Archiv

Corona-Pandemie
"Schutzschirm für Bildung und Betreuung aufspannen"

Die Länder seien auf alle Szenarien der Corona-Pandemie gut vorbereitet gewesen, sagte Oliver Kaczmarek, bildungspolitischer Sprecher der SPD, im Dlf. Der Föderalismus müsse seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen - und sichern, dass Unterricht stattfinden und Abschlüsse gemacht werden könnten.

Oliver Kaczmarek im Gespräch mit Peter Sawicki |
Stühle stehen in einem leeren Klassenzimmer im Carolus-Magnus-Gymnasium auf den Tischen.
Deutschlandweit werden wegen des Coronavirus Schulen geschlossen (picture alliance / dpa / Jonas Güttler)
Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, werden zahlreiche Schulen und Kitas geschlossen. Die Regelungen dazu fallen allerdings von Bundesland zu Bundesland durchaus unterschiedlich aus. Für viele Eltern stellen sich nun viele praktische Herausforderungen, und vielerorts ist auch noch unklar, ob weiter Prüfungsleistungen abgelegt werden können. Über die Herausforderungen für das Bildungssystem haben wir mit Oliver Kaczmarek gesprochen. Er ist bildungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag.
Wie gefährlich ist das neue Coronavirus? Die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt trotz Gegenmaßnahmen vieler Regierungen weiter – auch in Deutschland. Mehrere Bundesländer schließen ab der kommenden Woche Schulen und Kindertagesstätten.
Peter Sawicki: Schauen wir mal zunächst auf die politische Ebene: Die Politik, die hat ja betont, wie wichtig es ist, konsequent und einheitlich Maßnahmen zu ergreifen. Warum wird sie diesem Anspruch nicht gerecht?
Oliver Kaczmarek: Na ja, wir haben natürlich gerade bei Bildung und Betreuung die föderale Ordnung zu beachten, und wir müssen auch sehen, dass die Umstände in den Ländern ja doch sehr unterschiedlich sind. Das Saarland hat ja unter anderem deshalb sehr schnell reagiert, weil es direkt an eine französische Krisenregion grenzt, und die Südländer sind näher an Südtirol dran. Insofern sind da auch schon regionale Besonderheiten. Insgesamt muss ich aber sagen, dass ich finde, dass die Kultusministerkonferenz doch recht schnell sich auf Grundlagen verständigt hat, wie sie zum Beispiel mit Abschlüssen umgehen will und so weiter. Ja, wir müssen sehen. Ich glaube, wenn wir in den nächsten Tagen draufgucken, dann werden wir vielleicht feststellen, die haben gar nicht so falsch gehandelt.
"Alle Länder waren auf alle Szenarien vorbereitet"
Sawicki: Aber lange hieß es ja zunächst auch von der Bildungsministerin übrigens, auch in den Bundesländern zum Teil, Schulschließungen sind nicht nötig, und dann haben sich die Meinungen geändert, und das wurde dann eben trotzdem auch erst nacheinander und auch nach einer Art Schwarzer-Peter-Spiel dann umgesetzt. Wieso schafft man es zumindest dann nicht rhetorisch, eine einheitliche Linie an den Tag zu legen?
Ein Schild mit einem durchgestrichenen Schriftzug "Schule"
Kommentar - Förderalismus als Hindernis Das Coronavirus hat eine globale Krise unvergleichlichen Ausmaßes ausgelöst, kommentiert Silke Hellwig. Die Bundesregierung sucht nun einen Weg zwischen Vorsorge und Beruhigung. Doch das uneinheitliche Vorgehen von Bund und Ländern löst Verwirrung und Verunsicherung in der Bevölkerung aus.
Kaczmarek: Ich glaube, da war auch noch viel Unsicherheit dabei, weil die Schulschließung, die kann ja am Ende auch nur in Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden durchgeführt werden, weil die müssen das beurteilen. Ehrlich gesagt, die Kultusminister und auch die Bildungsministerin des Bundes können das ja von der medizinischen Notwendigkeit her nicht organisieren.
Trotzdem glaube ich, ja, ich habe am Mittwoch noch an den Vorbesprechungen auf der SPD-Seite zur Kultusministerkonferenz teilgenommen, alle Länder hatten sich schon auf alle Szenarien eingestellt, und am Ende gab es am Donnerstag und am Freitag ja dann auch schnell die Entscheidungen. Vielleicht muss man im Nachhinein überprüfen, wo man noch schneller reagieren kann, aber alle Länder waren auch auf alle Szenarien vorbereitet, auch wenn das vielleicht in der öffentlichen Darstellung nicht ganz rübergekommen ist.
Oliver Kaczmarek (SPD) spricht im Deutschen Bundestag.
Oliver Kaczmarek ist bildungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag (dpa)
Sawicki: Stichwort schneller reagieren: Da gibt es ja Kritik am föderalen System. Jetzt im Hinblick auf medizinische Notstände, medizinische Ausnahmesituationen und die Handlungsunfähigkeit des Bundes, muss man in der Hinsicht sagen wir Sachen neu justieren?
