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"Countdown zum Krieg gegen den Iran"

Die "Falken" in Israel und die US-Republikaner wollten Krieg mit Iran, glaubt der Nahost-Experte Michael Lüders. Präsident Obama sei nicht in der Lage, Israel in die Schranken zu weisen, und könnte die USA aus einem Waffengang nicht heraushalten.

Michael Lüders im Gespräch mit Gerd Breker | 22.02.2012
    Gerd Breker: Der Iran hat einem Inspektoren-Team der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien den Zugang zu einer verdächtigen Militäranlage südöstlich von Teheran verweigert, denn der Westen verdächtigt ja den Iran, unter dem Deckmantel der zivilen Nutzung der Kernenergie tatsächlich ein Atomwaffenprogramm zu betreiben. Diese Vorwürfe hat Teheran stets bestritten. Wie man im Iran die gescheiterte Mission der Wiener Atomenergiebehörde bewertet, Beitrag in Informationen am Mittag, Deutschlandfunk (MP3-Audio) das sagt uns Reinhard Baumgarten.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Nahost-Experten Michael Lüders. Guten Tag, Herr Lüders!

    Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Herr Lüders, wenn der Westen den Iran verdächtigt, an einer Atombombe zu basteln, dann stellt sich die Frage, was wäre denn so schlimm, wenn Teheran über die Bombe verfügen würde? Israel hat sie doch auch!

    Lüders: Aus zwei Gründen wäre man im Westen damit nicht einverstanden, vor allem in den USA und in Israel nicht. Zum einen wäre dann der Iran endgültig zu einer Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten angewachsen und damit ein Konkurrent westlicher, aber auch saudi-arabischer Machtansprüche in der Region. Und zum anderen erwecken die wiederholten anti-israelischen Ausfälle des Präsidenten Ahmadinedschad und seine wiederholte Holocaust-Leugnung bei vielen Menschen nicht nur in Israel die Sorge, er könnte eine solche Atombombe einsetzen gegen den jüdischen Staat. Das ist aus Sicht natürlich vieler Menschen im Westen nicht akzeptabel und deswegen versucht man, den Iran geostrategisch einzuhegen.

    Breker: Herr Lüders, Außenminister Guido Westerwelle hat erneut eine Verschärfung der Sanktionen gefordert und andere Staaten aufgefordert, doch der Europäischen Union gleichzutun. Doch diese Sanktionen scheinen offenbar nicht ihre Wirkung zu zeigen, oder sehen wir das falsch aus der Distanz?

    Lüders: Nein, ich glaube, dass diese Sanktionen in der Tat der falsche Weg sind. Sie fördern nicht die Gesprächsbereitschaft Teherans, sondern sie verhärten lediglich die Fronten. Diese Sanktionen … Unlängst hat ja die Europäische Union beschlossen, kein Erdöl mehr aus dem Iran einzuführen, aber diese Sanktion kann von Teheran relativ leicht unterlaufen werden. Es gibt genügend Abnehmer für iranisches Öl auf dem Weltmarkt, allen voran China und Indien. Das hilft nicht weiter. Man muss sich schon die Mühe machen, mit dem Iran, mit Teheran direkt zu verhandeln. Aus Sicht des Westens will Teheran nicht ernsthaft verhandeln. Umgekehrt muss man sagen, dass die Atomfrage immer mehr ein Mittel zum Zweck wird, um den Iran politisch einzudämmen. Und was wir gegenwärtig erleben, ist wohl der Countdown zum Krieg gegen den Iran.

    Das Szenario, das wir hier erleben, Inspekteure der IAEA, der Internationalen Atomenergiebehörde, die im Iran sich aufhalten, dort brüskiert werden oder nicht fündig werden, das alles haben wir schon einmal gesehen im Vorfeld des Irak-Krieges, wo ebenfalls die Inspektoren versuchten, Lösungen zu finden, obwohl es keine Massenvernichtungswaffen bekanntlich gab im Irak. Dennoch war das das Vorspiel zum Krieg. Das haben wir jetzt auch im Iran und wenn man sich die amerikanische Gesetzgebung anschaut mit dem Iran Sanction Bill, von Präsident Obama zu Silvester verabschiedet, so untersagt dieses Gesetz allen Ernstes diese direkte Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran. Das hat es nie in der Geschichte der USA gegeben, nicht einmal im Zweiten Weltkrieg. Präsident Roosevelt hätte jederzeit mit Adolf Hitler, wenn er es gewollt hätte, verhandeln dürfen. Präsident Obama darf jetzt nicht ohne Zustimmung entsprechender politischer Organe der Außenpolitik in den USA mit den Iranern direkt verhandeln. Auf diese Art und Weise befördert man nicht den Dialog, man macht ihn quasi unmöglich.

    Breker: Allerdings hört man offiziell zumindest aus Washington, dass man sich dort Sorgen mache, die Israelis könnten militärisch gegen den Iran vorgehen. Wie begründet ist diese Sorge?

    Lüders: Diese Sorge erscheint mir sehr begründet, denn in Israel gibt es Falken, die diesen Krieg gegen den Iran wollen. Das ist vor allem Premierminister Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak. Teile des Militärs aber, der militärischen Führung, der Generalität, und auch der Geheimdienstchef des Mossad lehnen einen solchen Angriff auf den Iran ab, weil sie den Gegenschlag Teherans fürchten. Sie wissen sehr wohl, dass ein solcher Krieg, anders als von amerikanischen Publizisten gelegentlich behauptet, nicht mit zwei, drei Wochen Bombardements des Iran beendet wäre. Danach würde es erst richtig losgehen. Israel, die Zeichen deuten darauf hin, will aber diesen Krieg, ist entschlossen, ihn zu führen, und in den USA ist man in der Bredouille.

    Präsident Obama könnte sich für den Fall eines israelischen Erstschlages auf den Iran, der zweifelsohne einen iranischen Gegenschlag nach sich zöge, nicht heraushalten aus diesem Konflikt. Der innenpolitische Druck wäre enorm, dass er auf Seiten Israels in diesen Krieg einsteigt. Alle republikanischen Präsidentschaftsbewerber verlangen einen Krieg gegen den Iran. Insofern wird dieser Krieg sehr schnell eskalieren. Es ist ein bisschen so, dass der Schwanz hier mit dem Hund wedelt: Eigentlich müsste man ja denken, dass die Supermacht USA Israel, einen Staat von der Größe Hessens, in die Schranken zu weisen verstehen. Das ist aber nicht der Fall und insofern muss man mit Sorge beobachten, was hier in den nächsten Tagen und Wochen geschieht.

    Breker: Einschätzungen des Nahost-Experten Michael Lüders waren das im Deutschlandfunk. Danke dafür!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.