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Corsogespräch
Arrogante Kinderstars, psychisch verkorkste Altstars

In "Maps to the Stars" nimmt Regisseur David Cronenberg die schrille Welt der Hollywood Stars auf die Schippe. Mit John Cusack hat er sich einen Darsteller ausgesucht, der schon mit 17 Jahren in einem Hollywoodfilm mitspielte. Im Corsogespräch lässt Cusack durchblicken, wie er selbst über den Hollywood-Zirkus denkt.

12.09.2014
    Der Schauspieler John Cusack
    Der Schauspieler John Cusack (AFP / Loic Venance)
    John Cusack gehört zu den interessanten Schauspielern in Hollywood, weil er meist künstlerisch ambitionierte Projekte wählt, - Bullets Over Broadway (Woody Allen), Der Schmale Grat (Terrence Malick), Being John Malkovich (Spike Jonze), High Fidelity (Stephen Frears nach Nick Hornby)... sich aber nicht scheut, auch mal den Mainstream zu bedienen in Das Urteil nach John Grisham, oder in Weltuntergangs-Blockbustern wie Con Air und 2012. Privat hält er sich fern von L.A. und hat so seine eigene Sicht auf die Dinge dort.
    Deshalb passt der neue Film des Kanadiers David Cronenberg gut zu ihm, da geht es nämlich um die kranke Seite der Traumfabrik und ihrer Bewohner, um arrogante Kinderstars, psychisch verkorkste Altstars und Psychogurus, die für viel Geld ihre Hilfe anbieten. So einen spielt John Cusack. In "Maps to the stars" hilft er einer alternden Hollywooddiva (Julianne Moore) mit obskuren Methoden dabei, ihr Muttertrauma zu überwinden (s.u.). Er hat genug eigene Erfahrungen, war selbst Kinderdarsteller, hat schon mit 12 Theater gespielt und Werbespots gedreht, mit 17 seinen ersten Hollywoodfilm, die Highschoolkomödie "Class". Seine Schwester Joan Cusack ist ebenfalls eine bekannte US-Schauspielerin.

    Das Interview in voller Länge:
    Sigrid Fischer: Sie spielen in "Maps to the stars" eine Art Psychoguru. Gibt es ein reales Vorbild für die Rolle?
    John Cusack: Nein, aber es gibt viele solcher Selbsthilfegurus, Lebenstrainer und Populärpsychologen in Kalifornien. Also die Rolle ist ein Mix aus all diesen Leuten.
    Fischer: Könnte es sein, dass das, was wir im Film sehen, weit weniger surreal ist als der Zuschauer glauben mag?
    Cusack: Na ja, ich denke das Absurde und die Satire spiegeln schon immer die Realität, wenn sie sie auch überhöhen, aber ich habe in L.A. die Originale der Typen im Film gesehen. Ich habe sie persönlich kennengelernt, die Benjis, Havannas und Staffords. Ich würde schon sagen, dass es so extrem ist.
    Fischer: Wirklich?
    Cusack: Yeah. I'm sorry.
    Fischer: Leben Sie deshalb lieber in Chicago?
    Cusack: Yeah.
    "Man versucht immer sein Bestes"
    Fischer: Mögen Sie dennoch etwas an Ihrer Rolle dieses Lifecoaches?
    Cusack: Man kann sehen, wie Menschen sich auf eine bestimmte Art selbst konstruieren. Wie ein Produktmanager, und Schauspieler tun auch oft so, als ob sie ein Produktmanager wären, der für ein Franchise, eine Marke verantwortlich ist. Aber wenn man einen guten Film dreht, ist es genau das Gegenteil. Dann hängt man sich voll rein und macht sich verletzlich, man schützt nicht die Marke. Wenn sie behaupten, sie schützen das Produkt, meinen sie eigentlich, sie sichern den finanziellen Gewinn. So möchte man als Künstler natürlich nicht denken. Aber es ist üblich.
    Fischer: John Cusack, ist es schwer für Sie, Ihre künstlerische Integrität zu behalten in so einem geldregierten Business?