Kaczmarek: Wir wünschen uns ja gerade bei der Bildungspolitik insgesamt sowieso eine viel engere Zusammenarbeit von Bund und Ländern und haben ja auch einen Vorschlag gemacht mit dem nationalen Bildungsrat, der sich eher auf perspektivische Entwicklungen im Bildungssystem bezieht. Das haben insbesondere die CDU- und die Grünen-geführten Länder so nicht gewollt, aber diese Situation, die wir jetzt haben, und das, was in den nächsten Tagen und Wochen noch folgt, das zeigt ja, dass wir eine engere Abstimmung zwischen Bund und Ländern brauchen. Ich glaube nach wie vor, dass der Föderalismus im Prinzip die richtige Antwort auf die Zentralstaaten und die Erfahrung, die Deutschland mit Zentralstaaten gemacht hat, ist, aber er muss auch seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Das wird sich nicht nur mit den Entscheidungen zu Schulschließungen zeigen, sondern vor allen Dingen mit den Dingen, die jetzt danach noch kommen. Wir müssen ja eigentlich, wenn wir einen Schutzschirm aufgebaut haben für die Wirtschaft und die Arbeitswelt, jetzt auch ganz schnell ein Schutzschirm für Bildung und Betreuung aufspannen.
Betreuungsangebote für Millionen Schüler aufbauen
Sawicki: Schauen wir mal weiter auf die praktischen Auswirkungen des Ganzen. Das, was jetzt immer noch unterschiedlich, in unterschiedlichem Ausmaß beschlossen worden ist, wie bewerten Sie jetzt die kommenden Wochen mit Blick auf die Schulschließungen und die Schließung von Kitas?
Kaczmarek: Ich glaube, wir müssen ja jetzt sehen, wie wir die Betreuung sicherstellen. Wir reden, wenn wir flächendeckend Schulen schließen, über elf Millionen Schülerinnen und Schüler unter 14 Jahren, deren Eltern sind ein Viertel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das heißt, wir werden ja jetzt – und einige Bundesländer haben sich auf den Weg gemacht – zunächst für die besonderen Berufsgruppen im Medizinbereich auch besondere Betreuungsangebote aufbauen. Vielleicht kann man jetzt mal ein, zwei Wochen improvisieren, aber wir müssen natürlich, wenn die Krise weiter anhält, auch dann schrittweise dazu kommen, weitere Betreuungsangebote für weitere Berufsgruppen auch bereitzustellen, und das kann auch eine Aufgabe für Bund und Land sein. Das ist die Betreuungsseite, und auf der Bildungsseite haben wir natürlich auch vieles zu tun. Wir müssen sehen, dass Schülerinnen und Schüler auch unterrichtet werden können in dieser Zeit, dass wir digitale Wege nutzen und dass die Abschlüsse gemacht werden können und dass sie vor allen Dingen am Ende auch gegenseitig anerkannt werden.
Sawicki: Darauf können wir gleich noch mal zu sprechen kommen, aber beim Betreuungsangebot sagen Sie jetzt ehrlich, man müsse jetzt ein bisschen improvisieren in den kommenden Wochen. Glauben Sie, dass das für Sicherheit sorgt?
Kaczmarek: Das weiß ich nicht. Ich nehme in meinem eigenen Umfeld – und ich muss ja als Vater auch mich um Betreuungsfragen kümmern –, ich nehme in meinem eigenen Umfeld wahr, dass die Leute das jetzt versuchen irgendwie zu organisieren. Die meisten kriegen das auch für eine begrenzte Zeit hin, aber es ist halt schwierig, wenn gerade Großeltern ansonsten in die Betreuung einsteigen müssen als Risikogruppen. Und es ist natürlich so, dass wir auch Alleinerziehende und andere haben, die das gar nicht so ohne weiteres organisieren können. Deshalb, Notgruppenbetreuung muss sichergestellt werden, es müssen auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber aufgefordert werden, mitzuhelfen, Räume zu schaffen, wo Kinder auch mit zur Arbeit genommen werden können, Homeoffice-Regelungen großzügig ausgelegt werden. Das kann man jetzt für eine gewisse Zeit machen, aber auch nicht dauerhaft.
Sawicki: Aufgefordert, das heißt nur rhetorisch, oder gibt es da konkrete Maßnahmen, die man ergreifen kann, um solche Betreuungsmöglichkeiten beim Arbeitgeber zu schaffen?
Kaczmarek: Im Moment gibt es da nur eine Aufforderung, für den Bundestag kann ich sagen, dass wir das jetzt in der nächsten Woche schon praktizieren werden mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Vielleicht ist es auch notwendig, um eine gewisse Vorbildfunktion aufrechtzuerhalten, dass wir eben auch Homeoffice ermöglichen. Ja, im Moment sind wir da bei Appellen, aber die Krisenstäbe tagen ja regelmäßig in den Ländern und im Bund, und ich glaube, dass man dann, wenn man Lösungen auch mit den Sozialpartnern entwickelt hat, das auch etwas verbindlicher machen sollte.
