht, das macht wirklich großen Spaß.
Lechler: Ihm zuzugucken, wie er Platten auflegt.
Meier-Oehlke: Genau, richtig, und welche Platten vor allem, weil er wirklich einen sehr breitgefächerten, sehr, sehr guten Musikgeschmack hat. Er gilt ja auch als einer der ambitioniertesten DJs von München.
Kampagne #loverecordstores
Lechler: Aus England kommt so eine Kampagne, #loverecordstores. Da werden Branchenleute, Musiker, Popstars, Promis gebeten, in kurzen Selfie-Videos von ihren Lieblingsplattenläden zu erzählen, und warum die wichtig sind. Um die Leute zu motivieren, dass sie wenigstens online bei den kleinen Läden bestellen. Wieviel versprechen Sie sich von sowas?
Meier-Oehlke: Das ist sicherlich sehr hilfreich, weil die Leute doch, denke ich, auch dahin gehen wollen, wo ihre musikalische oder sonstwie künstlerischen Vorbilder auch einkaufen.
Lechler: Was kommt denn von den staatlichen Hilfen jetzt an? Haben Sie schon probiert, welche zu kriegen und wie umständlich oder nicht ist das?
Meier-Oehlke: Wir gehen davon aus, dass wir eine gewisse Übergangszeit, sagen wir, zweieinhalb Monate mit staatlicher Hilfe überbrücken können. Wir haben kleinere Rücklagen, die uns sicherlich über einige Wochen tragen. Danach wird es allerdings eng. Und ich denke auch natürlich, dass dem Staat dann irgendwo auch die Einnahmen fehlen, um Hilfsprogramm nach Hilfsprogramm zu schnüren. Also, man kann eigentlich im Sinne aller Beteiligten nur hoffen, dass diese Sache doch nicht zu lange dauert.
Durchhalten bis Mitte Mai möglich
Lechler: Ich meine, sie klingen insgesamt ganz entspannt. Ich frage mal ganz konkret: Wie lange reicht es denn noch?
Meier-Oehlke: Na ja, wie gesagt, also, zehn bis 15 Prozent des Umsatzes werden abgedeckt. Mit unserer Vermieterin, also der Immobiliengesellschaft, haben wir auch sehr konstruktive Gespräche über die ausstehenden beziehungsweise anstehenden Mietzahlungen geführt. Ich sag mal so: Sollte es Mitte, Ende Mai weitergehen, glaube ich, haben wir es bis dahin sozusagen ausgehalten.
Lechler: Welche Wünsche oder Forderungen hätten Sie denn, was passieren sollte, vernünftigerweise?
Meier-Oehlke: Na, sicherlich ist es so, dass für Kleingewerbetreibende die Steuerlast - Gewerbesteuer, Umsatzsteuer und dann noch die persönliche Einkommensteuer - relativ hoch ist. Da könnte man sicherlich über Modelle nachdenken, dass da einige Erleichterungen gerade jetzt für die nächsten Monate oder auch für die nächsten ein, zwei Jahre sozusagen greifen. Ansonsten möchte ich eigentlich nur an die Musikindustrie appellieren, gerade an die wirklich große Musikindustrie, ihre Preispolitik, die in den letzten Jahren doch einige unschöne Blüten getrieben hat, nachhaltig zu überdenken.
Appell an die großen Labels
Lechler: Das heißt, die Läden sollten weniger zahlen müssen?
Meier-Oehlke: Das Problem ist, das merken wir ja auch, wir haben ja Neuware und sehr viel Secondhand, und eine Secondhand-Platte von, sagen wir, der Band Dire Straits oder Genesis kostet vielleicht acht bis zwölf Euro. Eine Neuware kostet 25 Euro, mindestens. Das heißt, die Leute, die aufs Geld schauen, kaufen sich dann lieber zwei oder drei Secondhand-Platten als eine Neuware. Und das merkt man natürlich.
Lechler: Das heißt, es gibt auch Sachen, die jetzt in der Krise stärker sich niederschlagen, die aber vorher eigentlich schon ein Problem waren, im System.
Meier-Oehlke: Das ist absolut richtig, genau. Aber was natürlich das Gute ist, dass ein gewisser Solidaritätsgedanke um sich greift, dass man nicht nur auf sich schaut, das man auch mal links und rechts schaut. Ich erwähne da beispielsweise nur die aktuellen Zustände im Flüchtlingscamp auf Lesbos. Das sind natürlich Dinge, die einem dann auch zu denken geben. Und ich muss sagen, ohne dass ich da falsch verstanden werden möchte: Unterm Strich geht es uns noch gut.
Lechler: Wenn uns jetzt aber Vinyl-Liebhaber oder Musikfans zuhören, die die Kultur der Plattenläden auch schätzen: Was können die tun, um die Läden zu unterstützen?
Meier-Oehlke: Sie können tatsächlich nicht bei einem sehr, sehr großen Anbieter online kaufen, sondern bei den vielen kleinen Plattenläden online. Wenn die Plattenläden keinen Online Shop anbieten oder nicht bei Discogs sind oder bei eBay, dann sollte man sich als Verbraucher sozusagen gerne direkt mit dem Plattenläden in Verbindung setzen. Eine Mail schreiben, über Facebook die Leute kontaktieren oder anrufen und überlegen, wie man doch zur gewünschten Platte kommt. Ich glaube, dass fast alle Läden da eine Möglichkeit aktuell anbieten.
Musik hören, um die Krise zu vergessen
Lechler: Wie ist denn Ihr Eindruck von der Kundschaft in der Krise? Haben die Leute noch Lust, Musik zu kaufen? Vielleicht ja sogar mehr als sonst? Oder halten die ihr Geld jetzt erst mal beisammen oder haben keins mehr?
Meier-Oehlke: Zum einen ist es natürlich so, dass man den oft zitierten Spruch "Music is the healing force of the universe" nicht unterschätzen darf. Ich glaube schon, dass eine Platte zu Hause bei einem Glas Wein oder einem Bier oder einem Wasser einen Kinobesuch oder Konzertbesuch zwar vielleicht nicht ersetzen, aber doch zumindest auffangen kann. Und ich glaube schon, dass Musik ein gewisses Kommunikationsmittel ist, um die Leute auch die Krise für einige Zeit vergessen zu lassen.
Lechler: Wie geht es Ihnen denn selber als Plattenfreund: Ist Ihnen Musik gerade weniger wichtig, weil andere Dinge einfach wichtiger werden? Oder ist sie tatsächlich in diesen Zeiten erst recht Trost und Stütze und "healing force"?
Meier-Oehlke: Also, Musik ist mir sehr wichtig. Musik ist mir aber immer sehr wichtig, muss ich sagen. Wobei ich zugeben muss, dass ich aktuell weniger Musik zuhause höre, weil ich mich mehr mit Dingen wie Skype oder Zoom beschäftige, um meine sozialen Kontakte zu pflegen. Also wir haben jeden Abend um 19 Uhr Aperitif-Stunde über Skype, und das ist mir aktuell tatsächlich fast mehr wert als eine Platte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.