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Cottbus: Weltoffen oder fremdenfeindlich?

Elf Promovenden, vier Kontinente: Die Studierenden- schaft am "UNESCO-Lehrstuhl für Welterbestudien" in Cottbus ist international. Ihre Herkunft macht die Studenten im Stadtbild zu Exoten, nicht selten ohne Folgen. In provinziellen Köpfen ist die Welt leider oft weniger bunt.

Von Axel Flemming | 15.02.2011
    Frankreich, Deutschland, Kenia, Kolumbien, Peru, Ukraine, Italien, Ägypten und Indien - elf Promovierende aus neun Ländern studieren derzeit am "Lehrstuhl für Interkulturalität" das Weltkultur- und -naturerbe. Weiße Haut, schwarze Haut, das ist für die Uni selbstverständlich, für Cottbus noch nicht.

    "Ich hatte gute und schlechte Zeiten in Cottbus, ernsthafte Schlägereien, ich wurde mehrere Male angegriffen. Aber das ist vorbei. Inzwischen ist die Polizei aufmerksam. Die Stadt ist relativ sicher, verglichen zu der Zeit vor zehn Jahren."

    Steve Ojoo wohnt in Cottbus, kam vor zehn Jahren aus Kenia zum Bachelorstudium hierher. 2003 ist er beim Joggen von vier Rechtsradikalen mit Kampfhunden angegriffen worden und konnte sich erst im letzten Moment in einen Bus retten. Trotz dieser Erlebnisse ist er genervt von der Diskussion über No-Go-Areas, wie auch die anderen Studierenden, die lieber über ihre Projekte reden wollen. Jeder von ihnen erhält ein Stipendium in Höhe von 1200 Euro monatlich.

    "Also wir beenden unsere Dissertationen und arbeiten intensiv daran, das internationale Doktoranden-Programm abzuschließen, das hier als Pilotversuch im Mai gestartet ist."

    Für Anca Prodan aus Rumänien heißt das: Masterarbeit über kulturelle Unterschiede und das gemeinsame Erbe der Menschheit oder "Cultural Diversity: The common Heritage of Humanity", denn die Unterrichtssprache ist Englisch.

    "Das Doktoranden-Programm deckt fünf Bereiche ab: Welterbe und globaler Wandel, nicht-materielles Erbe, Nachhaltigkeit, Kulturlandschaften und Mediation durch innovative Technik."

    Zum Beispiel die Vorgänge um den Bau der Waldschlösschenbrücke, durch die das Dresdener Elbtal seinen Weltkulturerbe-Status verlor. Die BTU wurde vor 20 Jahren gegründet. Seit zehn Jahren gibt es den Lehrstuhl für Welterbestudien in Partnerschaft mit der Unesco. Lehrstuhlleiterin Marie-Theres Albert:

    "Es reicht nicht, wenn wir ein paar Deutsche irgendwohin schicken, sondern Welterbe - wie das Wort schon sagt - ist in der Welt, und insofern müssen wir auch aus der Welt die Leute qualifizieren."

    Derzeit bangt sie, dass die Fördermittel über 2012 hinaus verlängert werden. Der Kontakt zum Unesco-Hauptquartier in Paris ist eng, viele der Studierenden erfahren dort von dem Programm und wagen den Sprung in die Provinz.

    "Aber auch in der Provinz ist Welt! Und die Welt geht auch nicht ohne Provinzen. Das heißt also Cottbus hat ein Potenzial an Bereichen im Kontext des Weltkulturerbes, die es sonst nicht gibt."

    Das ganze Land hat einen Ausländeranteil von 2,6 Prozent. Die BTU hat 6700 Studierende, immerhin 15 Prozent von ihnen kommen aus dem Ausland. Mit seiner schwarzen Haut fällt Steve Ojoo immer noch auf in der Stadt. Aber:

    "Die Universität ist eine kleine Gemeinschaft hier. Langsam seit 2001 entwickeln wir engere Kontakte zu den Einwohnern von Cottbus. Die Studierenden beteiligen sich an interkulturellen Aktivitäten wie dem Stadtfest, wir organisieren Ausstellungen oder ich engagiere mich für den Branitzer Park im Rahmen des Masterstudiums."

    Zum 66. Jahrestag der Bombardierung von Cottbus wollen wieder Neonazis durch die Stadt ziehen. Überall auf dem Campus liegen Flugblätter, die zur Gegendemonstration aufrufen. Dozentin Marie-Theres Albert spricht von einem hohen rechtsradikalen Potenzial und Rassismus:

    "Wo ich Bedenken habe: Es gibt diese berühmten No-Go-Areas, aber da würde ich mich dann als Deutsche auch nicht hin trauen. Und da muss man schon deutlich sagen, o.k. es kann euch hier auch was passieren. Nicht den Schleier davor legen und sagen, es ist alles friedlich, alles toll und es gibt überhaupt kein Problem."

    Und so scheint für die meisten der Welterbe-Doktoranden Cottbus als Wohnort wenig attraktiv, sechs der Elf leben in Berlin. Das liegt allerdings daran, dass es schwer ist, in Cottbus eine schöne und bezahlbare Wohnung in der Innenstadt zu finden. Und die Ausgehmöglichkeiten können mit der Bundeshauptstadt nicht mithalten. Mindestens dreimal in der Woche bedeutet das für die Doktoranden vier Stunden in der Bahn zu verbringen: zwei hin, zwei zurück - mindestens.