Sawicki: Die Frage ist dann natürlich auch, wie lange die Parlamente ja noch selbst funktionsfähig bleiben mit Blick auf das Virus.
Kaczmarek: Ja, klar, aber wir müssen jetzt erst mal davon ausgehen, dass wir weiter tagen müssen, auch reagieren müssen. Wir haben ja im Bundestag jetzt mit dem Schutzschirm, insbesondere mit dem Kurzarbeitergeld, auch reagiert und kurzfristig fraktionsübergreifend es möglich gemacht, die Kurzarbeiterregelung anzupassen. Ob das in der nächsten Woche – in der nächsten Woche sind sowieso keine Sitzungen im Bundestag –, aber ob das in der übernächsten Woche auch notwendig ist, das werden wir sehen. Im Moment gehen wir davon aus, dass wir den Parlamentsbetrieb auch aufrechterhalten müssen, um auf die Krise reagieren zu können.
Schülerinnen und Schüler sollen keine Nachteile haben
Sawicki: Dann schauen wir noch auf den anderen Punkt, den Sie auch angesprochen haben, die Prüfungen, mit Blick vor allem auf die Abiturienten, die ja dann wahrscheinlich verschoben werden müssen – zumindest ist es ja zum Teil schon angekündigt. Wie können faire Bedingungen jetzt in der Situation bei Prüfungen gewährleistet werden?
Kaczmarek: Ja, indem Vergleichbarkeit hergestellt wird zwischen den Ländern, dass wir die Möglichkeit eröffnen, die Abschlüsse gegenseitig anzuerkennen. Das haben die Kultusministerinnen und Kultusminister auch vereinbart, das finde ich einen ganz, ganz wichtigen Schritt. Aber die Frage ist auch, wie kommen die Leute eigentlich bis zur Abiturprüfung und im Übrigen auch zur zentralen Abschlussprüfung, die ja auch viele Länder nach der zehnten Klasse machen.
Sawicki: Also die Terminfrage.
Kaczmarek: Terminfrage, aber auch die Vorbereitungsfrage, also wie können sich Schülerinnen und Schüler eigentlich darauf vorbereiten. Da gibt es ja jetzt bei denen auch große Unsicherheit, und ich sag mal, vom Schulabschluss hängt für Schülerinnen und Schüler eine Menge ab, deswegen dürfen da auch keine Nachteile für die entstehen. Deswegen haben wir gesagt, wir müssen jetzt auch improvisieren und gucken, ob wir digitale Lernangebote, die es gibt, die noch nicht staatlich zertifiziert sind, aber die man sich in den nächsten Stunden und Tagen angucken kann, ob die auch eine Ergänzung sein können, um sich auf Prüfungen in den nächsten Tagen und Wochen vorbereiten zu können.
Noch keine Lösungen für alle Detailfragen
Sawicki: Das alles wirft ja dann trotzdem vielleicht auch die Frage auf, ob das alles jetzt in dem Sinne durchdacht war und ob es sinnvoll war, jetzt zu dem Zeitpunkt – wenn Sie sagen, es muss viel improvisiert werden –, zum jetzigen Zeitpunkt die Schulschließungen durchzuführen, denn es gibt ja auch Infektiologen, Mediziner, die sagen, bei Schulschließungen müsse man auf den richtigen Zeitpunkt warten.
Kaczmarek: Ja, da sind wir ja auch bei dem Dilemma. Wir haben Forscherinnen und Forscher, die sagen, man hätte schon viel früher schließen müssen, ich hab aber auch gestern Forscher gehört, die uns gesagt haben, Mitte nächster Woche hätte auch gereicht. Nordrhein-Westfalen hält ja auch für zwei Tage die Schulen beispielsweise noch offen, andere Länder auch. Da sind wir in einem gewissen Dilemma. Wie gesagt, mein Eindruck war der, dass die Länder sich auf alle Szenarien vorbereitet haben, aber wir noch nicht Lösungen für alle Detailfragen haben. Am Ende war es natürlich auch ein großer öffentlicher Druck, dass da jetzt Entscheidungen auch in Richtung Schulschließungen stattfinden müssen. Umso wichtiger ist es, glaube ich, dass man den Eindruck nicht nur erweckt, sondern auch tatsächlich konsequent entscheidet, aber auch umsichtig ist. Und das muss jetzt für die nächsten Schritte noch deutlicher werden.
Sawicki: Sind Schulschließungen jetzt auch über die Osterferien, über April hinaus denkbar?
Kaczmarek: Ich denke, dass wir das jetzt erleben werden, dass bis zu den Osterferien die Schulen geschlossen bleiben werden, und dann haben wir die Osterferien, und dann haben wir vier, teilweise fünf Wochen bis dahin. Was bis dahin ist, wie sich die Ausbreitung des Virus darstellt, das kann ich ehrlich gesagt nicht abschätzen, und ich glaube, das müssen auch die Behörden vor Ort dann sehen, wie sich das darstellt. Da mag ich noch keine Prognose abgeben, was in vier Wochen ist. Vor vier Wochen hätte ich auch nicht gedacht, dass wir in so einer Lage sind, wie wir sie heute haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.