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Corona und Insolvenzen
Die Pleite als Befreiungsschlag

In einigen Fußballklubs wird darüber nachgedacht, ob eine geplante Insolvenz als strategisches Instrument taugt, um Altlasten los zu werden. Aber so unverfänglich, wie mancher Funktionär glauben mag, ist dieser Weg auch in Corona-Zeiten nicht.

Von Daniel Theweleit | 11.04.2020
Fußball: 2. Bundesliga, Karlsruher SC - 1. FC Kaiserslautern, 31. Spieltag am 29.04.2017 im Wildparkstadion, Karlsruhe (Baden-Württemberg). Die Karlsruher Mannschaft sitzt nach der 1:3 Niederlage auf der Auswechselbank.
Kein Klub aus den ersten beiden Ligen liebäugelt derart offensiv mit einer Planinsolvenz, die im Profifußball eigentlich ein Indiz für schwere Managementfehler ist. (dpa /Uli Deck)
Die Zuversicht von Michael Becker, dem Geschäftsführer des Karlsruher SC, würde in normalen Zeiten verstörend wirken. In dieser Woche kokettierte Becker mit der Option einer geplanten Insolvenz für seinen Klub. Als "charmant" soll er diese Lösung laut verschiedener Medienberichte bezeichnet haben. Dabei kommt eine Insolvenz üblicherweise einem Untergang gleich. Doch Becker erklärte in dieser Woche optimistisch: "Das kann ein mögliches Szenario sein, das wir uns angeschaut haben. Das Planinsolvenzverfahren ist ja eine Sanierungsmaßnahme, da geht es nicht darum, dass der Verein oder die KGaA abgewickelt wird, und hier niemand mehr spielt. Sondern das Ziel ist, den Verein zu restrukturieren und dann eben gestärkt in die Zukunft zu gehen."
Angeblich ist der KSC mit 17 Millionen Euro verschuldet, nun drohen aufgrund von Einnahmeausfällen akute Probleme. Wie an vielen anderen Standorten auch. Doch kein Klub aus den ersten beiden Ligen liebäugelt derart offensiv mit einer Planinsolvenz, die im professionellen Fußball eigentlich ein Indiz für schwere Managementfehler ist. Das ist in der aktuellen Situation anders. Sogar die Regeln wurden entsprechend geändert. Bisher wurden Vereine in den ersten drei Ligen nach einem Insolvenzantrag mit einem Abzug von neun Punkten sanktioniert. Diese Art von Strafe wird es in dieser Spielzeit nicht geben – das wurde jetzt beschlossen.
"Insolvenz hat aktuell sehr wenige Auswirkungen"
Auch Zwangsabstiege, die in einigen tieferen Spielklassen für Insolvenzfälle vorgesehen sind, muss derzeit niemand fürchten. Soweit die sportlichen Regeln. Der Gesetzgeber hat zudem die Pflicht ausgesetzt, eine Insolvenz umgehend anzumelden, wenn entsprechende Probleme im Raum stehen. Diese beiden Veränderungen führen laut dem Ökonomen Daniel Weimar von der Universität Duisburg-Essen dazu, "dass die Insolvenz aktuell sehr, sehr wenige Auswirkungen hat und auch der Zeitpunkt der Insolvenz aktuell scheinbar selbst bestimmt werden kann. Das ist eigentlich nicht im Sinne des Gesetzes, das Insolvenzrecht ist kein Wahlrecht.
Bei den Fußballunternehmen wird jetzt überlegt, ob man, wie man, wann man das macht. Das ist alles nicht im Sinne des Gesetzes. Plötzlich lassen sich Insolvenzen als strategisches Instrument verwenden. Denn ganz grundsätzlich bietet dieser Weg "die Möglichkeit einer zweiten Chance. Das heißt, ohne Verbindlichkeiten aus der Zeit vor der Insolvenz einen Neustart beginnen zu können, das ist der große Vorteil eines Insolvenzverfahrens." sagt der Jurist Christoph Niering, der Alemannia Aachen, die Sportfreunde Siegen und Fortuna Köln als Verwalter durch Insolvenzen führte.
