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Corona-Pandemie in Südafrika
Kapstadt und die illegalen Hütten

Covid-19, Corona – in Kapstadt heißen so mittlerweile ganze Siedlungen. Benannt nach den Vokabeln der Pandemie. Mehr als drei Millionen Südafrikaner haben bereits ihre Jobs verloren, viele auch ihr Zuhause. Sie besetzen daher illegal Land - gegen den Willen der Stadtverwaltung.

Von Adrian Kriesch | 12.09.2020
Eine Siedlung mit Wellblechhütten. Sie wurde Covid 19 getauft.
Diese Siedlung aus Wellblechhütten in Kapstadt, Südafrika, wurde Covid-19 getauft. (Deutschlandradio / Adrian Kriesch)
Zoleka Velengceni öffnet die klapprige Tür ihrer kleinen Wellblechhütte. Es ist kalt, Wind zieht durch die dünnen Wände. Der Freund der 38-Jährigen liegt auf dem Bett, neben ihm eine Kerze, die etwas Licht spendet. Denn Fenster hat ihre Hütte keine.
"Das ist doch viel zu klein. Wir haben nur ein Bett, kein Platz für die Kinder. Das Dach ist undicht und ich kann mir die Reparatur nicht leisten. Aber ich bleibe hier."
Verzweiflung der Armen
Zwei Erwachsene und drei Kinder leben in der kleinen Hütte, keine zehn Quadratmeter groß. Noch vor einem Monat haben sie auf der anderen Seite von Khayelitsha gewohnt, dem größten Armenviertel Kapstadts mit mehr als einer Million Einwohnern. Dann konnten sie sich die Miete nicht mehr leisten – und bauten einfach auf einer freien Fläche in der Nähe ihre eigene Hütte. Hunderte andere machten das selbe – und tauften das neue Viertel: Covid-19.
Zoleka Velengceni mit drei Kindern und einer Frau vor einer Wellblechhütte. Ein Topf mit Deckel und ein Eimer mit Zweigen stehen auf dem Boden.
Zwei Erwachsene und drei Kinder leben in einer knapp 10 Quadratmeter kleinen Hütte. (Deutschlandradio / Adrian Kriesch)
"Alles ist wegen Covid passiert: Es gibt keine Jobs mehr, kein Geld, nichts. Darum haben wir den Ort Covid-19 genannt."
Recht und Ordnung in Gefahr
Zekas' Hütte steht in einer Dünenlandschaft – zehn Meter entfernt hat ihre Schwester ihre Bleibe gebaut. Viel sicherer sei es hier als mitten im überfüllten Khayelitsha – einem Hotspot für Kriminalität. Denn noch leben sie hier nicht so dicht gedrängt wie dort. Noch. Denn überall wird gebaut und gehämmert.
Doch das Land gehört nicht ihnen – sondern der Stadt Kapstadt. Jean-Pierre Smith ist Stadtrat für Sicherheitsfragen und sitzt verärgert in seinem Büro im Zentrum der Stadt. Er zeigt auf eine Karte voller roter Punkte. Innerhalb der letzten sechs Wochen gab es mehr als 30 organisierte Massen-Landbesetzungen. Recht und Ordnung seien in Gefahr. Kapstadt habe im letzten Jahr so 300 Hektar Land verloren.
"Die ursprüngliche Nutzung des Landes ist nicht mehr möglich – eine Schule zum Beispiel, oder ein Krankenhaus. Wenn hier ein Stück Land leer steht, dann, weil die Nutzung zum Wohle der Gemeinschaft geplant ist. Bei diesen großen Invasionen in Khayelitsha haben sich auch die Anwohner gewehrt. Das ist kein Kampf von Landbesetzern gegen den Staat oder die Stadt. Es ist ein Kampf von Landbesetzern gegen die Stadt und Anwohner."
Räumung oder Gerichtsbeschluss
Seit Juni hat die Kommune 60.000 Hütten demoliert – teils mit massiver Gewalt. In den sozialen Medien kochte die Empörung hoch, als ein nackter Mann bei einer Räumung von Polizisten aus seiner Hütte gezogen wurde. Ein Gericht hat inzwischen entschieden, dass die Stadt einen Gerichtsbeschluss für Räumungen braucht. Und Besetzern eine alternative Unterkunft anbieten muss. Doch das könne sich die Stadt nicht leisten, sagt Smith: schon jetzt stünden 400.000 Menschen auf einer Warteliste für sozialen Wohnungsbau.
Khayelitsha ist das größte Armenviertel Kapstadts mit mehr als einer Million Einwohnern. Hütten reichen bis zum Horizont.
Khayelitsha ist das größte Armenviertel Kapstadts mit mehr als einer Million Einwohnern. (Deutschlandradio / Adrian Kriesch)
"Die Warteliste wird nicht kürzer, weil sich so ständig Leute vordrängeln. Stell dir vor du stehst in einer Schlange vor einer Bank oder im Kino und du kommst nie voran, weil sich ständig Leute vordrängeln. Natürlich wird man dann wütend."
Ausnahmezustand in Südafrika
Einige Parteien, sagt Smith, unterstützen die Besetzer, um die lokale Regierung vor den Lokalwahlen, die im nächsten Jahr stattfinden, zu destabilisieren. Auch das Armuts-Argument der Landbesetzer will die Stadt nicht durchgehen lassen: viele können ihre Mieten nicht zahlen, weil sie wegen den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie ihren Job verloren haben. Doch Smith sagt: In Südafrika gibt es noch immer einen Lockdown und Ausnahmezustand – Vermieter dürfen Mieter nicht auf die Straße setzen.
Die Realität sehe anderes aus, sagen Zoleka Velengceni und ihre Nachbarn in der Siedlung Covid-19, sie wurden von ihren Vermietern vor die Tür gesetzt. Zoleka ist tief enttäuscht von ihrer Regierung.
"Die Regierung sollte sich doch um unsere Bedürfnisse kümmern. Wir brauchen Toiletten, Wasser, Strom. Das muss die Regierung stellen. Das ist unser Recht, wenn wir schon so leben müssen. Wenn wir auf Toilette gehen, machen wir in einen Eimer, bringen es dort hinter und vergraben es. Ins Gebüsch dort kann man schon nicht mehr gehen, da bauen schon andere ihre Hütten."
Zoleka ist überzeugt, dass sie auch zukünftig hier leben wird – und deutet auf ein parkendes Polizeiauto am Straßenrand, in dem sich ein Polizist offenkundig langweilt. Denn ein Gerichtsbeschluss für Räumungen dauert bis zu anderthalb Jahre.