    Cusack: Yes.
    Fischer: Wie kommen Sie damit klar?
    Cusack: You fail.
    Fischer: Sie haben das Gefühl zu scheitern? Was meinen Sie damit?
    Cusack: Nein, man versucht natürlich immer sein Bestes. Aber wenn ein Film immer nur nach seinem Kassenerfolg beurteilt wird, wenn das das einzige Kriterium ist für Erfolg, dann ist das schon hart. Dann muss man diesem Herrn dienen. Viele Leute tun dann zwar so, als wollten sie - ach, es ist kompliziert, aber so schlimm auch wieder nicht.
    "Stabilität gibt es in dem Beruf nicht"
    Fischer: Aber manchmal spielen Sie das Spiel ja auch mit: im Jerry Bruckheimer-Spektakel "Con Air" zum Beispiel oder in "2012" von Roland Emmerich.
    Cusack: Es kommt immer auf die Leute an, die dabei sind. "Con Air" ist lange her, damals wollte ich mal einen erfolgreicheren Film drehen, damit ich mir die anderen Filme leisten kann. So was ist natürlich auch verlockend, man verdient viel Geld und sie sagen dir, das ist ein großer Kassenhit und danach wird alles anders für dich. Ich dachte damals: Ist doch okay, vielleicht haben die Leute Spaß dran, ich kriege Titelseiten, viele andere gute Schauspieler machen mit und wir verkaufen uns hier alle gleichzeitig. Ist doch cool. Als ich Jahre später mit Herrn Emmerich gedreht habe, war das was anderes. Er ist ein echter Gentleman und richtig gut in dem, was er tut. Das war eine gute Erfahrung.
    Fischer: Die Hollywooddiva im Film, die Julianne Moore spielt, ist sehr unsicher, sie hat Angst, nicht mehr engagiert zu werden - kennen Sie das Gefühl auch, John Cusack?
    Cusack: Nein, das nicht, aber das heißt nicht, dass man nicht Angst hat, dass es vorbei sein könnte. Ich wäre in dem Fall auch nicht total aufgeschmissen. Aber wenn man etwas lange macht und dann plötzlich nicht mehr, wäre das schwierig, man weiß nicht, wie das sein wird. Es gibt einem ja eine Struktur im Leben. Man kann sich immer über irgendwas aufregen oder für etwas begeistern. Es gibt immer mal Zeiten, wo ich keine Arbeit habe. Stabilität gibt es nicht in dem Beruf, außer man hat eine Fernsehshow, die sieben Jahre läuft. Ich habe immer einen einzelnen Job, und der ist sehr intensiv, du wirst über Wochen permanent gebraucht, und dann ist auf einmal Schluss. Totale Stille, und Du denkst: Was geht denn hier ab? Also, das ist schon eine ziemlich intensive Angelegenheit.
    Fischer: Seit der Finanzkrise scheint ja generell viel Angst zu herrschen in Hollywood, man riskiert nichts mehr, setzt vor allem auf Spektakelfilme - können Sie den Eindruck bestätigen?
    Cusack: Ja, klar, es hat nie mehr Angst geherrscht als jetzt. Ich habe John Malkovich in Puerto Rico getroffen, und wir haben darüber geredet und waren uns einig: Das Filmgeschäft, in dem wir noch vor zehn Jahren gearbeitet haben, gibt es nicht mehr. Nichts mehr von da. Es gibt "The Avengers", Supermänner und Batmänner, aber es gibt keine 10-, 15-, 20-Millionen-Dollar- Filme für Erwachsene mehr, die was riskieren. Die zu machen ist immer schwerer. Der Raum, der dafür mal da war, ist zum Kabelfernsehen gewandert. Sie drehen jetzt Serien. Und als Schauspieler fragt man sich schon, ob die Drehbücher da nicht viel besser sind. Aber will man sich so lange an ein Projekt binden? Ich denke drüber nach, es könnte interessant sein.
