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Corona-Lockdown
Wintersport droht langfristiger Schaden

Die Wintersportsaison geht ihrem Ende entgegen. Gerade den Wintersport haben die Corona-Maßnahmen der vergangenen Monate stark eingeschränkt. Darunter leidet unter anderem die Nachwuchsarbeit. Auch Trainer drohen verloren zu gehen.

Von Sabine Lerche | 13.03.2021
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Nur der Spitzensport durfte im Corona-Winter auf die Pisten - Doch gerade für den Breitensport dürfte der Lockdown verheerende Auswirkungen haben (dpa)
Einen Winter lang stehende Lifte, gesperrte Skigebiete und leere Eishallen. Seit November stand der Wintersport in Deutschland still. Nur der Spitzensport durfte auf die Pisten. Der Deutsche Skiverband wählte außerdem 340 Nachwuchsleistungssportlerinnen und Nachwuchsleistungssportler im Alter zwischen zehn und 15 Jahren aus, die trainieren durften. Allein im alpinen Bereich sind es 4000 bis 5000 Kinder unter 16, die auch Wettkampfsport betreiben, aber in diesem Winter nicht in den Schnee durften.
Thomas Braun, Vorstand für Sportentwicklung und Bildung des Deutschen Skiverbands, glaubt, dass dadurch viele Athletinnen und Athleten verloren gehen: "Zum einen in dem Altersbereich von sechs bis zehn Jahren. Wir haben letztes Jahr nur eine halbe Saison gehabt, wir haben dieses Jahr gar keine Saison. Und das ist gerade der Altersbereich, wo die Kinder zum ersten Mal ein Skirennen fahren. Wenn jetzt zwei Jahre die nicht stattfinden, dann werden wir die Kinder nicht für den Skirennsport begeistern können."
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Leistungseinbußen werden befürchtet

Aber nicht nur die Begeisterung könnte verloren gehen. Der Zeitraum, in dem nicht trainiert werden konnte, ist mittlerweile groß. Deshalb wird auch die sportliche Leistung sinken, vermutet Niclas Kullmann, Leiter des Skiinternats in Furtwangen:
"Wenn ich jetzt kein Elternhaus habe, kein Umfeld habe an Onkels oder ein, zwei Freunden, wo die Eltern sehr sportaffin sind, dann komme ich nicht raus. Gerade was jetzt Spezialsportstätten angeht, wie Biathlon oder Skisprung: Wenn ich das nicht betreiben kann, dann lerne ich da nichts dazu, sondern verlerne dann eher wieder mehr mit der Zeit. Die Jahrgänge, die jetzt betroffen sind - eben die Zehn-, Elf-, Zwölfjährigen - die für uns in zwei, drei, vier Jahren interessant werden, die haben schon gerade natürlich eine ziemlich harte Zeit."

Trainer drohen verloren zu gehen

90 Trainingstage im Schnee sollten die Zwölf- bis 13-Jährigen laut Thomas Braun vom DSV haben. In dieser Saison unmöglich. Deshalb sei der alpine Bereich von den Corona-Maßnahmen am meisten betroffen. Denn Loipen für den Skilanglauf sind offen und auch Skispringen lässt sich im Einzeltraining auf Mattenschanzen üben. Braun befürchtet außerdem, dass auch potenzielle Trainerinnen und Trainer verloren gehen:
"Zwölf- bis 20-jährige, die im Skisport wirklich aktiv sind, die aber nicht Richtung Leistungssport gehen, sondern den Skisport als Wettkampfsport betreiben. Da werden wir sicher den ein oder anderen verlieren mit einer engen Bindung an den Verein. Und das sind die künftigen Trainer und Skilehrer. Auch da glauben wir, dass wir ein Loch haben werden in ein paar Jahren, weil auch die Ausbildung komplett steht seit letztem Jahr."