Insolvenz als Strategie?
Es klingt einfach: Man meldet die Insolvenz an, ist seine Schulden los und kann unter besseren Voraussetzungen neu beginnen. Und im Fußball sind die Zukunftsperspektiven insolventer Unternehmen auch noch erheblich günstiger als in anderen Branchen, sagt Daniel Weimar. Der Forscher hat 124 Insolvenzverfahren untersucht und festgestellt: Zwar schaffe es kaum ein Klub nach einer Insolvenz, in eine höhere Liga zu wechseln, "es gibt aber ausreichend Beispiele, die es zumindest wieder in dieselbe Liga geschafft haben, also den aktuellen Status gehalten haben oder eine Liga darunter spielen. Und von bis heute 124 Insolvenzverfahren, die wir identifiziert haben, wurden nur elf Klubs komplett liquidiert."
Eine Möglichkeit für verschuldete Vereine?
Auf den ersten Blick klingt das, als könnte diese Option auch für hoch verschuldete Bundesligavereine, wie zum Beispiel den FC Schalke 04, interessant werden. Doch diese Annahme ist falsch, erklärt der erfahrene Insolvenzverwalter Christoph Niering, der sagt, "dass die Insolvenz immer nur die zweitbeste Möglichkeit ist. Wenn es Chancen gibt, die Sanierung ohne Insolvenzverfahren umzusetzen, dann ist das der beste Weg. Denn im Insolvenzverfahren bestehen eine Menge an Risiken, was den Lizenzspielerkader angeht, denn es gibt eine klare gesetzliche Regelung in der Insolvenzordnung, die dem Spieler das Recht gibt, wie jedem anderen Arbeitnehmer auch wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, innerhalb von drei Monaten zum Monatsende seinen Arbeitsvertrag zu kündigen. Auch, wenn dieser Vertrag vielleicht noch über einige Jahre Gültigkeit hat."
Diese Vorschrift macht Insolvenzen für höherklassige Klubs zu einem Schreckensszenario: Die begehrten Stars, die auf dem Transfermarkt oft für zweistellige Millionenbeträge erworben wurden, hätten die Möglichkeit einfach den Klub zu wechseln. Das gleiche gilt für junge, selbst ausgebildete Talente, deren Verkauf für Klubs wie Mainz oder Freiburg zu einem wichtigen Geschäftszweig wurde.
Nutzt Kaiserslautern die Gelegenheit?
Aber nicht nur deshalb sagt Tobias Leege, der die Geschäfte des Drittligavereins FSV Zwickau führt: "Einfach mal so eine Insolvenzeröffnung, das hört sich so einfach an. Aber damit sind erhebliche Probleme und auch Nachteile verbunden. Man ist nicht mehr Herr im eigenen Unternehmen, da ist ein Insolvenzverwalter da. Es gibt die Schwierigkeiten, dass sich Leistungsträger vom Unternehmen lösen können, es gibt weitere Schwierigkeiten, die durch das Korsett der Insolvenzordnung über das Unternehmen gestülpt werden, und insofern ist dann dort auch ein enger Bereich dort zu agieren."
Dennoch ist es gerade im unterklassigen Bereich, denkbar, dass Klubs die Gelegenheit der Corona-Krise für eine Planinsolvenz nutzen, um Altlasten loszuwerden. Immer wieder wird der 1. FC Kaiserslautern als Kandidat für so einen Weg genannt. Denn in der dritten Liga stecken meist keine großen Werte in den Kadern. Und derzeit dürfte sich auch noch die Empörung von Fans und Medien in Grenzen halten, mit der Insolvenzen sonst begleitet werden. Die Hauptschuld trägt ja das Virus. Leege fürchtet daher, dass "eine Ungleichbehandlung stattfindet, zwischen den Unternehmen, die alleine Corona-bedingt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind und denjenigen, die schon vorher einen Schuldenberg mit sich getragen haben." So kurios sich das anhört, im Fußball könnte es tatsächlich Profiteure der Corona-Krise geben.