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Cranach der Jüngere
Neue Bildformeln für den Protestantismus

Der Maler Lucas Cranach der Jüngere stand mit seinem Werk lange im Schatten seines Vaters. Erst die neuere Forschung hat ihn wieder entdeckt, nicht nur als künstlerisch eigenständigen Maler und Grafiker, sondern auch als Geschäftsmann und Politiker. Heute vor 500 Jahren wurde Lucas Cranach der Jüngere in Wittenberg geboren.

Von Rainer Berthold Schossig | 04.10.2015
    Ein Zehnerbogen der Sonderbriefmarke zu Ehren von Lucas Cranach dem Jüngeren (im Jahr seines 500. Geburtstags) mit dem Sonderstempel Berlin ist am 17.09.2015 in der Stadtkirche in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) zu sehen.
    Sonderbriefmarken der Post zu Ehren des 500. Geburtstags von Lukas Cranach dem Jüngeren. (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Ihr Blick ist so zart umschleiert wie ihr Schoß: Gebettet in Gräser, Kräuter und Blattwerk, begleitet von zwei grauen Wachteln, lagert eine Quellnymphe - splitternackt, nur mit Kette und Armband geschmückt - in idealer Landschaft. Man könnte sie für ein schlichtes Bauernmädchen halten.
    Gemalt hat die prächtige Allegorie Lucas Cranach der Jüngere, anno 1550. Heute sind seine Werke über Museen in der ganzen Welt verteilt, ein Hinweis nicht nur auf die Produktivität, sondern auch auf die Qualität des lange im Schatten seines Vaters stehenden Malers aus Wittenberg. Beide Cranachs galten als Schnellmaler, ohne die Innigkeit Dürers oder die Raffinesse Holbeins. Doch diese Sicht hat sich gewandelt. Die Berliner Kunsthistorikerin Elke Anna Werner: "Cranach der Jüngere hat auf jeden Fall in einer sehr bewegten Zeit die Werkstatt übernommen, und was unsere Forschungen jetzt an Wissen zusammentragen, zeigt, dass Cranach der Jüngere auch auf sehr hohem Niveau gearbeitet hat, und es sind Meisterwerke von internationalem Rang entstanden."
    Lucas Cranach der Jüngere wird am 4. Oktober 1515 als Sohn des kursächsischen Hofmalers Lucas Cranach des Älteren und seiner Frau Barbara Brengebier in Wittenberg geboren. Seine Kindheit verbringt er in den Cranach-Häusern am Markt. Früh tritt er in die Mal-Werkstatt ein. Vielleicht hat er sich 1547 selbst in den Wittenberger "Reformationsaltar" hineingemalt, wie Helmuth Hasse, ehemals Stadtpfarrer in St. Marien, der Predigtkirche Luthers, vermutet: "In der Mitte steht der gekreuzigte, auferstandene Herr, auf der rechten Seite der predigende Luther, die eine Hand auf der Bibel, der Finger weist hin und sagt: 'Da ist die Mitte.' Ein ganz neuer inhaltlicher Ansatz. Links davon dann die Gemeinde, und da ist der Maler mitten dabei."
    Nicht nur Maler, sondern auch Geschäftsmann und Politiker
    Er wächst ins protestantische Milieu der Zeit. In zweiter Ehe heiratet er eine Nichte Philipp Melanchthons. Nach dem frühen Tod seines Bruders und dem Weggang des Vaters nach Weimar übernimmt er 1537 die Wittenberger Werkstatt - allerdings ohne den Titel des Hofmalers, der ihm auch nach dem Tod des Vaters 1553 versagt bleibt. Diplomatisch versorgt der Jüngere Lucas beide - durch die Reformations-Wirren verfeindeten - Linien des sächsischen Fürstenhauses mit feinsinnigen Portraits. Die Bildnisse Moritz von Sachsens und seiner Frau Katharina zeigen individuell modellierte Gesichter, so lebensnah, dass ihre Charaktere aufzuleuchten scheinen. Katharinas verschatteter Blick, ihr streng unter die Haube gekämmtes Haar signalisieren züchtige Noblesse. Moritz von Sachsens gepflegter Bart, seine dunklen, direkt auf den Betrachter gerichteten Augen zeigen Selbstbewusstsein und gezügelte Kraft. Wolfgang Holler, Direktor der Klassik Stiftung Weimar: "Der Hintergrund ist ja, dass in der Portrait-Theorie der Zeit immer die Frage besteht: Zeige ich eigentlich das Innere des Menschen, wie er wirklich ist, oder kann ich eigentlich nur das Äußere zeigen? Und hier ist immer diese Balance zu versuchen, auf der einen Seite zu zeigen: So sah er von außen aus, aber du musst, um ihn wirklich kennen zu lernen, natürlich seine Werke lesen. Und Cranach hat sich auf den Standpunkt zu stellen: Es geht mir erst mal drum zu zeigen: Wie sah Luther aus, wie ist er wieder erkennbar?"
    Cranach der Jüngere war nicht nur Maler und Grafiker, sondern auch Geschäftsmann und Politiker, der sein gesellschaftliches Ansehen durch zahlreiche öffentliche Ämter festigte, als Mitglied des Wittenberger Stadtregiments, Stadtkämmerer und zeitweise sogar Bürgermeister.
    Bei Cranach dem Älteren flackerte noch das Fegefeuer und Christi Blut triefte vom Marterholz. Der Jüngere bevorzugte kühle Farben und offene Flächen. Seine Erlöser-Gestalt ist der "Gute Hirte", ein moderner Menschenfreund. So gab er dem Protestantismus neue Bildformeln. Lucas Cranach der Jüngere starb 1586 im Alter von 71 Jahren. Auf sein Grab in der Stadtkirche Wittenberg verweist heute nur ein schlichter Gedenkstein.