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Humanistischer Hitzkopf und Polemiker

Kurte Hiller war ein aufbrausender Kopf und einer der beachtetsten und einflussreichsten Publizisten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. "Leben gegen die Zeit" nannte er seine Autobiografie und nach diesem Motto hat er auch geschrieben: radikal und aggressiv-polemisch.

Von Christian Linder |
    Was hat Kurt Hiller nicht alles geträumt? Die Welt wollte er "umgestalten nach dem Befehl einer Idee" und eine "Logokratie" begründen, "einen Weltbund des Geistes" auf der Grundlage der Philosophie Platons – einen humanistischen Hitzkopf hat man ihn deshalb genannt. Gleichwohl wirkten Hillers Vorschläge aufgrund seiner Klugheit und seines Formuliertalents immer so interessant und bargen so viel Aufsässigkeit gegen jeglichen Konformismus und so großen politischen Sprengstoff, dass er in den ersten dreißig Jahren des vorigen Jahrhunderts eine der meist beachteten intellektuellen Stimmen Deutschlands wurde, auch wenn er meinte klagen zu müssen:

    "Wäre ich Franzose, dann würde ich in Deutschland sehr bekannt sein. Da ich Deutscher bin, blieb ich beiden Völkern ein Fremder."

    Dass er nur der große polemische Neinsager gewesen sei, dagegen hat Kurt Hiller sich später, rückblickend auf sein Leben, gewehrt:

    "Ich habe nicht nur gegen Leute geschrieben, sondern ich habe in vielen Fällen ohne jede Einschränkung, fast mit Fanatismus, für Leute geschrieben. Ich war zum Beispiel der erste, der in Berlin Alfred Kerr durchgesetzt hat, im Jahr 1911, als er noch als ein Mittelding zwischen Clown und Geisteskrankem galt."

    "Leben gegen die Zeit"« nannte Hiller seine Memoiren. Darin ist nachzulesen, woher dieser aufbrausende Kopf seine Energien holte. Geboren als Fabrikantensohn am 17. August 1885 in Berlin, folgte er nach einem Jurastudium schnell seiner wahren Leidenschaft, dem Schreiben. Als Freund der Expressionisten war er Mitbegründer der Zeitschrift "Aktion", später schrieb er für die "Weltbühne", war zeitweilig, 1918, im Reichstag Vorsitzender des sogenannten politischen Rats geistiger Arbeiter und trat 1920, nach dem Scheitern der Rätebewegung, der Deutschen Friedensgesellschaft bei. Dass der Zweck der Welt ihre Veränderung sei, war Hillers tiefste Gewissheit, und daraus hat er seine Philosophie des Aktivismus entwickelt.

    "Der Aktivismus lag zwar in der Luft, aber in die Helle des Bewusstseins trat der gesellschaftsändernde Trend erst durch den tragischen Wahnsinn des Krieges."

    Es war vor allem die Erfahrung des Ersten Weltkriegs, die Hiller in der Weimarer Republik zu einem unerschrockenen und unbeugsamen Moralisten und Pazifisten werden ließ. Nach Hitlers Machtantritt brach im März 1933 ein SS-Kommando in seine Wohnung ein, kurz darauf verhaftete ihn die Gestapo. Nach schweren Misshandlungen in den Konzentrationslagern Spandau, Brandenburg und Oranienburg kam er überraschenderweise noch einmal frei und flüchtete nach Prag, später nach London. Als er in den frühen 1950er-Jahren zurück nach Deutschland kam und bis zu seinem Tod 1972 in Hamburg wohnte, war sein Blick zurück desillusioniert:

    "Leider nahm während der letzten beiden Generationen die deutsche Geschichte ihren Entwicklungsweg von Seiner Majestät dem Kaiser über seine Mediokrität, dem Reichspräsidenten, und seine Analphabetität, dem zweiten Reichspräsidenten, zu seiner Bestialität, dem Führer. Vier Häupter und kein Kopf."

    Da blitzte noch einmal die ironische Aggressivität auf, zu der Hiller fähig war. Als poetische Ader auch dieser Aggressivität benannte er einmal die Weisheit der Langeweile, denn aus der tödlichen Langeweile der Existenz entstehe der Drang zur Tat. Er forderte das Paradies zu seinen Lebzeiten:

    "Wir wollen, bei lebendigem Leibe, ins Paradies. Das ist utopisch, doch nicht phantastisch. Nämlich das Paradies ist kein Garten Eden, es sieht eher aus wie eine schöne, ganz große Stadt ... mit Industrie, Technik, Börse, Schule, Verkehr, allem. Man trifft im Paradies sogar Zeitungen an: sie sind ebenso unentbehrlich wie die Wasserklosetts."

    Wenn Hillers politische Ideen heute auch ein wenig verwelkt wirken, fasziniert an seinem Werk, zu dem neben den Essays und Pamphleten seiner Publizistik auch Gedichte gehören, nach wie vor der Anspruch, die Klarheit der Vernunft zu preisen und durchzusetzen. Hiller wusste:

    "Vor aller Schöpfung war die Nacht. Weit geheimnisvoller als die Nacht ist also der Sonnentag. Das Licht ist das Wunder, nicht die Finsternis. Die Klarheit der Vernunft ist viel magischer als das mystische Dunkel."