Es kommt kein Nachwuchs mehr nach

Auch im Eishockey findet für den Nachwuchs kein Training mehr statt. Gespielt wird nur in der Profiliga eins und zwei, der semiprofessionellen Oberliga und der Bundesliga der Frauen. Eine Austrittswelle hat es bisher aber noch nicht gegeben. Die Austritte in diesem Corona-Winter sind ähnlich denen in anderen Wintern.
Das Problem sieht Frank Butz, Fachspartenleiter im Eishockey in Bayern, eher darin, dass kein Nachwuchs mehr nachkommen kann: "Was uns natürlich fehlt, ist der Zufluss von außen, weil die Vereine keine Rekrutierungsmaßnahmen durchführen konnten. Uns fehlen auf lange Sicht dann diese Eingangsjahrgänge. Beim Eishockey sagt man, du musst zum Eishockey mit vier, fünf Jahren, besser noch mit drei Jahren. Und die Jahrgänge, die fehlen uns komplett. Und in vier, fünf Jahren wird man diese Auswirkungen für die Gesamtheit der Sportart dann spüren."

Pandemie als Chance zur Verbesserung der Attraktivität

Der Bayerische Eissportverband versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Sogar ein Mentaltrainer ist im Einsatz, um mit den Vereinen gemeinsam die Vereinsarbeit zu verbessern. Für Butz ist die Pandemie nämlich eine Chance, Vereine attraktiver zu machen. Er vermutet, dass nach der Pandemie genauer hinterfragt wird, in welchem Verein das eigene Kind am besten aufgehoben ist. Und genau darauf sollten sich die Vereine laut Butz jetzt schon vorbereiten:
"Da muss man jetzt natürlich schon schauen, dass die Vereine aufpassen, dass sie ihre Mitglieder frühzeitig zurückbekommen. Unter Umständen auch mal was anderes machen, um die bei der Stange zu halten. Sei es einfach mal ein Mannschaftsabend, sei es mal ein Ausflug. Es muss nicht immer alles mit dem Sport verbunden sind. Ich muss meinen Verein gut nach außen verkaufen und ich muss sexy werden."

"Das ist dann der Tod für den Sport"

Der Deutsche Skiverband setzt beim Kampf um die Vereinsmitglieder vor allem auf den Sommer - etwa über Sommerwettkämpfe. Er vermutet, dass es im nächsten Winter einen größeren Andrang in den Skischulen geben wird als sonst. Es werden zwei Jahrgänge kommen. Denn das Interesse am Wintersport sei da: Wer Ski fahren wolle, den treibe es im nächsten Winter nach der langen Pause erst recht auf die Pisten.
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Niclas Kullmann vom Skiinternat Furtwangen sieht das ähnlich, befürchtet aber, dass sich die Interessen durch den Lockdown auch verändern könnten: "Was natürlich passieren kann, ist, dass diese Spezifik in den Wintersportdisziplinen, weil eben Skilifte und eben diese Spezialsportanlagen nicht benutzt werden durften, dass da das Interesse dann fehlt. Und was noch dazukommt: Kinder verbringen wahnsinnig viel Zeit vor Bildschirmen. Dann habe ich natürlich auch kein Verhalten nach draußen zu gehen. Und dass das dann der Tod für den Sport ist, das ist ja klar."

Internatsschülerinnen und Schüler im Vorteil

Bei Kullmann im Internat läuft das Training ganz normal weiter. Zwar fehlten die Wettkämpfe und manchmal drohe ein Lagerkoller, aber insgesamt haben die Internatsschülerinnen und Schüler Glück:
"Wenn man auf die Regularien schaut, dann darf ich nur einen Menschen treffen. Da geht es unseren natürlich viel besser zu dreißigst und können sich in ihren Gruppen untereinander dann treffen und austauschen. Auch trainieren, Sport machen und so weiter. Es ist schon für die Nachwuchsprofisportler keine vergleichbare Situation zu normalen Kindern und Jugendlichen."
Die müssen nun auf stabil niedrige Inzidenzwerte hoffen. Denn dann sind auch Öffnungsschritte denkbar und gemeinsames Training wieder erlaubt. Doch die eigentliche Wintersportsaison ist trotzdem vorbei.