    "L.A. ist wie ein Grenzort für einsame Verrückte"
    Fischer: Sie leben in Chicago wie gesagt, nicht in L.A., wo Sie oft arbeiten. L.A. kommt einem von außen immer etwas künstlich vor, unwirklich vielleicht, wie eine Kulisse. Wie würden Sie L.A. beschreiben, von Chicago aus geschaut?
    Cusack: Joan Didion hat mal über das L.A. der 50er-/60er-Jahre geschrieben: An dem Ort herrscht eine tschechowsche Verlorenheit, ein Schwebezustand und ein Hauch von Bedrohung, weil einen da das Gefühl beschleicht, dass man es hier schaffen muss, weil der Kontinent da ja zu Ende ist. Also sie meint: Du konntest nirgendwo sonst im Establishment überleben, bist an die Küste gegangen, und wenn Du es da nicht schaffst, bleibt nur noch Alaska. L.A. ist wie ein Grenzort, der sehr anziehend ist für entfesselte Energien, für einsame Verrückte, für Jahrmarktschreier. Kein Wunder, dass der Film noir dort entstanden ist.
    Fischer: John Cusack, Sie schreiben manchmal für die Huffington Post, worüber und was bezwecken Sie damit?
    Cusack: Ich habe auch für andere Magazine geschrieben, in Zusammenarbeit mit FPF, der Freedom of the Press Foundation, der Stiftung zur Stärkung von Presse- und Meinungsfreiheit, habe ich auch für den Guardian geschrieben. FPF hilft Journalisten, die von der Regierung angegriffen werden. Uns geht es um den Schutz von Whistleblowern und darum, die entsprechenden Zusatzartikel zur US-Verfassung wieder herzustellen - Pressefreiheit und Schutz vor willkürlicher Durchsuchung, Festnahme und Beschlagnahmung. Denn wenn Journalisten nicht mehr schreiben können, ohne verfolgt zu werden, gibt es keine Aussicht auf gesellschaftlichen Wandel. Weil niemand mehr informiert ist. Deshalb muss man den investigativen Journalismus unbedingt schützen.
    Fischer: Das heißt also, Sie sagen, die US-Presse ist nicht frei?
    Cusack: Das ist alles relativ. Aber zur Zeit wird sie angegriffen wie nie zuvor in der Geschichte. Unter keiner Regierung wurden mehr Whistleblower und Journalisten drangsaliert und bedroht als unter dieser, und jetzt regieren immerhin die Demokraten. Es sind diese harten Maßnahmen nach 9/11. Sie drohen Reportern mit Gefängnis wie James Risen von der "Times", er wollte seine Quellen nicht preisgeben und stand vor Gericht. Auf der FPF-Webseite finden Sie viel bessere Informationen, als ich Ihnen hier geben kann. Glenn Greenwald, Edward Snowden, Daniel Ellsberg sind auch dabei, das ist eine interessante Gruppe. So versuche ich etwas zu tun, an das ich glaube.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Zum Film:
    Der ganz normale Hollywood-Wahnsinn: Kinderstar Benjie (Evan Bird) kann mit seinen dreizehn Jahren schon auf eine Drogenkarriere zurückblicken. Seine Schwester Agatha (Mia Wasikowska) hat vor Jahren das Haus der Familie in Brand gesteckt. Frisch aus der Psychiatrie entlassen, stürzt sie sich in eine Affäre mit dem Chauffeur Jerome (Robert Pattinson) und sucht Benjie's Nähe, sehr zum Missfallen ihres Vaters Stafford (John Cusack). Der Guru arbeitet gerade an seinem neuen Buch. Nebenbei behandelt er die alternde Schauspielerin Havana (Julianne Moore), die vom Geist ihrer Mutter verfolgt wird, seit sie in einem Remake unbedingt die Rolle spielen will, die ihre Mutter einst berühmt machte.
    David Cronenbergs MAPS TO THE STARS ist eine Gratwanderung zwischen bissiger Satire und emotionalem Psychothriller. Böse und entlarvend.
    MAPS TO THE STARS lief im offiziellen Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes 2014. Julianne Moore wurde auf dem Festival als Beste Schauspielerin ausgezeichnet.